Wohnungsinspektion

[718] Wohnungsinspektion, die amtliche Tätigkeit, durch welche die Wohnungen beaufsichtigt und die durch Überfüllung oder bauliche Mängel hervorgerufenen Mißstände beseitigt werden soll. Die erste W. wurde in Frankreich schon 1850 geschaffen, ist aber niemals praktisch tätig geworden. Dagegen ist England auf diesem Gebiete mit der Public Health Act von 1875 (1890 und 1891 erweitert) bahnbrechend vorgegangen, indem es eigne Behörden für die Wohnungspflege bei den städtischen Sanitätsbehörden schuf und diesen einen bestimmten Wirkungskreis und bestimmte Aufgaben übertrug. Es bestehen Vorschriften über ein gewisses Maß von Reinlichkeit, Ent- und Bewässerung, Kellerwohnungen, gesundheitswidrige Überfüllung von Wohnräumen und Häusern; unter Umständen kann der Umbau oder die Schließung eines Gebäudes verfügt werden. In Belgien bestehen Wohnungskommissionen (ehrenamtliche [718] Organe) schon seit längerer Zeit, die allerdings keine Zwangsgewalt besitzen. Gesetzliche Vorschriften nach Art der englischen bestehen seit Anfang der 90er Jahre des 19. Jahrh. in denjenigen Staaten der nordamerikanischen Union, in denen größere Städte gelegen sind. In Deutschland haben der Verein für Sozialpolitik, der Verein für öffentliche Gesundheitspflege u. a. eine einheitliche Gesetzgebung für ganz Deutschland oder mindestens die Einzelstaaten verlangt, die das Bewohnen ungesunder Wohnungen verbieten, die gesundheitswidrige Überfüllung derselben und eine übermäßige Verminderung des Luftraumes namentlich in Schlafstellen vermindern und dafür eigene Behörden mit Zwangsgewalt schaffen sollte. Jedoch ist ein Reichswohnungsgesetz bislang nicht zustande gekommen; dagegen haben zahlreiche Einzelstaaten teils durch Gesetze, teils auf dem Wege der Verordnung Abhilfe zu schaffen gesucht. Durch eigene Gesetze haben Hessen (1. Juli 1893) und Hamburg (8. Juni 1898) die polizeiliche W. zu regeln gesucht. In Bayern ist durch Verordnung vom 10. Febr. 1901 die Handhabung der Wohnungsaufsicht geordnet worden, indem für Städte und Orte mit dichter Bevölkerung eigene Wohnungskommissionen und Wohnungsinspektoren geschaffen wurden. Ähnliche Verordnungen bestehen in Württemberg (21. Mai 1901) hinsichtlich der Oberamtsstädte. Baden und Sachsen haben sich mit Anregungen gegenüber den Gemeindebehörden begnügt, doch hat z. B. Dresden durchgreifende Vorschriften erlassen. In Preußen sind mehrere Städte selbständig auf Grund des § 60, Titel 17, Teil II des allgemeinen Landrechts vorgegangen. Zweifellos sind bereits beachtenswerte Ansätze zur Lösung der Aufgabe einer rationellen W. gemacht, aber von einer eigentlichen Lösung ist man noch weit entfernt. Teils ist der Umfang der Wohnungspflege noch recht eng bemessen (so fehlt in der Regel alle Aussicht auf dem Lande, obwohl auch hier die Zustände recht verbesserungsbedürftig sind), teils fehlt es an geeigneten Organen der W. Vgl. die Literatur beim Artikel »Wohnungsfrage«.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 718-719.
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