Minister

[297] Minister (lat.), 1) Diener jeder Art; 2) höchster Staatsbeamter, u. zwar führen die Gesandten zweiter Klasse den Titel Bevollmächtigte M. (Ministres plénipotentiaires), während die M. dritter Klasse blos Minisierresidenten (Ministres résidents) heißen, s.u. Gesandter; bes. heißen aber M. 3) die Beamten, welche dem Fürsten einer Monarchie od. dem Präsidenten eines Freistaats berathend zur Seite stehen. Zuweilen führen auch solche M. den Namen Ministerstaatssecretär, ihre Gehülfen u. Stellvertreter heißen dann Unterstaatssecretär. Die Vertheilung der Geschäfte unter diese M. ist nach der Organisation jedes Staats verschieden, in den meisten größeren Staaten geschieht dieselbe jetzt nach den verschiedenen Branchen der Staatsangelegenheiten (sogen. Realsystem). Den Verhältnissen des Staats zu auswärtigen Mächten steht dann der M. der auswärtigen Angelegenheiten vor; der M. des Innern sorgt für die inneren Verhältnisse des Staats, zuweilen ist der M. der öffentlichen Arbeiten von ihm getrennt; der M. der Justiz (Justizminister) für die Verwaltung der Gerechtigkeitspflege, der M. der Finanzen (Finanzminister) für Ordnung in den Einnahmen u. Ausgaben des Staats; ihm zur Seite steht in manchen Staaten, wo ein öffentlicher Schatz existirt, noch der M. des Schatzes; ein M. des Krieges (Kriegsminister) steht an der Spitze der Verwaltung u. Organisation des Kriegsheeres; in Staaten, welche eine Flotte haben, sorgt ein Seeminister (Marineminister) für die Bedürfnisse derselben; ein M. der Polizei hat die Sorge für öffentliche Sicherheit unter sich; ein M. des Handels soll sich des Blühens desselben annehmen, hat auch meist die Aufsicht über Fabriken u. Gewerbe u. sucht sie zu befördern; ein M. des Cultus (M. der geistlichen Angelegenheiten) hat die Aufsicht über die kirchlichen Angelegenheiten der verschiedenen Religionsparteien; ein M. des Unterrichts (M. der Aufklärung) leitet u. befördert die Unterrichtsanstalten; ein M. des Hauses dirigirt die Privatangelegenheiten des Regenten u. seiner Familie, ihres Vermögens, ihrer Apanage etc. In kleineren Staaten u. in besondern Verhältnissen auch in bedeutenderen schmelzen mehre solcher Ministerien in eins zusammen. Oft nennt man ein einzelnes Ministerium bildlich Portefeuille, indem man die Vorträge eines M-s in einem solchen verwahrt denkt, womit sich derselbe zum Staatsoberhaupt od. zu Ministerialberathungen begeben will. Jeder M. hat ein besonderes Ministerium (Ministerialdepartement) unter sich, welches meist in Bureaux od. Sectionen getheilt ist, von denen jedes wieder in einem besonderen Fache arbeiet. Die Bureauchefs führen zuweilen den Titel Ministerialräthe, haben jedoch nur höchst selten eine collegialische Stimme bei den gefaßten Beschlüssen der einzelnen Ministerien. Die verschiedenen Ministerien bestehen in manchen Staaten ohne besondere Beziehung u. ohne collegialische Gesammtberathung neben einander u. arbeiten jedes für sich mit dem Staatsoberhaupte; Geschäfte, welche in zwei Ministerien einschlagen, werden durch Communicationen abgemacht. Die andere Art der Ministerialeinrichtung ist die, wo die einzelnen M. für die wichtigeren Angelegenheiten zu einer collegialisch gebildeten Gesammtbehörde, dem Staats- od. Gesammtministerium, zusammentreten u. sich zu eignen Ministerialberathungen versammeln, die unter Vorsitz des Staatsoberhauptes od. unter Leitung eines eignen Ministerpräsidenten, welcher zuweilen auch den Titel Premierminister, (Principalminister, Staatskanzler) führt, Statt finden. Dieser Premierminister führt auch in Abwesenheit od. auf Befehl des Staatsoberhaupts den Vorsitz dieser Ministerialberathungen, controlirt auch wohl die anderen M., kann auch zugleich einem einzelnen Departement (am häufigsten dem des Auswärtigen) vorstehen. Nehmen an solchen Versammlungen auch die Prinzen des Hauses, ausgezeichnete Generale, früher gewesene M., od. andre höhere Beamte, welche das Oberhaupt des Staats eigens hierzu ernannte, Theil, so heißt diese Versammlung Staatsrath. Zuweilen besteht aber derselbe als eine ganz selbständige Behörde neben dem Ministerium so, daß er die Thätigkeit der einzelnen Ministerien zu controliren, Competenzstreitigkeiten zwischen denselben zu schlichten, die Gesetze zu entwerfen u. bei den wichtigsten Staatsangelegenheiten eine vorberathende Stimme hat. In manchen Staaten, wie in Rußland, unterscheidet man das geheime Cabinet (welches durch Entscheidungen des Fürsten, außer dessen Privatangelegenheiten, auch die auswärtige Politik ordnet)[297] von dem Ministerium, u. darnach sind die Cadinetsminister, welche zu den Berathungen des Cabinets gezogen werden, u. Staatsminister, welche die übrigen Angelegenheiten des Staats berathen. Noch unterscheidet man zuweilen von den Staatsministern, welchedann eigentlich den einzelnen Ressorts des Staates vorstehen, die Conferenzminister, die blos zu Berathungen mit dem Fürsten zugezogen werden, ohne