Rémusat

[795] Rémusat (spr. -müsá), 1) Jean Pierre Abel, berühmter franz. Orientalist, geb. 5. Sept. 1788 in Paris, gest. daselbst 3. Juni 1832, studierte Medizin, daneben Orientalia, besonders das Chinesische, und erhielt 1814 im Collège de France den Lehrstuhl der chinesischen und Mandschusprache. Von seinen Werken erwähnen wir: »Essai sur la langue et la littérature chinoises« (1811); »Recherches sur les langues tatares« (1820); »Éléments de la grammaire chinoise« (1822; neue Ausg. von Rosny, 1858); »Mélanges asiatiques« (1825, 2 Bde.) nebst »Nouveaux mélanges« (1828, 2 Bde.) und die posthumen »Melanges d'histoire et de littérature orientales« (1843); »Observations sur l'histoire des Mongols« (1832) und »Histoire du Bouddhisme« (1836). Zahlreiche Beiträge von R. enthielt auch das »Journal des Savants«, dessen Redaktion er seit 1818 führte. Vgl. Silv. de Sacy, Notice sur la vie et les ouvrages de R. (Par. 1834).

2) Charles François Marie, Graf von, franz. Staatsmann, geb. 14. März 1797 in Paris, gest. daselbst 6. Juni 1875, ward 1819 Advokat, 1830 Deputierter, trat zum linken Zentrum über. Nachdem er im Ministerium vom 6. Sept. 1836 die Stelle eines Unterstaatssekretärs bekleidet hatte, erhielt er in Thiers' Ministerium vom 1. März 1840 das Portefeuille des Innern. Nach dem Rücktritt dieses Ministeriums schloß er sich der dynastischen Opposition an und ward 1848 zum Mitgliede der Nationalversammlung gewählt, wo er zum Verein der Rue de Poitiers gehörte. Am 2. Aug. 1871 ward er von seinem alten Freunde Thiers zur Leitung des auswärtigen Ministeriums berufen, das er bis zu dessen Sturz im Mai 1873 verwaltete. Von seinen Schriften sind hervorzuheben: »Essais de philosophie« (Par. 1842, 2 Bde.), denen er seine Aufnahme in die Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften verdankte; »Abélard« (1845, 2 Bde.) und »De la philosophie allemande« (1846), infolge deren er Mitglied der französischen Akademie wurde; »Saint Anselme de Cantorbéry« (1853, 2. Aufl. 1868); »L'Angleterre an XVIII. siècle« (1856, 2 Bde.); »Critiques et études littéraires« (2. Aufl. 1857); »Bacon, sa vie, son temps, sa philosophie« (1857, 2. Aufl. 1858); »Politique libérale, ou Fragments [795] pour servir à la défense de la révolution française« (1860, 2. Aufl. 1875); »Channing, sa vie et ses œuvres« (1857, 3. Aufl. 1873); »Philosophie religieuse. De la théologie naturelle en France et en Angleterre« (1864); »Lord Herbert de Cherbury« (1874); »Histoire de la philosophieen Angleterre depuis Bacon jusqu'à Locke« (1875, 2 Bde.). Aus seinem Nachlaß wurden zwei Dramen: »Abélard« (1877) und »La Saint-Barthélemy« (1878), sowie die »Correspondance pendant les premières années de la Restauration« (1883–86, 6 Bde.) veröffentlicht. – Seine Mutter Claire Elisabeth Jeanne, Gräfin von R., geborne Gravier de Vergennes, geb. 5. Jan. 1780 in Paris, gest. 16. Dez. 1821, vermählte sich 1796 mit dem Grafen Augustin Laurent de R., spätern Kammerherrn Napoleons I. (geb. 28. Aug. 1762, gest. 15. Mai 1823), ward 1802 der Kaiserin Josephine als Gesellschafts- und dann als Palastdame beigegeben. Ihr Sohn veröffentlichte aus ihrem Nachlaß den »Essai sur l'éducation des femmes« (1824, neue Ausg. 1903) und ihr Enkel Paul de R. (s. unten), »Mémoires de Madame de R.« (1879–80, 3 Bde. u. ö.; deutsch, 6. Aufl., Köln 1901, 3 Bde.) und »Lettres de Mad. de R., 1804–1814« (1881, 2 Bde.). Die Memoiren geben über das Leben am Hofe Napoleons (1802–08) höchst interessante Aufschlüsse; allerdings sind sie erst 1818 aus dem Gedächtnis niedergeschrieben, auch sehr parteiisch zu ungunsten Napoleons, bei dem ihr unfähiger Gatte in Ungnade gefallen war.

3) Paul Louis Etienne, Graf von, franz. Schriftsteller und Politiker, Sohn des vorigen, geb. 17. Nov. 1831 in Paris, gest. daselbst 24. Jan. 1897, wurde 1857 Mitredakteur des »Journal des Débats«. 1870 begleitete er Thiers auf seiner diplomatischen Rundreise an den Höfen Europas, kam im Februar 1871 in die Nationalversammlung, wo er im linken Zentrum saß. Während sein Vater das Ministerium des Auswärtigen verwaltete, war er dessen Kabinettschef, seit 1876 Senator. Eine Auswahl seiner für die »Revue des Deux Mondes« geschriebenen Artikel erschien u. d. T.: »Les sciences naturelles« (1857). Außerdem veröffentlichte er die Lebensbeschreibung von A. Thiers (1889).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 795-796.
Lizenz:
Faksimiles:
795 | 796
Kategorien: