Vister

[192] Vister, die Teile der Feuerwaffen, die zum Einrichten der Rohre auf das Ziel dienen. Bei den meisten Einrichtungen wird das V. gebildet durch den am hintern Ende der Rohre befindlichen Aufsatz und das weiter vorn sitzende Korn. Der Aufsatz besteht bei Geschützen aus einer Stange, die in einer am Rohr sitzenden Büchse nach der Höhe verschiebbar ist und an ihrem obern Ende einen Kopf trägt, in dem sich der Visierschieber seitlich verschieben läßt. Am Visierschieber befindet sich gewöhnlich ein Einschnitt von dreieckigem Querschnitt, die Kimme. Bei Schiffs- und Küstengeschützen trägt der Visierschieber ein Drahtvisier, das aus zwei senkrechten parallelen Fäden und einem wagerechten Faden besteht. Bei Schnellfeuerkanonen ist vielfach das Leitervisier angebracht, bei dem die zwei senkrechten parallelen Fäden von einer größern Zahl wagerechter Fäden gekreuzt werden. Nachtvisiere (bei Schiffsgeschützen im Gebrauch) sind mit kleinen elektrischen Glühkörpern ausgerüstet, durch die das Leitervisier und das Korn in der Dunkelheit beleuchtet werden. Bei Gewehren ist der Aufsatz nicht abnehmbar und gewöhnlich als aufklappbarer Rahmen ausgeführt, an dem der Visierschieber mit Kimme nach der Höhe, aber nicht nach der Seite, verschoben werden kann. Das Rahmenvisier ist auf der Oberkante der beiden Wangen, zwischen die der Rahmen beim Nichtgebrauch heruntergeklappt wird, häufig mit Einschnitten, Treppen (Treppenvisier) versehen, die gewissen Entfernungen entsprechen, wenn der Visierschieber hineingelegt wird. Beim Quadrantenvisier sind an den Wangen, zwischen denen die Visierklappe sich um den Mittelpunkt des Quadrantenbogens bewegt, seitlich die Entfernungen, gewissen Erhöhungszwecken des Visiers entsprechend, angegeben. In ähnlicher Weise ist das Kurvenvisier eingerichtet (z. B. am deutschen Gewehr [Karabiner] 98). Bei Handfeuerwaffen von geringer Tragweite (Revolver) befindet sich der Visiereinschnitt am Lauf selbst, ein Aufsatz fehlt. Das Korn ist starr mit dem Rohr verbunden und endigt bei Geschützen in einer scharfen Spitze; bei Handfeuerwaffen hat es gewöhnlich die Form eines Daches, dessen dreieckiger Querschnitt der Visierkimme zugekehrt ist. Krokotovic schlägt vor, das Korn abzustumpfen, so daß es der Kimme einen trapezförmigen Querschnitt zeigt, dessen obere Kante wagerecht liegt (Universalkorn). Er will dadurch größere Schnelligkeit im Richten und geringe Streuung erreichen. Die Richtung wird gegeben, indem man das Rohr so lange in der senkrechten und wagerechten Ebene dreht, bis die obere Kante der Kimme, die Kornspitze und der Zielpunkt in einer geraden Linie liegen. Bildet die Verbindungslinie der Kimme und der Kornspitze, die Visierlinie, mit der Seelenachse des Rohres einen Winkel, den Visierwinkel, und wird in diesem Falle die Visierlinie auf das Ziel gerichtet, so ist die Seelenachse gegen die wagerechte Ebene geneigt und infolgedessen die Schußweite vergrößert. Eine Skala (Entfernungs- oder Winkelskala) an der Aufsatzstange gestattet, den Aufsatz in die der Zielentfernung entsprechende Stellung zu bringen. Ebenso wirkt die Verschiebung des Visierschiebers nach der Seite auf die Verlegung des Treffpunktes nach der Seite. Die Tragfähigkeit der modernen Feuerwaffen ist so groß, daß das menschliche Auge in vielen Fällen zum klaren Erkennen des Ziels nicht mehr ausreicht. Man bedient sich infolgedessen neuerdings des Fernrohrs zum Einrichten von Geschützen und Handfeuerwaffen. Das Zielfernrohr ist ein terrestrisches Fernrohr mit etwa dreifacher Vergrößerung, in dessen Bildebene sich die Visier- oder Zielmarke befindet. Diese wird entweder als ein gewöhnliches Fadenkreuz (je ein senkrechter und ein wagerechter Faden) oder als ein wagerechter Faden mit angeschmolzenem Visierpunkt oder als Horizontalfaden mit senkrechtem sogen. Zielstachel ausgeführt. Das Zielfernrohr ist bei Geschützen am Kopf der Aufsatzstange befestigt; bei Gewehren ist die Anbringungsart konstruktiv noch nicht genügend durchgebildet, weil es drehbar angeordnet werden muß, um seine optische Achse entsprechend der Zielentfernung in einen Winkel zur Rohrachse stellen zu können, und weil die Handlichkeit des Gewehrs durch das Fernrohr nicht zu sehr herabgesetzt werden darf. Eine eigenartige Ergänzung der Visiereinrichtung ist das im englischen Heer erprobte Hyposkop: eine Reihe von Spiegeln, die in einer Hülfe von der Gestalt eines umgekehrten L angebracht sind und dem Schützen ermöglichen, hinter einer Deckung das auf deren Krone liegende Gewehr einzurichten, ohne seinen Kopf zu zeigen. Eine eigenartige Visiereinrichtung, deren Konstruktion sich an die Einführung[192] der Schnellfeuerkanonen anschloß, stellt die sogen. unabhängige Visierlinie dar. Ihr Hauptzweck besteht darin, den Richtwart von der Arbeit des Ein- und Umstellens der befohlenen Erhöhung frei zu machen, so daß er seine Aufmerksamkeit ungeteilt dem Ziel und dem ununterbrochenen Einrichten der Visierlinie zuwenden kann. Namentlich gegenüber rasch sich bewegenden Zielen ist die Möglichkeit, ihnen fortgesetzt mit dem V. folgen zu können, von größter Bedeutung. Das Einstellen der Erhöhung besorgt der Verschlußwart. Zu dem Zweck ist auf der Seite des Geschützes, auf der sich der Verschlußwart befindet, ein Handrad, mit dem er unabhängig von der Stellung des Rohres die relative Stellung des Aufsatzes zum Rohr ändert, d. h. den Aufsatz auf die befohlene Erhöhung einstellt. Auf der andern Geschützseite befindet sich für den Richtwart ein Handrad, mit dem er unter Vermittelung der bekannten Zahnrad- und Schraubenspindelübertragung Rohr mit Wiege und Aufsatz im Laffetenkörper bewegen kann, während er gleichzeitig die optische Achse des Visierfernrohrs in Zielrichtung bringt, ohne dabei auf die Einstellung des Aufsatzes achten zu brauchen. Die vorhandenen Konstruktionen arbeiten sämtlich nach diesem Prinzip und unterscheiden sich voneinander nur durch die Art der Bewegungsübertragung.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 192-193.
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