Sequénz [1]

[352] Sequénz (lat. sequentia, »Folge«), eine Art Hymnus im alten Kirchengesang. Die S. ist im 10. Jahrh. aus den langgedehnten Neumen (s. d.) hervorgegangen, die ohne Textunterlage nur auf der letzten Silbe des Halleluja gesungen wurden, die Melodie desselben wiederholend. Da die Texte der Sequenzen anfangs weder skandiert noch gereimt waren, hießen sie auch Prosen. Vorzugsweise von Mönchen gedichtet und melodisiert, unter denen Notker der Stammler (s. d. 1) in St. Gallen mit seiner klassischen Musik im 9. Jahrh. und der Pariser Chorherr Adam von St.-Victor im 12. Jahrh. in klassischer Dichtung den ersten Rang einnehmen, erhielten sie sich am längsten im Gottesdienst der Klöster und gingen bald auch in die deutsche Sprache über. Seit den liturgischen Reformen Pius' V. sind in der katholischen Kirche nur noch fünf Sequenzen gebräuchlich: »Victimae paschali laudes« (11. Jahrh.) zu Ostern; »Veni sancte spiritus« (angeblich vom König Robert von Frankreich, gest. 1031) zu Pfingsten; »Lauda Sion salvatorem« (von Thomas von Aquino, gest. 1274) zu Fronleichnam; »Stabat mater« (von Jacopone, gest. 1360) zum Feste der sieben Schmerzen Mariä und »Dies irae« (von Thomas von Celano, um 1250) beim Totenamt. Mehrere Sequenzen sind umgearbeitet auch in die protestantischen Gesangbücher übergegangen, z. B. Luthers »Gelobet seist du, Jesu Christ«. Sammlungen alter Sequenzen gaben Kehrein (Mainz 1873) und Dreves (Bd. 8–10 der »Analecta hymnica«, Leipz. 1890–1891) heraus. Vgl. Wolf, Über die Lais, Sequenzen und Leiche (Heidelb. 1841); Bartsch, Die lateinischen Sequenzen des Mittelalters (Rostock 1868). – In der Lehre vom musikalischen Satz versteht man unter S. eine eigentümliche typische Führung der Stimmen, darin bestehend, daß bei mehrmaliger stufenweise steigender oder fallender Wiederholung eines Intervallschrittes im Baß, wie

Tabelle

auch die übrigen Stimmen die bei den ersten beiden Baßtönen genommene Bewegung stufenweise fortschreitend wiederholen (weshalb die Franzosen die S. einfach Marche de basse oder Progression nennen).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 352.
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