Gelehrsamkeit

[106] Gelehrsamkeit, der Inbegriff wissenschaftlicher Kenntnisse im objectiven u. der Besitz derselben im subjectiven Sinne. In dem Alterthum hatte die höhere Bildung der Griechen u. Römer keine sehr große Ausdehnung, sie ging mehr in die Tiefe als in die Breite, u. kann deshalb nicht als wahre G. bezeichnet werden, während die Alexandrinische Schule mehr nach einer Summe von Kenntnissen strebte. Im Mittelalter war Anfangs die G. nur Sache der Geistlichkeit, u. erst durch die Gründung von Schulen u. Universitäten entwickelte sich allmälig ein Stand der Gelehrten, der sich indeß nicht immer von dem Vorwurf eines gewissen Pedantismus frei erhielt. Eigentlich schließt G. die sämmtlichen, sowohl philosophischen als historischen, wissenschaftlichen[106] Kenntnisse in sich, oft aber wird das Wort blos auf die letzten od. auch auf ein einzelnes Hauptsach des menschlichen Wissens bezogen u. ist so v.w. Literatur. Daher Gelehrt, was sich auf Wissenschaften bezieht, im Gegensatz von Künsten u. vom gemeinen Leben. Daher Gelehrte Sprachen, die griechische u. lateinische Sprache, weil man Kenntniß derselben bei jedem Gelehrten voraussetzt. Daher ist ein Gelehrter zunächst Einer, der beiderlei Arten von Kenntnissen durch methodisches Studium inne hat; dann der von den Wissenschaften blos historische Kenntnisse besitzt (sonst auch Literator); endlich im gemeinen Leben auch Einer, der die Universität bezogen hat. Einer, welcher sein Wissen nur dem Selbststudium verdankt, heißt ein Autodidact (s.d.) Wem Kenntnisse von den meisten Wissenschaften im vorzüglichen Maße eigen sind, heißt Polyhistor; wer sie vornehmlich in einer der vier Facultäten besitzt, Facultätsgelehrter. Wenn alle wissenschaftlichen Wahrheiten die Untersuchung der Wahrheit u. die Ausbildung der Seelenkräfte zur Absicht haben müssen u. die Verbesserung der Einsichten auf den Willen u. das Glück des Menschen vortheilhaft wirkt, so kann der Nutzen der G. nicht bezweifelt werden. Und wenn sie Vorurtheil, Dünkel (Gelehrtenstolz, Gelehrtendünkel) Spitzfindigkeit od. Zweifelsucht hervorbringt, so ist dies Frucht ihres Mißbrauchs. Nösselt, Über den wahren Begriff der G., in Voß u. Heinzelmanns philosophischen Blicken, St. 1., Halle 1789; Fichte, Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, Jena 1795; Desselben, Über das Wesen des G. lehrten u. seine Erscheinung im Gebiete der Freiheit, Berl. 1806; Tittmann, Über die Bestimmung des Gelehrten, Berl. 1833.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 106-107.
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