Das Wort hat mehrere Bedeutungen. Die Griechen nannten jedes Intervall, in so fern es als aus zwey, oder mehr andern zusammengesezt betrachtet wird, System; in diesem Sinne kann die Octave so genennt werden, in so fern sie aus einer Quart und einer Quinte zusammengesezt ist; die Quinte, in so fern sie aus einer kleinen und einer großen Terz zusammengesezt ist u.s.f. In besonderm Sinne wurd der Name der Quarte gegeben, in so fern sie auf verschiedene Arten aus kleinern Intervallen zusammengesezt wurde, deren Beschaffenheit die so genannten Genera, oder Gattungen des Systems ausmachten, nämlich das enharmonische, chromatische und diatonische. Auch die ganze Reyhe der Töne, die von den freyen Sayten eines Instruments angegeben wurden, hieß das System; daher denn endlich auch die Bedeutung des Wortes gekommen ist, nach der es die ganze Reyhe aller in der Musik brauchbaren Töne vom tiefsten bis zum höchsten anzeiget. Zu allen diesen Bedeutungen kommt in der heutigen Musik noch die, nach der man auch den fünf Linien, auf welche die Noten gesezt werden, den Namen des Systems giebt; insgemein aber werden diese Linien das Notensystem genennt.
Wir werden in diesem Artikel drey zur Theorie der Musik gehörige Punkte betrachten, von denen das Wort System gebraucht wird. 1 Das System einer diatonischen Octave. 2. Das System aller in Bezirk einer Octave liegenden in der heutigen Musik brauchbaren Töne, und 3. die Reyhe aller Töne unsrer Musik vom tiefsten bis zum höchsten.
1. Ohne Zweifel haben die Menschen lange gesungen, eh' es einem nachdenkenden Kopf einfiel eine Reyhe bestimmter Töne für den Gesang festzusezen. Die Geschichte sagt uns nichts Zuverläßiges von der Erfindung eines Tonsystems; aber da der menschliche Geist sich in allen Zeiten in dem allgemeinen Gange auf dem er seine Erfindungen macht, gleich bleibet, so haben wir hier nicht nöthig uns in der Dunkelheit des höchsten Alterthums um Nachrichten von dem Ursprung desselben umzusehen. Wir kennen noch genug halbwilde Völker, die ohne festgeseztes Tonsystem Lieder singen, und es ist zu vermuthen, daß die Griechen und andre Völker des Alterthums, bey denen die Musik zu einer ordentlichen Kunst geworden, es eben so werden gemacht haben. Der natürliche Sänger wählt die Töne, wie die Empfindung sie ihm in die Kehle legt, und weiß von keinem System, aus dem er sie zu wählen hätte. Wenn [1123] man einigen Reisebeschreibern glauben sollte; so müßte man auf die Vermuthung fallen, daß unser heutiges diatonisches System der menschlichen Kehle natürlich und gleichsam angebohren wäre. Denn sie geben uns von verschiedenen Völkern, die bloße Naturalisten im Singen sind, Lieder nach unserm diatomischen System in Noten gesezt. Aber man kann sich darauf wenig verlassen; und vermuthlich würde ein heutiger Neger oder Irokese sein von einem Europäer diatonisch aufgeseztes Lied, wenn es ihm vorgesungen würde, eben so wenig erkennen, als Cicero seine Reden von einem heutigen Schüler deklamirt, erkennen würde.
Es ist höchst wahrscheinlich, daß der Gebrauch der Instrumente den Einfall gewisse Töne festzusezen erzeugt habe. Sowol Pfeiffen, als besaytete Instrumente sind Erfindungen, auf die auch halbwilde Völker leicht fallen. Wollte nun der Erfinder eines solchen Instruments etwas singbares darauf herausbringen, so mußte er nothwendig ein System von Tönen darauf festsezen. Weil das Instrument nicht so wie die Kehle jeden Ton angiebt, den das Ohr des Spiehlers verlangt, sondern nur die festgesezten, die seine Beschaffenheit allein hervorbringen kann.
Wenn wir also sezen, Mercurius, oder wer der sonst seyn mag, der zuerst den Einfall gehabt, zwischen die Hörner eines Stierschädels einige Sayten zu spannen, und diese Lyre zur Begleitung seiner Lieder zu brauchen, sey nun in der Arbeit begriffen, diesen Sayten eine Stimmung zu geben, die sein Gehör befriedige: so entstehet die Frage, was er etwa für Gründe haben möchte, diese Sayten so und nicht anders zu stimmen; oder man kann fragen; wie wird dieser Erfinder wahrscheinlicher Weise seine Sayten stimmen? Da man natürlicher Weise voraussezen kann, er habe schon lange vorher sich im Singen geübet; so wird man auch annehmen können, er werde die Töne, die ihm in seinen Liedern am meisten gefallen, auf das Instrument zu bringen suchen, nämlich die gefälligsten Consonanzen. Es kann aber zu unsrer Absicht hinreichend seyn, wenn wir uns hier blos an die alte Tradition der Griechen halten, und die allgemeine Frage an diesem besondern Fall untersuchen. Die Erfindung der Lyra wird dem Mercurius zugeschrieben; und man sagt, er habe sie mit vier Sayten bespannt, die so gestimmt gewesen, daß die tiefste gegen die höchste die Octave, gegen die zweyte die Quarte, und gegen die dritte die Quint angegeben habe. Folglich hätte das erste System aus vier Tönen bestanden, die sich so gegen einander verhalten, wie in unserm System die Töne C, F, G, c.
So großes Mißtrauen ich sonst in die Sagen der Griechen seze, so kommt mir diese doch wahrscheinlich vor. Ich glaube, daß in jedem Lande der Welt, wo die Menschen einiges Gefühl für Wolklang haben, ein System, das nicht mehr, als vier Sayten haben sollte, nach einigen Versuchen, gerade so würde gestimmt werden; weil diese Intervalle die sind, die man durch Probiren bey allmähliger Erhebung der Stimme am leichtesten entdeken, und ins Gehör fassen kann. Es ist ganz natürlich, daß der Sänger, der seinem Instrument vier Töne geben will, mit seiner Stimme vielfältige Versuche machen werde, um die vier Töne zu entdeken, die ihm als die angenehmsten vorkommen. Nun weiß aber jedermann, daß es nicht möglich ist, ein System von vier Sayten zu finden, die überhaupt mehr Harmonie geben, und sich zum Einstimmen bey dem Gesang, oder zur Begleitung besser schiken, als gerade diese vier, die eine Octave, zwey Quinten und zwey Quarten enthalten. Hiezu kommt aber noch, daß jedes dieser Intervalle, wenn man es durch Probiren der Stimme einmal getroffen hat, sich sehr leichte wiederholen und ins Gehör fassen läßt. Deswegen waren die angezeigten vier Töne am leichtesten zu entdeken, und auf dem Instrument zu stimmen; und aus diesem Grunde halten wir die griechische Sage für so wahrscheinlich, daß wir alles fernere Nachforschen über die erste Beschaffenheit des einfachesten Tonsystems für überflüßig halten, da dieses der wahrscheinlichsten Erwartung hinlänglich genug thut.
Nun war freylich mit diesem ersten Tonsystem wenig auszurichten. Indessen soll doch die Lyra eine ziemliche Zeitlang, nur diese vier Töne gehabt haben. Wenn dies ist, so müssen wir vermuthen, daß die Sänger nicht auf jeden Ton, den sie gesungen, auch eine Sayte der Lyra werden angeschlagen, sondern es so gemacht haben, wie noch izt geschieht, da man auf einen Baßton viel andere Töne in der Höhe singt. Also werden die Sänger ihren Gesang nach Gutdünken aus der Kehle herausgebracht, und etwa bisweilen, wo sie glaubten, daß es sich am besten schike, die eine oder andre Sayte ihrer Lyra dazu angeschlagen haben. Dieses ist, nach unserm [1124] Vermuthen, die älteste Weise zu singen, und den Gesang mit einem Instrument zu begleiten.
