[687] Elektrotechnik, die technische Erzeugung elektrischer Energie und die technische Verwertung ihrer Eigenschaften. Die Erzeugung elektrischer Energie, die früher ausschließlich auf die galvanischen Elemente angewiesen war, konnte für die weitesten Kreise der Technik erst Bedeutung erlangen, nachdem es gelungen war, sie in größtem Maßstab mit Maschinen zu bewerkstelligen. Reichen auch die Anfänge der Erzeugung elektrischer Energie mit Maschinen bis 1832 zurück, so datiert doch der Aufschwung der E. von der Entdeckung des dynamoelektrischen Prinzips durch Werner Siemens und Wheatstone 1867 (s. Elektrische Maschinen). Erst von dieser Zeit an begann die fabrikmäßige Herstellung elektrischer Maschinen, deren Bau auf Grund der theoretischen Arbeiten von Hopkinson, Kapp u.a. so vervollkommt wurde, daß sie jetzt über 90 Proz. der mechanischen Energie in nutzbare elektrische Energie umsetzen. Man unterscheidet Schwachstromtechnik, die hauptsächlich Telegraphen-, Fernsprech- und Signalwesen sowie den Sicherungsdienst umfaßt, und Starkstromtechnik, bei der die elektrischen Maschinen zur Anwendung kommen. Während diese Maschinen mechanische Energie in elektrische umwandeln, ergeben sich durch geeignete Umgestaltung derselben die Elektromotoren (s. d.), die umgekehrt elektrische Energie in mechanische umsetzen. Hierauf beruht die Bedeutung der elektrischen Arbeitsübertragung, welche die Möglichkeit gewährt, die in der Natur vorhandenen Kräfte in viel vollkommenerer Weise als bisher auszunutzen. Diese Art der Arbeitsübertragung besitzt gegenüber jeder andern ganz erhebliche Vorteile, und[687] da auch die Elektromotoren den andern Motoren vielfach überlegen sind, so haben die Anwendungen der E. eine immer größere Verbreitung gewonnen, und es gibt nur noch wenige Zweige der Technik, die sich ihrer nicht mit Erfolg bedienten. Die elektrischen Bahnen aben die Pferdebahnen fast ganz verdrängt, Kleinbahnen werden bereits elektrisch betrieben, und die Ausdehnung dieses Betriebes auf Vollbahnen wird immer aussichtsreicher. Im Bergbau und Hüttenbetrieb, in der Landwirtschaft, auf Kriegs- und Handelsschiffen, bei Hafenanlagen gewinnt die E. immer mehr an Bedeutung. Nicht wenige dieser Fortschritte sind der Vervollkommnung der Sammlerbatterien zu verdanken, die jetzt weitgehenden Anforderungen genügen, und wenn auch die elektrische Beleuchtung die Gasbeleuchtung nicht hat verdrängen können und schwerlich jemals verdrängen wird, so steht sie doch hinter dieser an Ausbreitung keineswegs zurück. Sie macht täglich neue Fortschritte und hat sich namentlich auch viele kleine Ortschaften, besonders der Gebirge, erobert, denen Wasserkräfte zur Verfügung stehen. Ebenso ist die Bedeutung der E. für Galvanoplastik, Galvanostegie und Metallurgie sehr gewachsen. Die Elektrometallurgie ist für die Gewinnung und Raffination vieler Metalle, namentlich des Kupfers, von Wichtigkeit geworden, die Aluminiumgewinnung ist ein elektrochemischer Prozeß, auch schwer reduzierbare Metalle, wie Chrom, Wolfram, Molybdän, Uran, Titan etc., werden in elektrischen Ofen mit Hilfe des Lichtbogens gewonnen. Für die chemische Industrie kommt die Darstellung der Metallkarbide, insbes. des Calciumkarbids, des Phosphors, Wasserstoffes, Sauerstoffes und Ozons, des Natriums, Ätzkalis und Atznatrons, der Soda, des Chlors, des Chlorkalks, der chlorsauren Salze etc. in Betracht, in der organischchemischen Technik ist die Reduktion von Nitroverbindungen für Anilinfabrikation und die Darstellung einiger Teerfarbstoffe gelungen. Die Reindarstellung von Farbholzextrakten und des Indigo ist in Angriff genommen. Auch bei der Zuckerfabrikation, in der Gerberei und zur Herstellung des Weines bedient man sich jetzt der Elektrolyse. Bedeutende Förderung erhielt die E. durch die Weltausstellungen sowie durch besondere elektrotechnische Ausstellungen, wie solche 1881 in Paris, 1882 in München, 1883 in Wien und 1891 in Frankfurt a. M. stattfanden. Internationale Elektrikerkongresse tagten 1881 und 1889 in Paris, 1891 in Frankfurt a. M., 1893 in Chicago etc.; sie haben sich namentlich die Feststellung der elektrischen Maße angelegen sein lassen. Ein Verband der Elektrotechniker Deutschlands wurde 1893 in Berlin gegründet.
[Hygienisches.] Die Gefährdung des Menschen durch Elektrizität kann eine doppelte sein, indem entweder die Energie oder die Stromstärke das Entscheidende ist. Bei Anwendung großer Energien entsteht durch den Strom eine vollständige Zerstörung des Zentralnervensystems oder doch seiner für das Leben wichtigen Zentren im Rückenmark. Eine solche Zerstörung bewirkt bei den amerikanischen Hinrichtungen die Einwirkung einer Spannung von 15001800 Volt während längerer Zeit. Man läßt den Strom, der, in den Kopf eingeleitet, die Nervenzentren unmittelbar trifft, mehreremal mit der größten Stärke von acht Ampere wirken, geht aber dann zu geringern Stromstärken über. Jene ersten Stöße haben den Zweck, das Bewußtsein aufzuheben, die weitere Wirkung des Stromes ist das endgültige Töten des ihm ausgesetzten Verbrechers. Doch erfordert dies einen Aufwand von 1420 Pferdekräften, die längere Zeit hindurch wirken. Es ist also nicht möglich, durch solche Ströme sich die Unglücksfälle im elektrischen Betrieb, die vorgekommen sind, zu erklären. Diese entstehen vielmehr dadurch, daß durch eine plötzlich eintretende verhältnismäßig geringe Beeinflussung ein Nerv oder ein Teil eines Nervs zu stark gereizt wird und infolge dieses Reizes, der ebenso une ein heftiger Schrecken wirkt, seine Tätigkeit einstellt. Da ein solcher Schlag meist durch die Hand oder den Arm eintritt, so muß er notwendig die Schulter passieren und trifft hier den die Atmung und die Herzbewegung betätigenden Nerv, den Nervus vagus Die Folge ist meist eine Lähmung der Lunge, die vorübergeht, wenn sofort künstliche Atmung eingeleitet wird, die aber ohne diese Hilfe meist zum Tode führt. Einen so Betäubten muß man also wie einen aus dem Wasser bewußtlos Herausgezogenen behandeln, Rock und Weste ausziehen, den Halskragen öffnen, den Rücken aber hoch legen, so daß der Kopf des auf den Rücken Gelegten herabhängt, dann die Arme über den Kopf heben und dort zusammenlegen, sie wieder auf die Brust legen, wieder in der angegebenen Art heben und dies so lange fortsetzen, bis die Atmung wieder einsetzt. Sollte dies Mittel fehl schlagen, so wird ein starkes Spannen des Muskels, der das untere Eingeweide beherrscht, eine kräftige Reizung erregen und unwillkürliche Atmung hervorbringen. Hierzu wird der Verunglückte auf eine Seite gelegt, der Mittel- und Zeigefinger in den After eingedrückt, der Muskel plötzlich und heftig nach dem Rückgrat gezogen, wobei es wünschenswert sein kann, die künstliche Atmung zugleich fortzusetzen. Auch Einführen von Sauerstoff in die Lungen des Verunglückten oder Schlagen und Reiben mit warmen Tüchern kann von Nutzen sein. Vor allen Dingen aber schicke man sogleich nach dem Arzt. In seltenen Fällen bringt der plötzliche Stromreiz das Herz zum Stillstand. Wie nun auf verschiedene Personen ein Schrecken verschieden, wie er auf dieselbe Person zu verschiedenen Zeiten verschieden wirlt, so mag es sich auch aus persönlicher Veranlagung oder aus augenblicklicher Disposition erklären, das Kurzschlüsse von 2000 Volt durch den Körper in einzelnen Fällen tödlich gewirkt haben, in andern nicht. Insbesondere scheint der Alkoholgenuß eine gesteigerte Reizbarkeit zur Folge zu haben. Versuche haben gezeigt, daß Wechselströme von 0,1 Ampere Stärke sich als gefährlich erwiesen, und es ist wohl anzunehmen, daß in Fällen, wo geringere unerträglich wurden, nachdem vorher stärkere ertragen waren, dies sich dadurch erklärt, daß durch die vorhergehenden Versuche die Reizbarkeit der Nerven erhöht worden war. Gegen diese Stromstärken ist nun der Mensch durch den Widerstand geschützt, den er im Augenblick des Stromschlusses in die gegebene Spannung einschaltet. In dem bei Unglücksfällen wohl nicht in Betracht kommenden Falle, daß eine Person mit beiden Händen zwei Leitungen, in denen verschiedene Spannungen herrschen, berührt, setzt sich der Widerstand von Hand zu Hand aus dem Widerstande des von der Haut entblößten Körpers durch die Arme und durch die Brust hindurch und dem Widerstande der Haut zusammen. Jener beträgt etwa 500 Ohm, dieser bei 1 qcm Berührungsfläche 50,000 Ohm. Die Verührungsfläche einer den Draht voll umschließenden Hand beträgt etwa 100 qcm. Der Widerstand der Haut würde also 500 Ohm betragen. Würde ein Arbeiter also eine Leitung fest fassen, eine zweite aber mit der Fingerspitze[688] berühren, so würde er erst bei einer Spannung von 1500 Volt gefährdet sein, berührte er die zweite Leitung aber mit einem metallenen Stab, den er in der Hand hielt, so könnte eine viel niedrigere Spannung bereits verhängnisvoll werden. Wichtiger sind die Fälle, wo ein auf dem Fußboden stehender Mensch mit einer Hand eine Strom führende Leitung berührt. Hat dann eine andre Stelle der Leitung, vielleicht der andre Pol der Maschine, Erdschluß, so kann durch seinen Körper und den Erdboden ein gefährlicher Kurzschluß entstehen. Aus alledem geht hervor, daß es unmöglich ist, Spannungen von Gleich- oder Wechselströmen anzugeben, die unter allen Umständen tödlich wirken. Eine Spannung von 1000 Volt bei Gleichstrom und von 600700 Volt bei Wechselstrom wird für gewöhnlich als todbringend angesehen. Erfolgen aber die Wechsel so rasch, wie bei den von Tesla angestellten Versuchen, so können auch Wechselströme von sehr viel höhern Spannungen ohne Schaden ertragen werden.
Sicherheitsmaßregeln. Während in Frankreich und England die Ausführungen elektrischer Anlagen auf dem Wege der Gesetzgebung geregelt worden sind, hat sich die E. in Deutschland unbeeinflußt von jeder Einwirkung oder Aussicht des Staates frei entwickeln können. Seit 1895 hat sie sich in den vom Verband deutscher Elektrotechniker (s. oben) ausgearbeiteten Sicherheitsvorschriften eigne Gesetze gegeben, welche die Vorschriften für Anlage, Leitungen und deren Verlegung und Isolation, Beleuchtungskörper etc., und zwar gesondert für Niederspannungsanlagen bis 250 Volt, für Mittelspannungsanlagen von 2501000 Volt und für Hochspannungsanlagen mit Spannungsunterschieden, die 1000 Volt überschreiten. Auch für elektrische Bahnen sind von dem genannten Verein besondere Vorschriften gegeben. Sicherheitsvorschriften für elektrische Anlagen hat auch der elektrotechnische Verein in Wien 1888 aufgestellt. Vgl. »Sicherheitsvorschriften für elektrische Starkstromanlagen« (hrsg. vom Verband deutscher Elektrotechniker, Berl. u. Münch. 1896), dazu Erläuterungen von Weber (6. Aufl., das. 1903). Weiteres s. Elektrizitätsindustrie.
Vgl. Schwartze, Katechismus der E. (7. Aufl., Leipz. 1901); Ferrini, Technologie der Elektrizität und des Magnetismus (deutsch, Jena 1878); »Elektrotechnische Bibliothek« (Wien 1882 ff.); Kittler, Handbuch der E. (Bd. 1, 2. Aufl., Stuttg. 1892; Bd. 2, unvollendet, 1890); Frölich, Handbuch der Elektrizität etc. (2. Aufl., Berl. 1887); Ayrton, Practical electricity (3. Aufl., Lond. 1888; deutsch, Jena 1889; Neubearbeitung, Lond. 1896, Bd. 1); Erhardt, Einführung in die E. (2. Aufl., Leipz. 1903); »Vademekum für Elektrotechniker« (4. Aufl., hrsg. von Wilke, Halle 1894); Heinke, Handbuch der E. (Leipz. 1900 ff., Sammelwerk); Grawinkel-Strecker, Hilfsbuch für die E. (6. Aufl., Berl. 1900); Stöckhardt, Lehrbuch der E. (Leipz. 1901); Gerland, Lehrbuch der E. (Stuttg. 1903); »Elektrotechnische Zeitschrift« (Berl., seit 1880); »Zeitschrift für E.« (Wien, seit 1883); »Fortschritte der E.« (hrsg. von Strecker, Berl. 1887 ff.); »Kalender für Elektrotechniker« (hrsg. von Uppenborn, München); »Kalender für E.« (hrsg. von Krämer, Wien) und weitere Literatur bei Elektrochemie und Elektrometallurgie.
Vgl. die Übersicht der elektrotechnischen Artikel, S. 603.
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