Wasserrad

[417] Wasserrad (hierzu Tafel »Wasserräder und Turbinen« mit Text), ein Motor zur Ausnutzung der im Wasser enthaltenen mechanischen Energie (hydraulischer Motor), dessen wesentlichster Teil ein an seinem Umfange mit Schaufeln oder Zellen besetztes Rad ist, das sich in einer vertikalen (vertikales W.) oder horizontalen (horizontales W.) Ebene dreht. Das Wasser kann auf diese Räder wirken: a) durch sein Gewicht, z. B. bei den vertikalen Wasserrädern, indem es die oben stehenden Zellen füllt und dadurch bewirkt, daß sie sich nach unten senken; b) durch seine lebendige Kraft, und zwar 1) durch Stoß, d. h. Aufprallen auf eine rechtwinklig oder derart schräg zu seiner Bewegung gerichtete Fläche, daß das Wasser seine Bewegung ganz oder teilweise einbüßt, z. B. bei einzelnen, vom Wasser an ihrer untern Seite getroffenen vertikalen Wasserrädern, wie den sogen. Schiffsmühlen, 2) durch Aktion, d. h. den Druck auf eine tangential zur Wasserrichtung stehende Fläche, durch die somit das Wasser zwar aus seiner Richtung abgelenkt wird, aber so, daß es nur wenig an seiner Geschwindigkeit verliert, entsprechend dem Druck auf die Wandung einer gekrümmten Leitung, 3) durch Reaktion, d. h. diejenige Rückwirkung auf eine Gefäßwand, die entsteht, wenn aus einer Öffnung in der gegenüberstehenden Gefäßwand Wasser ausfließt. Die Reaktion oder der entstehende Überdruck ist somit nicht eine Folge von Drucksteigerung auf dieser Seite, sondern eine Folge der Druckverminderung auf der gegenüberliegenden, somit nur ein relative r Überdruck. Reaktion kann nur im Verein mit Aktion auftreten; c) teils durch Gewicht, teils durch seine lebendige Kraft.

Die Wirkungen der Aktion und der Reaktion können sinngemäß nur bei solchen Wasserrädern vorkommen, die vom Wasser tatsächlich durchflossen werden, somit, im Gegensatze zu den vertikalen Wasserrädern, getrennte Öffnungen für Wassereintritt und -Austritt besitzen. Diese Wasserräder heißen Turbinen und unterscheiden sich von den gewöhnlichen auch noch dadurch, daß sie meist horizontal liegen und der Wassereintritt sich am ganzen Umfange vollzieht. Bei der Ausnutzung einer Wasserkraft kommen Wassermenge und Gefälle in Betracht. Wassermenge heißt das Volumen, das durch den Querschnitt der Zuleitung dem Rade pro Sekunde zuströmt; sie ist nach Jahreszeiten und Witterung verschieden und man sieht daher einen Verbrennungsmotor oder eine Dampfmaschine als Aushilfe vor. Die Gefällshöhe (Gefälle) richtet sich nach den örtlichen Verhältnissen des benutzten Wasserlaufes und ist geringern Schwankungen unterworfen. Ist das Gefälle nicht schon von Natur vorhanden, so kann man es durch Wasserstauung schaffen; bei einem Flußlauf ist die Gefällshöhe gegeben durch den Unterschied in den Niveauhöhen zwischen Anfang und Ende der nutzungsberechtigten Flußlänge, also den Punkten, wo man die Ab-, bez. Rückleitung enden läßt. Die mechanische Arbeitsmenge aus einer verfügbaren Wassermenge Q in Kubikmetern pro Sekunde und einer Gefällshöhe H in Metern beträgt 1000.Q.H/75 Pferdekräfte, theoretisch, muß daher mit dem Wirkungsgrad multipliziert werden, um den praktischen Wert zu ergeben. Der Wirkungsgrad für gewöhnliche Wasserräder ist 0,3–0,8, für Turbinen 0,7–0,8 und in Ausnahmefällen höher. Bei Gefällen von mehr als 10 m sind Turbinen ausschließlich anzuwenden, aber auch bei kleinen, bis zu den kleinsten Gefällen und einigermaßen konstantem Arbeitswiderstande werden sie den Wasserrädern vielfach vorgezogen, weil sie schneller laufen und daher einfachere mechanische übersetzungen ergeben. – Über die Konstruktion der Wasserräder s. die Tafel.

Der Nutzeffekt von 73–83 Proz. einer guten Turbine macht sie der Dampfmaschine, die nur ungefähr 12 Proz. ergibt, und dem Gasmotor mit etwa 20 Proz. Ausnutzung der im Brennstoffe vorhandenen Energie für Arbeit weit überlegen.

Geschichtliches. Wasserräder waren den alten Indern, Assyrern, Ägyptern und Chinesen bekannt. Genaue Beschreibung einer um Christi Zeit vorhandenen Wassermühle liefert Vitruvius. Im 4. Jahrh. gelangte die Kenntnis der Wasserräder, und zwar zunächst der unterschlächtigen, nach Deutschland, wo die oberschlächtigen Räder erfunden worden sein sollen. Horizontale Wasserräder kamen als Löffelräder erst später zur Ausnahme. Mühlen mit Wasserkraftbetrieb waren in Berlin nachweislich schon 1286 in Betrieb, Schneidsägen in Augsburg um 1337. Dem von Daniel Bernoulli 1730 erbrachten Nachweise der Reaktionswirkung des Wassers folgte Segner mit seinem Reaktionsrad, dessen Theorie Euler 1750 ausführlicher behandelte, der auch die Krümmung der Arme in Vorschlag brachte. Burdin nannte sein 1824 erfundenes horizontales W. Turbine (v. lat. turbo, »Kreisel«, also Kreiselrad). Fourneyron in Besançon errang 1833 den von der Société d'encouragement bereits 1824 ausgeschriebenen Preis für die Herstellung einer Turbine. Die Theorie der Fourneyron-Turbine (radiale Überdruckturbine mit Innenaufschlag des Wassers) stellte Poncelet 1839 auf. Die erste axiale Überdruckturbine wurde 1841 von Henschel in Kassel gebaut. 1841 erhielt Jonval in Mülhausen ein Patent auf seine der vorigen ähnliche Turbine mit Saugrohr. Die seit dem letzten Jahrzehnt in Aufnahme gekommene radiale Überdruckturbine[417] mit Außenaufschlag des Wassers konstruierte 1849 der amerikanische Ingenieur Frau cis. Um die Theorie der Turbinen hat sich der französische Zivilingenieur Girard sehr verdient gemacht, der 1863 die Aktionswirkung des Wassers auf die Turbinenschaufeln erläuterte; Girard-Turbine heißt schlechthin die Axialturbine ohne Überdruck, Schwamkrugturbine die radiale Partialturbine ohne Überdruck (Tangentialrad). Das Peltonrad, von der Pelton Water Wheel Co. in San Francisco, ist ein im letzten Jahrzehnt zu großer Bedeutung gelangtes Strahlrad, das zur Ausnutzung von Gefällen bis zu 500 m gebaut wird und in kleinerer Ausführung sich als vorzügliche Kleinkraftmaschine bewährt. Aus den Niagarafällen ziehen die Vereinigten Staaten und Kanada mit Einrechnung der noch im Bau begriffenen Anlagen 600,000 Pferdekräfte, die nicht allein an Ort und Stelle, sondern mittels elektrischer Kraftübertragung in einem weitern Umkreise nutzbar gemacht werden. Vorbildlich war die 1891 in Frankfurt a. M. vorgeführte Kraftübertragung von Lauffen (Neckar) nach Frankfurt a. M. Mit den Fortschritten der Elektrotechnik steigerten sich die Leistungen im Turbinenbau, vor allem in bezug auf ihre Regulierung.

Vgl. Redtenbacher, Theorie und Bau der Wasserräder (2. Aufl., Mannh. 1858) und der Turbinen (2. Aufl., das. 1860); Bach, Die Wasserräder (Stuttg. 1886); Herrmann, Die graphische Theorie der Turbinen und Kreiselpumpen (3. Aufl., Berl. 1906); Reiche, Die Gesetze des Turbinenbaues (Leipz. 1877); Ludewig, Allgemeine Theorie der Turbinen (Berl. 1890); Henne, Die Wasserräder und Turbinen (3. Aufl., Leipz. 1903); Ehemann, Hydraulische Motoren (das. 1901); Keßler, Berechnung und Konstruktion der Turbinen (4. Aufl., das. 1905); Meißner, Die Hydraulik und die hydraulischen Motoren, Bd. 2: Turbinen und W. (2. Aufl. von Nowak, Jena 1896); W. Müller, Die eisernen Wasserräder (Leipz. 1899, 2 Bde.) und Die Francis-Turbinen und die Entwickelung des modernen Turbinenbaues (2. Aufl., Hannov. 1905); Brauer, Grundriß der Turbinentheorie (Leipz. 1899) Zeuner, Vorlesungen über Theorie der Turbinen (das. 1899); Danckwerts, Die Grundlagen der Turbinenberechnung (Wiesbad. 1904); Graf, Theorie, Berechnung und Konstruktion der Turbinen (2. Aufl., Münch. 1904); Pfarr, Die Turbinen für Wasserkraftbetrieb (Berl. 1907); Gelpke, Turbinen und Turbinenanlagen (das. 1906); Thomann, Die Wasserturbinen (Stuttg. 1908); Escher, Theorie der Wasserturbinen (Berl. 1908); Zeitschrift: »Die Turbine« (hrsg. von Mewes, das., seit 1904).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 417-418.
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