Germanĭcus

[653] Germanĭcus, Ehrenname, den der röm. Senat dem Nero Claudius Drusus, dem Bruder des Kaisers Tiberius, wegen seiner tapfern Taten in Deutschland (s. Drusus 3) für sich und seine Nachkommen verlieh, und der dann nach des Vaters Tod auf seinen Sohn Germanicus Cäsar überging. Dieser, ein Sohn des Drusus und der jüngern Antonia, einer Tochter des Triumvirs M. Antonius von Octavia, einer Schwester des Augustus, geb. im September 15 v. Chr., gest. 9. Okt. 19 n. Chr., zeigte schon als Jüngling die trefflichsten Eigenschaften, so daß Augustus 4 n. Chr. Tiberius nur unter der Bedingung durch die Adoption zu seinem Nachfolger ernannte, daß er seinerseits den G. adoptierte. Im J. 12 verwaltete G. das Konsulat, empfahl sich dem Volk ebensowohl durch die geschickte Verteidigung von Angeklagten wie durch glänzende Spiele und wurde kurz vor dem Tode-des Augustus, nachdem er sich schon vorher an der Seite des Tiberius an der Donau und am Rhein als Heerführer bewährt hatte, zum Befehlshaber der acht Legionen ernannt, die am Rhein den Germanen gegenüber aufgestellt waren. Er befand sich bereits an ihrer Spitze, als die Nachricht vom Tode des Kaisers eintraf und das Zeichen zu einer gefährlichen Empörung der Legionen gab. Nur mit Mühe dämpfte sie G. und unternahm darauf, um die Soldaten zu beschäftigen, während der Jahre 14–16 Expeditionen nach Deutschland, die zwar neue Beweise von der Kühnheit und Tapferkeit des Heeres wie seines Anführers ablegten, jedoch für die Ausdehnung der römischen Herrschaft von keinem bleibenden Erfolg waren (vgl. Arminius). Im J. 14 machte er nur noch einen Streifzug vom Unterrhein aus gegen die Marser, im J. 15 drang er von Mainz über den Taunus vor, nahm, von Armins Schwiegervater Segestes zu Hilfe gerufen, Armins Gattin Thusnelda gefangen, schaffte noch in demselben Jahr einen Teil seiner Truppen durch den sogen. Drususkanal und den Zuidersee zu Schiff in die Emsgegend, wo er sich mit dem andern, der den Landweg genommen hatte, vereinigte, zog sich indes nach einem unentschiedenen Treffen mit den Deutschen unter Arminius wieder zurück und erlitt auf dem Rückweg durch Springflut und feindliche Angriffe erhebliche Verluste. Im J. 16 besiegte er, wieder von der Nordsee her einfallend, Arminius erst in der Nähe der Porta Westfalica auf dem Idistavisofeld und dann in der Nähe des Steinhuder Meeres in zwei großen Schlachten, verlor aber wiederum auf dem Rückzug durch Stürme viele Leute und Schiffe. Eifersucht und die Überzeugung von der Vergeblichkeit dieser Unternehmungen bestimmten Tiberius, ihn zurückzurufen und ihn nach dem Orient zu schicken (17), um dort Ordnung zu schaffen. Er setzte in Armenien Zeno, den Sohn des pontischen Königs Polemo, als König ein, verwandelte Kappadokien und Kommagene in römische Provinzen und bereiste im J. 19 Ägypten bis nach Syene und Elephantine. Bei seiner Rückkehr nach Syrien fand er indes die meisten seiner Anordnungen durch den dortigen Statthalter Cn. Calpurnius Piso wieder umgestürzt; als es hierüber zwischen beiden zu heftigen, leidenschaftlichen Erörterungen gekommen war, erkrankte G. so plötzlich und heftig, daß seine Freunde und er selbst an geheime, dem Piso vom Kaiserhofe mitgegebene Aufträge und an eine Vergiftung glaubten. Er starb in Epidaphne bei Antiochia, 33 Jahre alt. In Rom war schon vorher die Stimmung für ihn sehr günstig gewesen; jetzt bezeichnete die Volksstimme allgemein Tiberius als den Anstifter des Mordes, und dies Gerücht schien sich später durch die unfreundliche und schließlich grausame Behandlung der Witwe und der Kinder des G. zu bestätigen; indessen konnte die Vergiftung sogar nach der Meinung des Tacitus nicht bewiesen werden und ist auch nicht wahrscheinlich. Von den neun Kindern, die Agrippina ihrem Gatten schenkte, starben drei vor ihrem Vater; drei Töchter, Agrippina, Drusilla, Livilla, und drei Söhne, Nero, Drusus und C. Cäsar Caligula, der nachmalige Kaiser, überlebten ihn. Eine Marmorstatue von ihm steht im Louvre. Tapferkeit, Edelmut, Hochherzigkeit und Milde des Charakters zeichneten G. aus; dabei gehörte er zu den Gebildetsten seines Volkes, so daß er selbst eine Stelle in der römischen Literatur einnimmt. Doch hat sich weder von seinen Reden noch von seinen in griechischer Sprache abgefaßten Komödien etwas erhalten; nur von einer lateinischen Übersetzung der »Phaenomena« des Aratos, die ihm mit großer Wahrscheinlichkeit zugeschrieben wird und die des Cicero nach Inhalt und Form übertrifft, sind noch 725 Verse übrig; außerdem Fragmente eines ähnlichen, nach dem Griechischen bearbeiteten Gedichts: »Diosemeia« oder »Prognostica«. Auch einige lateinische und griechische Epigramme sind unter seinem Namen überliefert. Die Gedichte des G. (zuerst Bologna 1474) gab Breysig (Berl. 1867 u. Leipz. 1899) heraus. Vgl. v. Wietersheim, Der Feldzug des G. im J. 16 n. Chr. (Leipz. 1850); Höfer, Der Feldzug des G. im J. 16 n. Chr. (Bernb. 1884); Knoke, Die Kriegszüge des G. in Deutschland (Berl. 1887, Nachträge 1889 u. 1897); Dahm, Die Feldzüge des G. in Deutschland (Trier 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 653.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: