Leitungsgewebe

[393] Leitungsgewebe (Leitungssystem), die Gesamtheit der Pflanzenzellen und Zellverbände, in denen der Transport des Wassers und der organischen [393] Stoffe (Kohlehydrate, Fette, Eiweißstoffe) vor sich geht. Den niedersten Pflanzen fehlt meistens ein besonderes L., der Stofftransport erfolgt bei ihnen von Zelle zu Zelle auf osmotischem Weg. In gleicher Weise vollzieht sich auch im Parenchym höherer Pflanzen der Stoffaustausch von Zelle zu Zelle, wo aber ein Transport des Wassers oder plastischer Bildungsstoffe auf weiten Strecken nötig ist, da sind besondere L. ausgebildet, in denen gestreckte Zellen (Prosenchym, Fasern) oder strangartige Zellverbände oder selbst aus Zellreihen hervorgegangene Leitungsröhren die Bahn für die zu transportierenden Stoffe bilden. Für das Wasser und die in ihm gelösten Nährsalze, die bei den Landpflanzen von der Wurzel aufgenommen werden und zum Ersatz des durch die Belaubung verdunsteten Wassers durch den Sproß in die Blätter emporsteigen, kommen als L. hauptsächlich die Gefäße (Tracheen) und Tracheiden in Betracht, die einen Hauptbestandteil der die krautigen Teile des Pflanzenkörpers durchziehenden Leitbündel (s. d.) und des in den Achsen sekundär gebildeten Holzkörpers (s. Holz, S. 490) bilden. Die Gefäße sind zylindrische oder prismatische Röhren, die durch Auflösung der Querwände aus Zellenzügen entstanden sind. Ihre Wand ist verholzt und mit ring-, spiral-, band-, netz- oder leitersprossenförmigen Verdickungsleisten ausgesteift (Ring-, Spiral-, Netz-, Treppengefäße), oder es treten in der mehr gleichmäßig verdickten Wand sogen. Tüpfel auf, d.h. begrenzte dünne Wandstellen, die den Durchtritt des Wassers erleichtern (Tüpfelgefäße). Eine besondere Art der Tüpfel sind die Hoftüpfel, bei denen die dünne Wandstelle (Tüpfelfläche, Schließhaut) nach dem Zellinnern zu von den ausgelagerten Wandverdickungsschichten bis auf einen engen Zugang (Tüpfelkanal) überwallt ist. Der lebende Inhalt geht bei der Entwickelung in den Gefäßen verloren. Das gleiche gilt bezüglich der Zellwand und des Inhalts auch von den Tracheiden, nur geht jede Tracheide aus einer einzigen faserförmig gestreckten Zelle hervor.

Zur Leitung der plastischen Bildungsstoffe dient zunächst das Leitparenchym, das in den Blättern die Leitbündel scheidenartig (als sogen. Parenchym- oder Stärkescheide) umgibt, in Blattstielen und Stempeln als Rindenparenchym und im Holzkörper als Holz- und Markstrahlenparenchym (Leitzellen) auftritt. In dem Leitparenchym wandern hauptsächlich diejenigen Bildungsstoffe, die, wie Kohlehydrate, Asparagin u.a., in gelöstem Zustande die Zellwand leichter passieren können. Die gleiche Rolle übernehmen innerhalb der Leitbündel die Kambiformzellen, d.h. zartwandige, meist tüpfellose, an den Enden zugespitzte und mit feinkörmigem Plasma erfüllte Elemente. Die Leitung der schwerer diffusionsfähigen Eiweißstoffe wird durch die meist von inhaltreichen Geleitzellen begleiteten Siebröhren besorgt, die aus Längsreihen gestreckter Zellen (Gitterzellen) hervorgehen, und deren Wände an scharf umgrenzten Stellen Siebplatten (oder Siebfelder), d.h. dichtgestellte offene Durchlöcherungen, besitzen. Durch die Poren der Siebplatten hindurch kann ein direkter Durchtritt der Eiweißstoffe stattfinden; außerdem sind an ihnen Einrichtungen (Callus, Kallusbelege) vorhanden, die z. B. vor Eintritt der Winterruhe einen vollständigen Verschluß der Siebporen herstellen und dadurch die Fortbewegung der Eiweißstoffe unterbrechen. Gefäße, Tracheiden, Kambiform und Siebröhren sind in der Regel in bestimmter Weise zu Leitbündeln (s. d.) vereinigt, die nicht selten einzeln oder zu mehreren gegen das umgebende Gewebe durch eine scheidenförmige Grenzschicht mit ganz oder teilweise verkorkten Wänden (Endodermis, Schutzscheide, Koleochym) abgegrenzt sind. Die Leitbündel wurden früher mit den sie begleitenden Sklerenchymbündeln als Stranggewebe (Faszikulargewebe) zusammengefaßt.

Bei einer beschränkten Zahl von Gewächsen treten zu den bisher genannten Formen des Leitungsgewebes noch die Milchröhren (Milchzellen, Milchsaftgefäße). Dieselben durchziehen als reichverzweigte, dünnwandige Kanäle (s. Tafel bei S. 390: »Leitbündel und Leitungsgewebe«, Fig. 8 A u. B) die Wurzeln, Stengel und Blätter und enthalten außer einem plasmatischen Wandbeleg eine meist weißgefärbte, seltener gelbe (bei Chelidonium) oder rote (bei Sanguinaria) Flüssigkeit, die aus zahlreichen Körnchen und Tröpfchen von Harz, Kautschuk, Fett, Gerbstoff, Stärkemehl u.a. in emulsionsartiger Mischung mit aufgelösten Salzen, Kohlehydraten, Eiweißstoffen, auch Alkaloiden (wie z. B. Morphin im Milchsaft des Mohns) und eiweißlösenden Fermenten (z. B. im Milchsaft von Carica Papaya) besteht; der Milchsaft führt demnach nicht nur Bildungsstoffe, sondern auch Endprodukte des Stoffwechsels (Exkrete). Die Milchröhren entstehen bei einer Reihe von Pflanzen (Kompositen, Kampanulazeen, Papaverazeen, Lobeliazeen, Papayazeen, Arazeen und Musazeen) durch Verschmelzung reihenweise angeordneter Zellen, deren Querwände aufgelöst werden (gegliederte Milchröhren), in andern Fällen (bei Euphorbiazeen, Urtikazeen, Apocynazeen und Asklepiadazeen) gehen sie aus einer einzelnen Zelle hervor, die unter starker Verzweigung zu einem langgestreckten Schlauch auswächst.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 393-394.
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