ein eigenes Departement zu haben. Als oberste Staatsbeamte nehmen die M. überall unter den Dienern der Fürsten den höchsten Rang ein, den sie nur etwa mit den höchsten Hofchargen theilen. In den Staaten mit constitutioneller Verfassung haben die M. noch die besondere Aufgabe, den ständischen Versammlungen als landesherrliche Commission beizuwohnen u. das Interesse der Regierung zu vertreten, auch auf an sie gestellte Interpellationen Auskunft zu ertheilen. An der Abstimmung selbst nehmen sie, insofern sie nicht zugleich Mitglieder der Ständeversammlung sind (was aber nach manchen Verfassungen nicht einmal zulässig ist), keinen Theil. Weil sie nur als Repräsentanten der Regierung bei den Verhandlungen gegenwärtig sind, kann deshalb auch wegen verletzender Äußerungen keine Rüge gegen sie ausgesprochen od. beschlossen, sondern deshalb nur Beschwerde beim Landesherrn erhoben werden. Dagegen steht den Ständen noch als ein eigenes Recht gewöhnlich das Recht auf förmliche Ministeranklage wegen verfassungswidriger Handlungen der M. zu, welche auf der Ministerverantwortlichkeit basirt. Außer daß die M., so wie jeder andere Staatsbeamte, dem Landesherrn für ihre Amtsverwaltung verantwortlich sind, hat sich nämlich nach dem Vorgange der englischen u. nordamerikanischen Verfassung in den constitutionellen Staaten der Grundsatz entwickelt, daß die M. als oberste Staatsbeamte auch den Ständen gegenüber verantwortlich seien, u. letztere daher namentlich da eine Anklage gegen die M. zu erheben befugt sind, wo Rechte des Landes verletzt worden sind, ohne daß der Landesherr selbst geneigt ist, die M. deshalb zur Verantwortung zu ziehen. Die Ausbildung dieses Grundsatzes ist indessen in den einzelnen Verfassungen bis jetzt noch eine sehr unvollkommene geblieben, u. namentlich zeigt sich darüber eine große Unklarheit, ob die diesfallsige Verfolgung der M. als ein eigentliches Strafverfahren od. nur als eine politische Einrichtung zu betrachten sei. In England trägt dieselbe durchaus den Charakter einer Criminalanklage wegen eines bestimmt zu benennenden Verbrechens (meist Hochverrath, Treason), wobei das Unterhaus als Ankläger, das Oberhaus als Richter erscheint u. letzteres dann jede Art der Strafe, selbst die Todesstrafe erkennen darf. In Nordamerika, wo das Haus der Repräsentanten die Anklage erhebt u. der Senat das Urtheil fällt, hat dagegen das Verfahren nur den Charakter einer politischen Maßregel, weil der Senat keine eigentliche Criminalstrafe, sondern nur Entsetzung vom Amte aussprechen darf. In den deutschen constitutionellen Verfassungen ist aber meist keins dieser Principe consequent durchgeführt, sondern eine Verbindung beider erfolgt, was zur Folge gehabt hat, daß die ganze Errichtung bis jetzt nur wenig praktisch geworden ist. Wo dergleichen Gesetze in den deutschen Staaten bestehen, ist meist als Regel angenommen, daß die Anklage wider die M. von den Ständen nur dann erhoben werden darf, wenn beide Kammern sie beschließen (ausgenommen in Preußen u. Württemberg), u. daß nur eine wirkliche u. vorsätzliche Verfassungsverletzung, nicht aber bloße Unzweckmäßigkeit beschlossener Regierungsmaßregeln den Gegenstand der Anklage bilden kann. Die Verhandlung u. Entscheidung über die Ministeranklage ist nach den Verfassungsgesetzen aller deutschen Staaten einer gerichtlichen Instanz, welche gewöhnlich die Bezeichnung Staatsgerichtshof (s.d.) führt, zugewiesen. In mehren Staaten sind die Functionen dieser Instanz dem höchsten Gerichtshof übertragen; in andern besteht der Staatsgerichtshof als besondere Gerichtsbehörde u. wird dann meist von dem Souverän u. den Ständen gemeinschaftlich besetzt. In der Regel ist für die Entscheidungen dieses Gerichtshofes das Begnadigungsrecht des Souveräns beschränkt, so daß der Landesherr weder Abolition ertheilen, noch die erkannte Strafe erlassen, mindestens aber den für schuldig erkannten M., ohne besondere Genehmigung der Stände, nicht wieder anstellen darf. Zur äußeren Beglaubigung der übernommenen Verantwortlichkeit für landesherrliche Erlasse in Regierungsangelegenheiten dient die Contrasignatur (Gegenzeichnung) der M., welche darin besteht, daß die M., welche bei der Verfügung mitgewirkt haben neben dem Landesherrn die Verfügung mit unterzeichnen. Diese Contrasignatur macht dann den besonderen Beweis der Mitwirkung Seitens des contrasignirenden M-s überflüssig, schließt aber nicht aus, daß auch andere M., welche sonst erweislich mitgewirkt haben, dennoch ebenfalls zur Verantwortlichkeit gezogen werden können. Vgl. B. Constant, De la respontabilité des ministres, Par. 1814 (deutsch von Ekendahl, Neust. 1831); Buddeus, Die Ministerverantwortlichkeit in constitutionellen Monarchien, Lpz. 1833; R. von Mohl, Die Verantwortlichkeit der M. in Einherrschaften mit Volksvertretung, Tüb. 1837.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 297-298.
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