Harnruhr

[53] Harnruhr (Diabetes, Polyuria), ungewöhnlich starke Vermehrung der Harnabsonderung, wobei zugleich die Mischung des Harns verändert ist u. die Ernährung des Körpers darunter leidet. Charakteristisch ist bei der H. der bes. zur Nachtzeit unlöschbare Durst u. eine die genossenen Getränke an Menge scheinbar übertreffende Harnabsonderung. Die Farbe des Harns ist bei den gelinderen Graden wasserhell, bei den höheren gefärbt, bald ohne Geschmack (Diabetes insipidus), bald süßlich riechend u. schmeckend (D. mellitus, Zucker- od. Honigharnruhr). Letzter enthält Zucker u. geht daher in weinige od. sauere Gährung über, wird kahmig u. fault fast gar nicht. Die Haut des Kranken ist trocken u. schuppig, oft stellen sich Entzündungen der Vorhaut ein nebst Erschlaffung der Genitalien u. Impotenz, so wie überhaupt andere Zeichen lähmungsartiger Schwäche des Nervensystems, z.B. der Schwarze Staar, endlich geht der Zustand in Abzehrung über, am häufigsten Tuberkelschwindsucht, u. der Tod erfolgt unter hektischem Fieber. In seltenen Fällen der H. findet sich statt des Zuckers Hippursäure. Die H. verläuft äußerst langsam, setzt zuweilen aus u. befällt am häufigsten Männer im mittlern u. höheren Lebensalter. Als Ursachen werden vor Allen junge säuerliche Weine u. gährende Biere angeschuldigt, ferner der Mißbrauch harntreibender u. auf den Geschlechtsreiz wirkender Mittel. Man hat auch Erblichkeit der Krankheit beobachtet. Die Behandlung ist noch immer ohne wissenschaftliche Begründung geblieben u. keine der verschiedensten empirischen Methoden kann sich besonderer Erfolge rühmen. Fleischkost mit thunlichster Vermeidung derjenigen Nahrungsmittel, welche Zucker enthalten od. zu Zucker umgewandelt werden (mehlreiche Stoffe, z.B. zu denen gerade die Kranken ein fast unwiderstehliches Verlangen haben), muß als Hauptbedingung der Cur gelten. Vgl. Stosch, Pathologie u. Therapie des D. mellitus, Berl. 1828; Bell, An essay on diabetes, Lond. 1842; Cohen, Het wezen en de razionele Behandeling van den sog. D. mell., Groning. 1845.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 53.
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