Nun wurd dieses System von vier Sayten allmählig durch neue Töne vermehret. Boetius sagt, Chorebus des Lydischen Königs Athis Sohn, habe die fünfte; Hyagnis die sechste, Terpander die siebente, und Lychaon aus Samos die achte Sayte hinzugethan. Andre schreiben die allmähligen Vermehrungen des Systems andern zu; keiner aber sagt uns eigentlich, wie es vermehrt worden. Da wir es für überflüßig auch wol gar für unmöglich halten, diesen höchst zweifelhaften Punkt der Geschichte der Kunst, aus Vergleichung der alten Nachrichten in ein volles Licht zu sezen, so begnügen wir uns blos einige wahrscheinliche Muthmaßungen über den Ursprung des alten diatonischen Systems hier beyzubringen.
Vorläufig merken wir an, daß man die Erfindung oder Zusezung neuer Sayten nicht so verstehen müsse, als wenn die Erfinder blos in der Höhe, oder Tiefe der Lyra eine neue Sayte hinzugefügt hätten, um ihr einen weitern Umfang zu geben. Die Erfindung bestund darin, daß die größern Intervalle, nämlich Quart und Quinte in dem System des Mercurius allmählig durch dazwischen gesezte Töne ausgefüllt worden. Dieses läßt sich aus dem Namen abnehmen, den die Griechen der Octave gegeben haben1, der deutlich anzeiget, daß sie den Bezirk der Octave für den Umfang des ganzen Systems gehalten haben, der gar alle Töne in sich begriffe. Sayten, die über die Octave herausgiengen, gaben also keine neue Töne, sondern wiederholten nur die schon vorhandenen, eine Octave höher, oder tiefer. Dieses kann man so wenig eine Erfindung nennen, als man einen Orgelbauer eine Erfindung zuschreiben würde, der seiner Orgel in der Höhe, oder Tiefe über den gewöhnlichen Umfang noch ein paar Töne zusezen würde.
Demnach bestund die Erfindung neuer Sayten darin, daß zwischen die ursprünglichen Sayten andre gesezt wurden, die gut einpaßten.
Zufolge der vorher angeführten Sage bestund das älteste System des Mercurius aus vier Sayten, die zwey Tetrachorde, oder Quarten ausmachten. Wir wollen uns dieses System nach unsrer heutigen Art die Töne zu bezeichnen, so vorstellen:
A – D | E – a.
Es bestund also aus zwey Quarten A – D, und E – a, und aus zwey Quinten A – E und D – a. Daß aber die Alten dieses System als ein System von zwey Quarten angesehen haben, ist daraus klar, weil es hernach, als sich ihre Töne sehr vermehrt hatten, zur beständigen Gewohnheit worden, sie nach Quarten zu stimmen. Die oberste und unterste Sayte eines Tetrachords, als A und D, wurden zuerst nach einer reinen Quarte gestimmt, hernach stimmte man die dazwischen liegenden Töne.
Nun entsteht also die Frage, nach was für einem Grundsaz die Erfinder neuer Töne mögen verfahren haben, um zwischen A und D, oder zwischen E und a, neue Sayten zu sezen.
Da die Quarte das Hauptintervall dieses ersten Systems war, so scheinet es natürlich, daß dem ersten Vermehrer eingefallen sey, dem zweyten Ton des Systems D auch eine Quarte zu geben. Wenn wir diese durch G bezeichnen, so hat das System nun fünf Sayten, A – D | E – G – a.
