Tournai

[729] Tournai (spr. Turnä, flämisch Doornick), 1) Arrondissement in der belgischen Provinz Hennegau; 149,920 Ew.; 2) Hauptstadt desselben, an der Schelde u. an der Eisenbahn von Lille nach Brüssel; Festung mit Citadelle; hat 7 Vorstädte (St. Martin u. die von Lille auf dem linken, Morel, Sept Fontaines, d'Allain de Barge, d'Aire u. Valenciennes auf dem rechten Scheldeufer), schöne Quais, Kathedrale, das schönste Gebäude Belgiens aus der romanischen Periode), viele Kirchen u. Kapellen, 5 Hospitäler, Waisenhaus, Jesuitencollegium, Gymnasium, Athenäum, Bau-, Zeichnen-, Bildhauerakademie, Bibliothek, naturhistorisches Cabinet, Theater, Fabrikation von Baumwollenwaaren, Teppichen, Twist, Porzellan, Bronzewaaren; Handel bes. mit diesen Fabrikaten, durch 2 große Messen, 6 Leinwand- u. 2 Viehmärkte gehoben; 36,000 Ew. In der Nähe gesuchte Steine zum Deichbau. – T., sonst Turnacum, eine Stadt der Nervier, wird zuerst als bedeutende Stadt im 4. Jahrh. n. Chr. erwähnt, zu Anfang des 5. Jahrh. nahmen sie die Franken den Römern ab u. zerstörten sie. Doch muß sie bald wieder erbaut worden sein, denn Childerich residirte daselbst, soll die Kathedrale gebaut haben u. wurde auch zu T. begraben (u. dies Grab unter Leopold von Österreich, Gouverneur der Niederlande, im 17. Jahrh. wieder aufgefunden). Auch wurde sein Sohn Chlodwig I. hier geboren. T. erkannte die Oberherrlichkeit der Könige von Frankreich u. Philipp August unterwarf die Stadt völlig. 1340 wurde T. vergebens vom König Eduard III. von England belagert, aber erst Heinrich VII. entriß es 1513 den Franzosen; es wurde zwar 15.17 wieder herausgegeben. aber 1521 von den Kaiserlichen unter dem Grafen von Nassau erobert u. in dem Mad rider Frieden 1525 völlig mit den Spanischen Niederlanden vereinigt. In den niederländischen Unruhen fiel T. von der königlichen Sache ab, wurde 1581 von dem Herzog Alexander von Parma belagert, aber von der Prinzessin Maria von Espinois tapfer u. persönlich auf[729] der geöffneten Bresche vertheidigt, dort erhielt sie einen Schuß in den Arm u. mußte sich endlich ergeben (ihr wurde 1863 ein ehernes Standbild in T. errichtet). 1667 eroberte Ludwig XIV. nach langer Belagerung T., erhielt es im Aachener Frieden 1668 abgetreten u. vermehrte durch Vauban die Werke ansehnlich. 1709 wurde T. wieder von den Kaiserlichen erobert u. blieb in den Friedensschlüssen von 1713 u. 1715 denselben, nur wurde es als Barrièreplatz (s. Barrièretractat) betrachtet, u. die Holländer hatten daher das Recht in T. Besatzung zu halten. 1745 wurde erst die Stadt, dann die Citadelle durch die Franzosen unter dem Marschall von Sachsen belagert u. nach hartnäckiger Gegenwehr der Holländer eingenommen, im Frieden von 1748 aber zurückgegeben. Als Joseph II. den Barrièretractat 1781 aufhob, wurde auch T. geschleift. Es war daher im Französischen Revolutionskriege eine offene Stadt u. hatte nur als strategischer Punkt an der Schelde Wichtigkeit. Bei T. am 19. Mai 1794 Sieg Pichegru's über den Herzog von York. Auch die folgenden Tage war die Umgegend der Schauplatz heftiger Kämpfe, bis endlich die Schlacht von Fleurus im Juni 1794 die österreichisch-britische Armee bestimmte Belgien zu räumen (vgl. Französischer Revolutionskrieg S. 639). Auch 1814 wurde es von den Alliirten besetzt u. Anfang April vom Obersten Egloffstein gegen den französischen General Maison gehalten. Durch den zweiten Pariser Frieden wurde T., schon bei dem ersten Pariser Frieden niederländisch geworden, wieder zur Festung umgeschaffen u. auch seit 1816 ziemlich in den alten Formen ansehnlich wieder befestigt. 1830 kam es an Belgien. 3) Stadt im Arrondissement Tarbes des französischen Departements Ober-Pyrenäen; hat Mineralquellen (von Cap Beru); 1300 Ew.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 729-730.
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