Pseudo-isidorische Decretalen

[662] Pseudo-isidorische Decretalen, zu Ende des 8. u. zu Anfang des 9. Jahrh. erschien in Mainz eine Sammlung von Decretalen (s.d.), welche dem Bischof Isidor von Sevilla zugeschrieben wurden. Diese Decretalen waren dem Römischen Stuhl sehr vortheilhaft, sie schärften nämlich ein, daß der römische Bischof der alleinige Gesetzgeber u. Richter der Kirche sei, daß ohne seine Genehmigung weder Metropoliten noch Synoden etwas Gültiges beschließen könnten u. daß ohne seine Erlaubniß keine Synode gehalten werden dürfe. Sie enthalten Aussprüche der älteren römischen Bischöfe von Clemens Romanus bis auf Deusdedit, in 61 Briefen, welche mit wenigen echten Decretalen untermischt sind. Die barbarische Sprache, Anachronismen u. der Umstand, daß weder Papst Hadrian, noch Dionysius der Kleine diese Decretalen kannten, u. daß Stellen aus den Beschlüssen der Synode zu Paris 829 wörtlich darin vorkommen, zeigten ihre Unechtheit. Hinkmar, Erzbischof in Rheims, behauptete dies sogleich nach ihrem Erscheinen; allein Papst Nikolaus I. erklärte sich 865 für ihre Echtheit, ebenso spätere Päpste; Regino von Prüm, Burkard von Worms, Ivo von Chartres trugen sie in ihre Sammlungen von Kirchengesetzen ein u. Gratianus nahm 1130 viele in sein Decret (s. Decretum Gratiani unt. Corpus juris) auf. Seitdem erhielten sie ein Ansehen, welches fast dem der Canonischen Bücher im Neuen Testament gleich kam, obschon sich manche Stimmen in der Kirche gegen sie erhoben. Da man immer noch einige für ungültig ansah, so ließ Gregor IX. durch Raimund von Pennaforte eine kurze Sammlung von Decretalen in fünf Büchern fertigen, welche 1234 vollendet wurde u. vor Gericht u. auf Akademien gelten sollte. Diesen fügte Bonifacins VIII. 1297 noch ein sechstes Buch zu; endlich setzte Pet. Matthäus, ein holländischer Rechtsgelehrter, das siebente Buch hinzu. Erst Erasmus machte wieder auf die Unechtheit dieser Decretalen aufmerksam; Luther verbrannte[662] sie sogar, u. da die Sache durch die Reformation von Neuem zur Sprache kam, wurden sie von den Gelehrten, selbst von Katholiken, fast allgemein für unecht erklärt, als welche sie jetzt fast durchgängig erkannt werden. Den Verfasser nennt man gewöhnlich Pseudo-Isidorus; einige Kirchenschriftsteller, bes. Franzosen, nennen einen gewissen Isidorus Mercator (I. Peccator); Andere geben an, daß Riculf, Erzbischof von Mainz, sie im 8. Jahrh. mit aus Spanien gebracht habe, indeß dieser starb schon 814, u. in den Decretalen werden Stellen aus der Pariser Synode von 829 wörtlich wiederholt; And. nennen den Benedictus Levita, Diakonus von Mainz, welcher 845 in einer Fortsetzung von Ansegisus Capitularien Karls des Großen diese Decretalen fleißig benutzte; wenigstens ist der Ursprung derselben nicht sowohl in Rom, als in dem Fränkischen Reiche, u. zwar in der ersten Hälfte des 9. Jahrh., zu suchen. Außer den oben Genannten haben Marsilius von Padua, Nik. von Hontheim, Beraut von Bercastel u. Blondel (Pseudo-Isodorus, Genf 1628) die Echtheit dieser P. am eifrigsten bestritten. Sie erschienen im 1. Bande der Conciliensammlung von Jak. Merlin, Par. 1523, u. in der Patrologia von Migne, ebd. 1853, zusammengedruckt. Vgl. Knust, De fontibus et consilio Pseudo-Isidorianae collectionis, Gött. 1832; Wasserschleben, Beiträge zur Geschichte der falschen Decretalen, Berl. 1844; Roßhirt, Zu den kirchenrechtlichen Quellen des ersten Jahrtausends u. zu den P. D., Heidelb. 1849.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 13. Altenburg 1861, S. 662-663.
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