Will man diese Töne in Zahlen ausdruken, und für den tiefsten Ton A die Zahl 1 sezen, so würden nun die fünf Sayten dieses Systems folgende Verhältnisse haben:
Nun kann einem zweyten Vermehrer eben so leicht eingefallen seyn, auf dem Ton E eine Unterquarte zu geben, so wie jeder der andern Töne seine Unterquarte hatte. Nämlich a hatte E zu seiner Unterquarte, G hatte D, und D hatte A. Giebt man nun dem Ton E auch seine Unterquarte und nennt sie B, so bekommt man ein System von sechs Sayten, in folgenden Verhältnissen:
Dieses machte nun ein System von vier in einander geschobenen Tetrachorden aus, nämlich A – D; B – E; D – G; E – A. Hier hatte jeder Ton seine reine Quarte, nur den Ton G ausgenommen. Wollte man diesem auch seine Quarte geben, die das Verhältniß von 27/47 haben müßte, so käme man schon über das zweyte der ursprünglichen Tetrachorde E – a heraus. Wir können aber sezen, der Erfinder [1125] dieser neuen Quarte habe diesen Ton 27/64 um eine Octave heruntergestimmt; alsdenn bekommen wir zwischen B und D den neuen Ton C in dem Verhältniß von 27/32 Wann man nun auch diesem noch seine Oberquarte giebt, die das Verhältniß von 81/128 haben muß, so bekommt man folgendes System von acht Sayten:
Sezet man nun dieses System wieder in einer zweyten Octave oder noch weiter fort; so hat jeder Ton seine reine Ober- und Unterquarte, den einzigen Ton F ausgenommen, dem in der zweyten Octave seine Oberquarte 243/512 fehlet. Wollte man aber auch diese einschieben, so würde sich die neue Unbequämlichkeit finden, daß auch dieser Ton nun keine Oberquarte hätte; und so fand man leichte, daß es nicht möglich wär ein System zu machen, darin jede Sayte seine Quarte bekäme. Man mußte demnach irgendwo stehen bleiben, und dem System diesen Mangel an einer einzigen Quarte lassen. Doch wurde hernach dieser neue Ton 243/152 würklich noch eingeführt, und auch in die erste Octave in dem Verhältnis von 243/256 heruntergetragen, aber seine Sayte bekam keinen neuen Namen, sondern behielt den Namen der zweyten Sayte B. Diese wurd' also im System, als eine doppelte Sayte betrachtet, die in späthern Zeiten den doppelten Namen des runden, und vierekichten B getragen hat. Die Neuern aber bezeichneten hernach das vierekichte B mit dem Buchstaben H.
Es sey nun, daß die Erfinder der neuen Sayten nach der Art, die wir beschrieben, oder nach einer andern verfahren haben, so ist doch dieses gewiß, daß in dem diatonischen System der Alten, wie Ptolomeus es angiebt, die Töne die Verhältnisse der oben angezeigten Zahlen gehabt.. Demnach hatte das System folgende Beschaffenheit:
Läßt man hier die zwey untersten Töne weg, so machen die andern zwey gleiche und ähnliche durch einen gemeinschaftlichen Ton verbundene Tetrachorde.
Aus diesem Gesichtspunkt sahen in der That die Griechen das System an; denn den untersten Ton A betrachteten sie als außer dem System liegend, und nannten ihn deswegen Proslambomenon, den (zur Erfüllung der Octave) hinzugenommenen, der Ton B aber gehörte nur in besondern Fällen, wo nicht brauchbar war, zum System. Deswegen geben die Griechen zu völliger Bestimmung ihrer Systeme, allemal nur vier Sayten an.
Wollten wir nun dieses System nach der izigen Art bey C anfangen, so würde es also stehen:
In diesem System haben die Stufen von einem Tone zum andern folgende Verhältnisse:
Alle ganze Töne hatten das Verhältniß von 8/9 und die halben von 243/256.
In diesem System kommen unsre reine kleine und große Terzen nicht vor; denn hier haben alle kleine Terzen das Verhältniß von 27/32 die großen das von 64/81. Die Quarten und Quinten aber sind durchaus völlig rein, die Quinte von H ausgenommen, die in diesem System gar nicht vorkommt. Wie die Alten dieses System nach Tetrachorden eingetheilt, und wie weit sie es in der Höhe und Tiefe fortgesezt haben; ferner, wie ihr allgemeines System, das aus Verbindung des diatonischen, chromatischen und enharmonischen, zusammengesezt war, ausgesehen habe, können wir hier, ohne beträchtliche Weitläuftigkeit nicht anzeigen, und unterlassen es um so viel lieber, da man für unsre heutige Musik keinen Vortheil daraus ziehen kann. Wer ohne große Weitläuftigkeit hierüber zuverläßige Nachricht verlangt, wird sie bey Rousseau finden2.
Wir merken nur an, daß dieses alte diatonische System, wenigstens dem Anschein nach, bis in das XVI Jahrhundert ist beybehalten worden. Ich sage dem Anschein nach; weil ich vermuthe, daß die Sänger, auch ohne Absicht das System zu ändern, die meisten kleinen und großen Terzen durch das bloße Gefühl werden temperirt und gar oft anstatt der Terz 27/32 die reine kleine Terz 5/6, und anstatt 64/81 die reine große Terz 4/5, gesungen haben.
[1126] Zarlino wird insgemein für den ersten Verbesserer dieses alten diatonischen Systems gehalten. Es scheinet, daß unser diatonisches System aus den harmonischen und arithmetischen Theilungen von denen man seit Zarlinos Zeiten so viel gehalten hat, entstanden sey. Zuerst also theilte man die Octave C – c harmonisch; dadurch bekam man die Quinte G; hernach arithmetisch; dieses gab die Quarte F3. Nun theilte man wieder die Quinte C – G harmonisch und bekam dadurch die große Terz E; diese nochmals harmonisch getheilt, gab die Secunde D. Weder die Quinte noch die große Terz wurden arithmetisch getheilt, weil dieses nicht mehr diatonische, sondern chromatische und noch kleinere Intervalle würde gegeben haben. Auf diese Weise nun fand man folgende Töne in den darunter geschriebenen Verhältnissen:
Nun nahm man auch die harmonische Theilung der obern Quinte F – c vor. Diese gab den Ton A, in dem Verhältniß von 3/5. Nun blieb noch die kleine Terz A – c übrig, die mit einer Mittelsayte anzufüllen war. Hier half nun weder die arithmetische noch die harmonische Theilung, weil durch beyde weder ganze noch halbe diatonische Töne herauskommen. Man füllte deswegen diesen Raum mit einer doppelten Sayte aus, davon die eine H, eine reine große Terz gegen G; die andre B, eine reine Quarte gegen F, als den zwey Haupttönen zwischen C und c, nämlich der Ober- und Unterdominante des Grundtones ausmachte. Daraus ist nun das heutige diatonische System entstanden, darin die Töne folgende Verhältnisse haben:
Dieses System hat also, wie das alte, acht Sayten, oder, da die eine, H, doppelt ist, neun; aber die Verhältnisse derselben sind anders. Damit man sogleich den Unterschied zwischen diesem und dem alten diatonischen System übersehe, wollen wir beyde nach den Verhältnissen der einzelen Stufen vorstellen.
Der Vorzug dieses Systems vor dem alten besteht darin, daß jeder Ton seine ganz reine entweder große, oder kleine Terz hat, den einzigen Ton D ausgenommen, dessen Terz D – F nur 27/32 ist. Hingegen hat das alte den Vortheil über dem neuen, daß in jenem jeder Ton, den einzigen Ton H ausgenommen, seine völlig reine Quinte und jeder, seine reine Quarte hat, da in dem neuern System die Töne D und H keine reine Quinten; folglich A keine reine Quarte haben. Daher würd' es noch immer zweifelhaft bleiben, welches von beyden Systemen vorzuziehen wäre, wenn nicht die Frage durch die Nothwendigkeit entschieden würde.
So bald man nämlich mit den Neuern ein System voraussezet, in dem jede Sayte zum Grundton, oder der Tonica soll gemacht werden können, aus welcher so wol in der harten, als weichen Tonart zu spiehlen ist; so wird ein System nothwendig, das eigentlich zwischen dem alten und dem neuen in der Mitte liegt, aber dem neuen näher, als dem alten kommt, wie hernach soll gezeiget werden.
2. Nun wollen wir sehen, wie das izt gewöhnliche System, nach welchem die Octave C-c aus dreyzehn Sayten besteht, da das alte nur neue hatte, entstanden und allmählig zur Vollkommenheit gestiegen sey.
Die Tonsezer voriger Zeit bedienten sich sowol der alten, als der neuern diatonischen Leiter so, daß sie von den verschiedenen Sayten des Systems, nur B und H ausgenommen, ohne Unterschied, bald eine, bald die andere, zum Hauptton, oder zur Tonica machten, aus der das ganze Stük gesezt wurd. Wie aber für jeden Hauptton seine durch das System festgesezten Intervalle lagen, so mußten sie auch genommen werden. Aus C konnte man nicht anders, als in der harten, aus D, E u.s.f. konnte man nicht anders, als aus der weichen Tonart spiehlen. Folglich war auch für jeden Ton die Modulation durch das System bestimmt, und jeder hatte seine eigene Schlüsse. Dies waren also die sogenannten Kirchentöne der Alten, in denen wegen Mangel der erfoderlichen Sayten nie kein Intervall, das einzige B oder H ausgenommen, vergrößert oder verkleinert werden konnte.
Nun traf es bisweilen, daß ein aus einem gewissen Ton geseztes Lied, für diejenigen, die es fingen mußten zu hoch oder zu tief gieng. Da mußte nun nothwendig das Stük in einen andern höhern, [1127] oder tiefern Ton versezt werden. Allein dieses konnte selten so geschehen, daß die Intervalle dieselben blieben; der ganze Gesang mußte nothwendig seinen Charakter verliehren, wenn der Ton in welchen das Stük herauf oder herabgesezt wurd, im System andre Intervalle hatte, als der ursprüngliche Hauptton. Wir wollen z.B. sezen, man hätte einen Gesang dessen Hauptton C war, aus dem Ton F singen wollen; so gab diese Transposition dem Grundton eine andere Sexte, als die war, die der Grundton C hatte. Andre Transpositionen hätten so gar die Terz verändert, und statt der kleinen eine große gegeben u.s.f.
Es ist sehr zu vermuthen, daß dieses die Organisten veranlasset habe, auf Einführung mehrerer Töne zu denken, wodurch sie die Bequämlichkeit erhalten könnten, den transponirten Gesang dem ursprünglichen ähnlich zu machen. Wir wollen z.B. sezen, ein Organiste habe auf ein Mittel gedacht, den Ton G dem Tone C ähnlich zu machen. Da begreift man leichte, daß er darauf fallen müssen, zwischen F und G noch einen halben Ton einzuschalten, um in F auf eben die Weise zu schließen, wie in C geschlossen wird. Und aus diesem Beyspiehle wird man auch die allmählige Einführung der übrigen Semitonien Cis, Dis und Gis leicht begreifen. Dadurch wurd also allmählig das System mit neuen Tönen bereichert, und man bekam anstatt der ehemaligen acht oder neun Töne in der Octave nun dreyzehen.4
Es ist aber ein Irrthum, wenn man diese neuen Töne für chromatische Töne ausgiebt: sie können chromatisch gebraucht werden5, aber sie wurden anfänglich blos diatonisch gebraucht, Cis als die große diatonische Septime von D, so wie H die Septime von C war u.s.f. Wie aber übrigens diese neuen Töne in ihren Verhältnissen gegen C beschaffen gewesen, läßt sich nicht genau bestimmen; weil vermuthlich jeder Organiste nach dem Gehör, und wie es die Absicht in der er jeden neuen Ton angebracht hat, erfoderte, wird gestimmt haben.
Nachdem man einmal so weit gekommen war, fieng man in der neuern Zeit an auf eine ganz andre Anwendung dieser vier neuen Sayten, oder Töne zu denken. Denn nun bemerkte man, daß das System von dreyzehen Tönen so könnte eingerichtet werden, daß jeder zu einer Tonica, und zwar sowol nach der harten, als nach der weichen Tonart gemacht werden könnte; so daß man anstatt der zwölf alten Töne, deren einige die harte, andre die weiche Tonart hatten, nunmehr vier und zwanzig haben wollte, davon zwölf die harte und eben so viel die weiche Tonart hätten.
Ob dadurch die Musik gewonnen, oder verlohren habe, wollen wir hier nicht untersuchen; es ist heftig darüber gestritten worden. In dem Artikel über die Tonarten der Alten wird dieser Streit berührt werden. Wir müssen hier, wo es blos um die Erklärung des Systems zu thun ist, voraus sezen, man wolle jede Sayte des Systems zum Hauptton sowol für die harte, als für die weiche Tonart, machen.
Diesem zufolge müßte nun das System so eingerichtet werden, daß jede der 12 Sayten von C bis H ihre reine sowol kleine, als große Terz, ihre reine Quart und Quinte hätte. Man wird aber bald gewahr, daß dieses unmöglich angehe, wenn man nicht noch mehr Sayten oder Töne in das System bringt. Alsdenn könnte es leicht einigen einfallen, diese neuen Töne auch wieder zu Haupttönen zu machen; dieses würde wieder neue Töne erfodern, und so müßte man das System bis ins Unendliche vermehren.6 Man fand also vor gut, bey den dreyzehen Tönen stehen zu bleiben, und diese so zu stimmen, daß jeder davon zum Hauptton konnte gemacht werden, aus dem man sowol in der harten, als weichen Tonart, wo nicht ganz rein, (welches bey jeder festgesezter Stimmung unmöglich ist) doch so spiehlen könnte, daß auch ein empfindsames Ohr sich dabey befriedigen würde.
Allein über die beste Einrichtung dieses Systems hat man sich bis auf diesen Tag nicht vergleichen können. Vielen dünkt die Einrichtung die beste, [1128] da die zwölf Stufen des Systems durchaus gleich genommen werden, so daß von C bis c, durch Cis, D, Dis, E, u.s.w. immer mit demselben halben Ton fortgeschritten werde, welches man insgemein die gleichschwebende Temperatur nennt. Was aber andre dagegen einwenden, und wie endlich eine Einrichtung vorgeschlagen worden, die in allen Absichten die beste scheinet, ist an einem andern Orte weiter ausgeführt worden.7 Dieses System ist das, was Hr. Kirnberger vorgeschlagen hat, und was wir in diesem Werke durchaus angenommen haben, weil wir es für das beste halten. Die Verhältnisse der Töne sind so, wie sie hier stehen.
Dies ist also das System, welches aus vier und zwanzig in einander geschobenen, diatonischen Tonleitern besteht, davon jede sowol in der harten, als weichen Tonart so rein ist, als es bey einem System von so viel Tönen möglich war. Auf diese Art ist das System von einer Octave entstanden.
3. Nun haben wir noch das System in seinem ganzen Umfang zu betrachten, nämlich die Reyhe gar aller Töne die gegenwärtig würklich gebraucht werden. Dieses System enthält zehen solcher Octaven, oder in allem 121 Sayten, die in jeder Octave die angezeigten Verhältnisse haben. Wenn man also die Länge der tiefsten Sayte 1 sezet, so hätte die kürzeste 1/1024 dieser Länge. Man pflegt aber am gewöhnlichsten die Verhältnisse nach der Länge der Orgelpfeiffen anzugeben. Der tiefste Ton der Orgeln kommt von einer Pfeiffe, die 32 Fuß lang ist; zum Höchsten aber wird eine Pfeiffe genommen, deren Länge 1/32 eines Fußes ist. Aber zum würklichen Gesang, es sey daß die Menschenstimme, oder Instrumente ihn hören lassen, sind diese Töne bey weitem nicht alle brauchbar. Die zwey untersten und die drey obersten von bemeldten zehen Octaven, werden niemals in dem Gesang, oder der Melodie, sondern blos in der Harmonie gebraucht. Demnach erstreket sich das ganze System der Töne, die zur Melodie brauchbar sind, auf fünf Octaven, von dem Tone von acht Fuß, bis auf den von 1/4 Fuß, oder von C bis welches eine Folge von ein und sechszig Tönen ausmacht. Von diesen aber ist die oberste Octave von bis schon außerordentlich, weil wenig Discantstimmen sie erreichen, daher der gemeine Umfang des Systems der melodischen Töne eigentlich nur von vier Octaven ist.
1 | S. ⇒ Octave. |
2 | Dict. de Mus. Art. Systeme. |
3 | S. ⇒ Harmonische Theilung. |
4 | Ehe diese Semitonien auf den Orgeln eingeführt worden, konnten zwar die Sänger die Intervalle des transponirten Tones so treffen, wie sie in dem Ursprünglichen waren, aber die Orgel hatte sie nicht. Daher findet man noch Stüke, da so gar die Terz, weil sie der Orgel fehlte, aus dem Dreyklang weggelassen worden. Man begnügete sich, daß die Sänger sie angeben konnten. Hieraus wird es sehr wahrscheinlich, daß dieses die Einführung der fehlenden Semitonien veranlasset habe. |
5 | S. ⇒ Chromatisch. |
6 | S. ⇒ Temperatur. |
7 | S. ⇒ Temperatur. |
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