Nero [2]

[520] Nero, Lucius Domitius, nach der Adoption durch Claudius N. Claudius Drusus, röm. Kaiser von 54–68 n. Chr., geb. 15. Dez. 37 in Antium, war der Sohn des Cn. Domitius Ahenobarbus, der in dem dritten Jahr des Sohnes starb, und der Agrippina, der Tochter des Germanicus, also Ururenkel des Augustus. Nach ihrer Verheiratung mit Claudius bot Agrippina alles auf, um die Nachfolge auf dem Thron ihrem Sohn zu verschaffen und unter ihm selbst die Herrschaft zu führen. Bei der Schwäche des Kaisers gelang es ihr auch, daß er, obwohl er einen eignen Sohn, Britannicus, hatte, 50 N. adoptierte und seine Tochter Octavia 51 mit ihm verlobte, 53 verheiratete. Zugleich wußte sie ihren Sohn durch alle möglichen Auszeichnungen in den Augen des Volkes hervorzuheben und sich des Beistandes der Prätorianer zu vergewissern. Nach solchen Vorbereitungen konnte sie es wagen, Claudius zu vergiften, und täuschte sich auch in ihren Berechnungen nicht: N. wurde von den Prätorianern als Kaiser ausgerufen und vom Senat anerkannt. Die ersten fünf Jahre seiner Regierung galten als wohltätig. Er war vor allem zunächst bestrebt, die Herrschaft seiner ehrgeizigen Mutter abzuschütteln, und wenn er auch, als sie ihm mit Britannicus drohte, diesen 55 ohne weiteres ermorden ließ, so stützte er sich doch sonst gegenüber ihrem Einfluß auf seine beiden frühern Erzieher, den Befehlshaber der Prätorianer Afranius Burrus und den Philosophen Seneca, und durch diese auf den Senat und erwarb sich dessen volle Anerkennung. Im J. 59 fühlte er sich aber stark genug, seine Mutter durch Mord zu beseitigen, und wie dies der Senat nicht nur ruhig geschehen ließ, sondern ihn auch noch mit Schmeicheleien überhäufte, kannte er überhaupt keine Schranken mehr für seine Lüfte und Ausschweifungen; seine Vorgänger auf dem Throne, pflegte er zu sagen, hätten nicht gewußt, was ihnen erlaubt sei. Um die sittenlose Poppäa Sabina zu heiraten, ermordete er 62 seine Gemahlin Octavia; als ein furchtbarer Brand einen großen Teil der Hauptstadt zerstört hatte, ließ er, um den aufgekommenen Verdacht der Brandstiftung von sich abzulenken, als die Urheber die römischen Christen und Juden unter den grausamsten Martern 64 hinrichten; die Entdeckung der Pisonischen Verschwörung (65) gab ihm den Au laß, eine große Anzahl ihm lästiger, zum Teil unschuldiger hochgestellter Männer aus dem Wege zu räumen, darunter Seneca und den Dichter Lucanus. In der Befriedigung seiner sinnlichen Lüfte schonte er die Ehre weder eines andern Menschen noch die eigne und setzte seinen einzigen Stolz darauf, durch große Bauten und als Künstler zu glänzen; auf den Trümmern der verbrannten Stadt erbaute er sich einen gewaltigen Palast (die sogen. domus aurea, das »goldene Haus«), ließ durch sein neues Rom breite und gerade Straf;en legen, alles dies auf Kosten Italiens und der Provinzen. Noch mehr bildete er sich auf seine künstlerischen Leistungen ein, aber als er gar eine Reise nach Griechenland 66 und 67 unternahm, um in den dortigen Wettspielen zu glänzen, regte sich überall der Unwille. Gallien erhob sich zuerst, die Prätorianer und der Senat verließen ihn; so floh N., ohne Widerstand zu leisten, und ließ sich in der Nähe der Hauptstadt von einem Freigelassenen töten (9. Juni 68). Mit ihm erlosch das Julisch-Claudische Geschlecht der Cäsaren. An der Führung der Kriege unter seiner Regierung hat er selbst nicht tätigen Anteil[520] genommen; doch sind die Grenzen des Reiches in Armenien durch Domitius Corbulo, in Britannien durch Suetonius Paulinus ruhmvoll verteidigt worden; mit der Unterdrückung eines Aufstandes der Juden hatte er 66 Vespasian beauftragt, der ihn auf Jerusalem beschränkt hat. Die beste Quelle für Neros Geschichte sind die »Annalen« des Tacitus, mit dem die Lebensbeschreibung des Sueton in der Auffassung des Charakters und in der Darstellung der Tatsachen meist übereinstimmt. Unter den vielen angeblichen Büsten des N. beanspruchen die größte Echtheit die in München, im Palatinischen und Britischen Museum und in der Vatikanischen Bibliothek. Vgl. H. Schiller, Geschichte des römischen Kaiserreichs unter N. (Berl. 1872); Henderson, The life and principate of the emperor N. (Lond. 1903); Profumo, Le fonti ed i tempi dello incendio neroniano (Rom 1905). Pietro Cossa (1871) und A. Wilbrandt (1876) machten ihn zum Helden ihrer Tragödien; Opern von MonteverdiL'incoronazione di Poppea«, 1642), Pallavicino (1679), Händel (1705), Rubinstein (1879), A. Boito u.a.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 520-521.
Lizenz:
Faksimiles:
520 | 521
Kategorien: