[47] Kirchenhoheit (Jus circa sacra), der Inbegriff der dem Staat über alle Kirchengesellschaften innerhalb des Staatsgebietes zustehenden Hoheitsrechte. Sie ergibt sich mit Notwendigkeit aus dem Wesen der Staatsgewalt als der innerhalb des Gebietes schlechthin höchsten Willensmacht, welche die rechtliche Stellung aller Individuen und gesellschaftlichen Organisationen regelt. Als Bestandteil der allgemeinen Staatshoheit hat die K. auch ihre Grenze im Staatszweck, der nach heutiger Auffassung vom Kirchenzweck prinzipiell verschieden ist. Demgemäß beschränkt sich die K. im modernen Staat (im Gegensatz zur Kirchengewalt) grundsätzlich auf die sogen. sacra externa, d. h. die rein weltlichen oder doch das bürgerliche Gebiet mit berührenden Angelegenheiten, während die innerhalb der Sphäre der Kirchengemeinschaft liegenden Verhältnisse ihr völlig freigegeben sind. Die K. betätigt sich formell, wie die Staatshoheit überhaupt, in der dreifachen Funktion, Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Inhaltlich löst man die K. gewöhnlich auf in 1) das Aufnahmerecht (Jus receptionis, Jus reformandi, s. d.); 2) das Schutz- und Schirmrecht über die Kirchen (Jus advocatiae [s. d.], Jus protectionis); 3) das Recht der Oberaufsicht (Jus supremae inspectionis, Jus cavendi), mittels dessen der Staat namentlich etwaigen Übergriffen der Kirche entgegentritt. In letzterer Hinsicht ist besonders das landesherrliche Plazet, d. h. die staatliche Zustimmung zu kirchlichen Gesetzgebungsakten, von Wichtigkeit. Hierher gehören ferner der Recursus ab abusu (Appel comme d'abus), d. h. das Rechtsmittel der Berufung an die Staatsbehörde wegen Mißbrauchs der geistlichen Gewalt, ferner die Mitwirkung bei der Besetzung geistlicher Stellen und die Kontrolle der geistlichen Disziplinargerichtsbarkeit. Die evangelische Kirche erkennt die K. grundsätzlich, die katholische Kirche lehnt sie wegen des von ihr behaupteten höhern Ursprungs ebenso grundsätzlich ab und nimmt für sich die souveräne Grenzbestimmung zwischen Staat und Kirche in Anspruch (s. Kirchenpolitik). Vgl. Hinschius, Staat und Kirche (in Marquardsens »Handbuch des öffentlichen Rechts«, Bd. 1, Freiburg 1883); Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik (Bd. 1, das. 1894).