Lieven

[370] Lieven (Liewen), ein altes berühmtes, nordisches Adelsgeschlecht, welches die älteste u. einzig noch übriggebliebene livische Adelsfamilie Liv- u. Kurlands war u. zum Stammvater einen alten fürstlichen Liven mit Namen Kubbe hatte, welcher zu Ende des 12. Jahrh. lebte, u. dessen reiche Erblande sich längs der Düna bis an die Ostsee erstreckten. Es theilt sich in eine schwedische u. eine russische Branche: A) Schwedische Linie, diese erhielt 1789 den Grafenstand, erlosch aber 1847 im Mannesstamme. Aus ihr ist berühmt: 1) Graf Johann Heinrich, geb. 1670 in Livland; nahm schwedische Kriegsdienste u. begleitete Karl II. fast auf allen seinen Feldzügen. Nach der Schlacht bei Pultawa gab er sich in Constantinopel große Mühe einen Krieg gegen Rußland zu bewirken, wurde nach Karls Rückkehr nach Schweden Generallieutenant[370] u. erhielt die Direction der Admiralität in Karlskrona, wurde 1719 Senator, 1721 Reichsrath in Schweden u. st. 1733. B) Russische Linie, wurde 3. September 1826 in den Fürstenstand erhoben. Berühmt sind aus ihr: 2) Fürstin Charlotte Karlowna, geb. v. Posse, Wittwe des russischen Generalmajors Andreas Romanowitsch von L.; wurde Erzieherin der Kinder des Kaisers Paul I., 1794 Ehrendame der Kaiserin, 1799 Gräfin, 1801 Oberhofmeisterin, 1826 bei der Krönung ihres Zöglings Kaiser Nikolaus I. für sich u. ihre Familie in den Fürstenstand erhoben u. st. 1828. 3) Fürst Karl Andreiewitsch, geb. um 1765, wurde 1797 Generalmajor, 1817 Curator der Universität Dorpat, 1826 Staatsrath, 1827 General der Infanterie, 1828–33 Minister der Volksaufklärung, 1834 kaiserlicher Palastmarschall u. st. 1856. 4) Fürst Christoph Andreiewitsch, bei den Friedensverhandlungen in Tilsit Generallieutenant, dann Kriegsminister, 1811–12 bevollmächtigter Gesandter in Berlin, 1813–34 in London, war bes. thätig für Griechenland bei dem Tractat vom 6. Juli 1827 u. bei der Trennung Belgiens von Holland, überhaupt bei den Londoner Conferenzen; wurde nach denselben Gouverneur des Großfürsten (jetzigen Kaisers) Alexander, bereiste mit demselben Südeuropa u. st. den 10. Januar 1839 in Rom. 5) Fürstin Daria (Dorothea) Christophorowna, geb. im Decbr. 1786, Tochter des Generals Christoph v. Benkendorff, welcher in der Garde der Kaiserin Katharina II. diente, Schwester von Benkendorff 1) u. 2), erhielt ihre Erziehung in dem adeligen Fräuleinstift in Petersburg, wurde durch die Fürstin Charlotte von L. (s.d. 2) in die kaiserliche Familie eingeführt, gewann sehr bald die Zuneigung u. Protection der Kaiserin Maria Feodorowna, wurde von dieser noch sehr jung mit dem Vorigen vermählt, begleitete ihn 1811 nach Berlin u. 1812 nach London, wo sie in der diplomatischen Welt eine sehrwichtige Rolle spielte; 1828 wurde sie Ehrendame der Kaiserin, blieb nach dem Tode ihres Gemahls in Paris u. dort, wie früher in Berlin u. London, waren ihre Salons, wo sich die diplomatischen u. politischen Notabilitäten der verschiedensten Richtungen versammelten, die interessantesten; namentlich gehörte Guizot zu den eifrigsten Besuchern dieser Salons. Beim Ausbruch der Februarrevolution 1848 ging sie nach London, kam im folgenden Jahr kurze Zeit wieder nach Paris, lebte dann zeitweilig in Brüssel, besuchte Frankfurt u. Nizza, kehrte 1853 wieder nach Paris zurück, ließ sich dem Napoleonischen Hof vorstellen, verließ nach Ausbruch des Krimkrieges im Februar 1854 Paris, ging nach Brüssel, zog jedoch trotz des noch fortdauernden Krieges bereits im Jan. 1855 wieder nach Paris u. starb hier am 27. Jan. 1857. Ihre Denkwürdigkeiten, die sie vor ihrem Tode noch vollendet, vermachte sie Guizot.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 10. Altenburg 1860, S. 370-371.
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