Bild (Redende Künste)

[170] Bild. (Redende Künste)

Ein sinnlicher Gegenstand, der in der Rede entweder blos genennt, oder ausführlich beschrieben wird, in so fern er durch seine Aehnlichkeit mit einer andern Sache bedeutend wird. So wird der Schlaf ein Bild des Todes, der Frühling ein Bild der Jugend genennt, und so singt Haller:


Ihr Wälder, wo kein Licht durch finstre Tannen strahlt,

Wo sich in jedem Busch die Nacht des Grabes mahlt u. s. f.

Seyd mir ein Bild der Ewigkeit.


Die Bilder erweken klare und lebhafte Vorstellungen, die sehr faßlich sind, und darin man viel auf einmal, wie mit einem einzigen Blik, erkennt: wenn sie eine fühlbare Aehnlichkeit mit abstrakten Vorstellungen haben, so können sie also mit großem Vortheil an deren Stelle gesetzt werden. Sie thun alsdenn in der Rede den Dienst, den eine gemahlte Landschaft thut, die man jemanden vorlegt, um ihm einen Begriff von der Gegend zu machen, die dadurch abgebildet ist; folglich sind sie Gemählde der Gedanken.

Die Bilder veranlasen ein anschauendes Erkenntniß der abgebildeten Sachen; sie geben den [170] abstrakten Vorstellungen einen Körper, wodurch sie faßlich werden. Gedanken, die wegen der Menge der dazu gehörigen Begriffe schweerlich mit einem Blik könnten übersehen werden, lassen sich dadurch festhalten. Also dienen die Bilder überhaupt, die verschiedenen Verrichtungen des Geistes zu erleichtern. Hiezu kommt noch, daß das Vergnügen, welches allemal aus Bemerkung der Aehnlichkeit zwischen dem Bild und dem Gegenbilde entsteht, die Eindrüke desto lebhafter und unvergeßlicher macht.

So lang eine Sprache an allgemeinen Ausdrüken arm ist, muß nothwendig das meiste durch Bilder ausgedrükt werden: daher sind die Reden der noch wenig gesitteten Völker durchaus mit Bildern angefüllt. Aber auch da, wo man die Gedanken allgemein ausdrüken könnte, werden die Bilder gebraucht, um die Vorstellungen ästhethisch zu machen: daher die Dichter vorzüglich, und nach ihnen die Redner, einen vielfältigen Gebrauch darvon machen.

Sie bekommen aber nach ihrer äusserlichen Form und auch nach der Art, wie sie angebracht werden, verschiedene Namen. Sind sie blos besondre Fälle, an denen man das Allgemeine leichter erkennen soll, so werden sie Beyspiele genennt; sind sie Dinge von einer andern Art, die neben das Gegenbild gestellt werden, so bekommen sie nach Beschaffenheit der Sache den Namen der Vergleichung oder des Gleichnisses, wobey die gewöhnliche Vergleichungswörter, wie, alswie, gleichwie, u. d. gl. gebraucht werden. Setzt man sie aber ganz an die Stelle der abgebildeten Sache, so daß diese gar nicht dabey genennt wird; so bekommen sie insgemein den Namen der Allegorie, auch bisweilen der Fabel, der Parabel, oder des allegorischen Bildes. Diejenigen Bilder, die nur beyläufig, ohne die Vergleichungsformeln, und so gebraucht werden, daß die Hauptsache ihren eigentlichen Namen behält, ihre Eigenschaften oder Würkungen aber durch Bilder ausgedrükt werden, bekommen den Namen der Metaphern, wie wenn man sagt: Die Jugend verblüht bald.

Die Haupteigenschaften eines Bildes sind diese: Es muß von bekannten Dingen hergenommen werden, die man sich leicht und mit großer Klarheit vorstellt; es muß eine genaue Aehnlichkeit mit dem Gegenbild haben; diese Aehnlichkeit muß schnell bemerkt werden können, so bald man das ganze Bild gefaßt hat; die Gattung der Dinge, woraus es genommen ist, muß nichts an sich haben, das dem Charakter des Gegenbildes entgegen sey. Man sieht ohne Mühe die Nothwendigkeit dieser Eigenschaften der Bilder ein.

Wegen der letzten Eigenschaft muß man am sorgfältigsten seyn, weil der Mangel derselben sehr widrige Würkung thun kann. Ernsthafte Vorstellungen würden durch comische Bilder, hohe Dinge durch niedrige, ganz verdorben werden. Nur bey scherzhaftem Vortrag ist es nicht nur erlaubt, sondern sehr vortheilhaft, diese Regel zu überschreiten, indem das Widersprechende oder Widerartige zwischen dem Bild und dem Gegenbild, eine Hauptquelle des Scherzhaften ist, wie an seinem Orte gezeiget wird.

Die Quellen, woraus die Bilder geschöpft werden, sind mannigfaltig; die leblose Natur; die Kunstwerke; die Sitten der Thiere und der Menschen; die Geschichte; die Mythologie, und endlich die Belebung lebloser Dinge: das Mittel aber zur Erfindung ist eine weitläuftige Kenntnis dieser Quellen mit einem scharfen Beobachtungsgeist und lebhaften Witz verbunden. Wer in Erfindung der Bilder glüklich seyn will, der muß ausser sich mit einem verweilenden, alles bemerkenden und durchforschenden Auge Natur und Sitten unaufhörlich beobachten; in sich selbst aber jeden bis zur Klarheit hervorkommenden Begriff, jede aufkeimende Empfindung bemerken, und sich den Eindrüken derselben eine Zeitlang überlassen. Denn dadurch bemerkt man die Aehnlichkeit der Dinge. Je grösser der Beobachtungsgeist des Sichtbaren und Unsichtbaren ist, desto reicher wird die Einbildungskraft an Bildern und Gemählden, die jede Vorstellung des Geistes und jede Regung des Herzens zu sichtbaren und fühlbaren Gegenständen machen. Denn die sichtbare Welt ist durchaus ein Bild der unsichtbaren, in welcher nichts liegt und nichts vorgeht, das nicht durch etwas materielles abgebildet würde. Es ist das eigentliche Werk der redenden Künste, uns die unsichtbare Welt durch die sichtbare bekannter zu machen. Also ist die Erfindung vollkommener Bilder beynahe das vornehmste Studium des Dichters.

Die unabläßige Beobachtung der Natur und der Sitten, zu welcher Bodmer viel nützliche Lehren an [171] die Hand giebt,1 ist der eine Weg zu Erfindung der Bilder; die Dichtungskraft, die abgezogenen Begriffen einen Körper giebt, die leblose Dinge in lebendige Wesen verwandelt, ist ein andrer Weg. So macht Horaz die Sorge, und fast alle Leidenschaften zu handelnden körperlichen Wesen, die uns überall verfolgen.2 Die Lebhaftigkeit der Einbildungskraft ist die einzige Quelle dieser Bilder. (S. Belebung; Dichtungskraft.)

Wer einige natürliche Anlage zur Erfindung und Erschaffung solcher Bilder hat, kann sie durch fleißiges Lesen der Dichter und Redner, denen diese Gabe einigermaaßen eigen war, noch sehr verstärken. So wie man bey vergnügten Menschen vergnügt, und bey melancholischen schweermüthig wird, so wird man auch bey witzigen witzig, wenn man nur irgend einen Funken Witz hat. Man wird daher allemal sehen, daß diejenigen, die viel mit witzigen Menschen umgegangen sind, über das Maaß ihrer natürlichen Anlage witzig sind. Wem der Umgang fehlt, der muß ihn durch das Lesen ersetzen.

So fürtreflich der Nutzen der Bilder ist, so sind sie, wie alle dinge, dem Mißbrauch unterworfen. Die Redner und Dichter, die durchgehends am meisten bewundert werden, haben sie als kostbare Würze mit behutsamer Sparsamkeit angebracht. Bey sehr wichtigen Begriffen und Vorstellungen, die man gerade zu nicht mit der gehörigen Stärke und Lebhaftigkeit ausdrüken kann, werden sie nothwendig; bey Nebensachen aber sind sie bloße Zierrathen, womit man sparsam umgehen muß. Sie sind wie Juweelen, die man nur an wenigen Stellen anbringen darf. Man findet deswegen, daß ihr Ueberflus, so wie der Ueberflus der Verzierungen in der Baukunst, allemal ein Vorbote des sich zum Untergang neigenden Geschmaks ist.

Es wäre angenehm und nützlich, wenn sich jemand die Mühe geben wollte, aus den Ueberbleibseln der griechischen Litteratur zu zeigen, wie von Homer bis auf die sogenannten Pleyaden, und von diesen bis auf die griechischen Rhetoren, von denen Rom zur Zeit der Kayser angefüllt war, der Gebrauch der auszierenden Bilder beständig in dem Maaße zugenommen, in welchem der männliche und gute Geschmak abgenommen hat.

Doch ist es in gewissen Fällen gut, wenn Bilder auf Bilder gehäuft werden. In Oden, wo eine einzige Vorstellung, die an sich selbst einfach ist, so lange wiederholt werden, und so genau auf alle Seiten gewendet werden muß, bis unsre ganze Vorstellungskraft völlig davon eingenommen ist, ist die Anhäufung der Bilder, die einerley Sache in verschiedenen Gestalten ausdrüken, das einzige Mittel zum Zwek zugelangen. Davon findet man häufige Beyspiele beym Horaz; so wie man beym Ovidius fast überall Beyspiele von Anhäufung der Bilder bey gemeinen, oder doch nur beyläufigen Vorstellungen findet, wie z. E. in dieser Stelle:


Littora quot conchas, quot amœna rosaria flores,

Quotve soporiferum grana papaver habet;

Silva feras quot alit, quot piscibus unda natatur;

Quot tenerum pennis aèra pulsat avis,

Tot premor adversis.3


Dieses fällt etwas ins läppische.

Auch da können Bilder mit Nachdruk aufgehäuft werden, wo man in starkem Affekt, den man durch Worte äussern will, immer besorget, man habe die Sachen noch nicht stark oder hinlänglich genug gesagt. In diesem Falle befand sich Horaz bey der folgenden Stelle, die man mit grossem Unrecht mit der vorhergehenden aus dem Ovidius, in eine Classe setzen würde.


Sed juremus in hæc: simul imis saxa renârint

Vadis levata, ne redire sit nefas,

Neu conversa domum pigeat dare lintea, quando

Padus Matina laverit cacumina,

In mare seu celsus procurrerit Appenninus,

Novaque Monstra junxerit libidine

Mirus amor: juvet ut tigres subsidere cervis,

Adulteretur & columba Milvo:

Credula nec ravos timeant armenta leones,

Ametque salsa levis hircus littora.4


Dergleichen Anhäufung der Bilder dienet auch, wenn man nichts mehr über eine Sache zu sagen hat, den Zuhörer eine Zeitlang in derselben wichtigen Vorstellung zu unterhalten. Dieser Fall kommt [172] am öftersten in der Ode und in der Elegie vor. Redner befinden sich bey pathetischen Stellen oft in demselben.

Auch die Form der Bilder, ihre Kürze oder Ausführlichkeit, muß aus der Absicht, die man hat, beurtheilt werden. Denn bisweilen thut ein durch wenig Züge gezeichnetes Bild alle Würkung, die man verlangt, da es andremale muß ausgezeichnet werden. Wenn Hermione beym Euripides, zu der Andromache, die, um ihr Leben zu erretten, an den Altar der Thetis geflohen war, sagt: Und wenn dich gleich geschmolzen Bley umgäbe, so will ich dich doch von dieser Stelle wegbringen;5 so ist dieses Bild, ob es gleich nur angedeutet wird, von der höchsten Kraft. Hermione hatte sich vorgenommen, die Andromache aus dem geheiligten Ort ihrer Zuflucht, wo es nicht erlaubt war, Hand anzulegen, durch ein ander Mittel heraus zu loken. Sie wollte den Sohn dieser unglüklichen Königin dahin bringen, und ihn vor den Augen der Mutter zu ermorden drohn, wofern sie den Altar der Thetis nicht verlassen würde. Dieses Mittel sah sie für so unfehlbar an, daß es seine Würkung thun müßte, wenn auch geschmolzen Bley um den Altar flösse. Ueberlegung und Geschmak müssen dem Dichter das Maaß der Ausführlichkeit an die Hand geben. Ueberhaupt scheinet es, daß die Bilder, welche auf Verstärkung oder Verschwächung einer Empfindung abzielen, allemal eher ganz kurz seyn können, als die, wodurch man die Vorstellungskraft zu lenken sucht. Diese Materie von dem Gebrauch der Bilder, ihren verschiedenen Würkungen, und den daher entstehenden Formen und Gattungen derselben, verdient überhaupt von den Kunstrichtern in ein völliges Licht gesetzt zu werden. Was hier der allgemeinen Betrachtung der Bilder fehlt, ist einigermaaßen in den Artikeln über die besondern Arten derselben ersetzt worden. S. Allegorie, Beyspiel, Gleichniß, Metapher.

1Critische Betrachtungen über die poetischen Gemählde im 1sten und 3ten Capitel.
2

Scandit æratas vitiosa naves

Cura; nec turmas equitum relinquit,

Ocior cervis, agente nimbo,

Ocior Euro.


–– Timor et minæ

Saudunt eodem quo dominus; neque

Decedit ærata triremi; et

Post equitem sedet atra cura

3Trist. V. 2.
4Epod. Od. 16.
5Eurip. Androm. vs. 265.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 170-173.
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