Flibustier

[56] Flibustier oder Boucanier hieß eine Gesellschaft von Freibeutern, welche sich im 17. Jahrh. auf der Insel St.-Christoph in den Antillen und nachher auf der Schildkröteninsel bei St.-Domingo aufhielten. Sie bestanden aus zum Theil vertriebenen, zum Theil freiwillig ausgewanderten Franzosen, zu denen sich später auch viele Engländer gesellten, und führten ein wildes Leben, indem sie ohne Weiber in völliger Gütergemeinschaft je zwei zusammen lebten und nur auf Räubereien und vorzüglich auf die Jagd der wilden Stiere ausgingen, die auf St.-Domingo heerdenweise lebten. Das Fleisch dieser Thiere diente ihnen geröstet zur Nahrung und die Hörner und Häute verkauften sie an die Seefahrer. Von diesen Stieren erhielten sie den Namen Boucanier. Nachdem sie 1630 von St.-Christoph vertrieben worden waren, und nachdem die Spanier versucht hatten, die Stiere auf St.-Domingo auszurotten, um die Boucanier zu zwingen, in einer Colonie sich niederzulassen, wurden diese, um ihr wildes Leben nicht aufgeben zu müssen, zu den furchtbaren Seeräubern, als welche sie unter dem Namen der Flibustier (v. d. engl. flyboat, d.h. kleine Jacht) berüchtigt wurden. Ihre Unternehmungen waren namentlich gegen die span, Schiffe gerichtet, welche mit den Schätzen Amerikas beladen nach Europa segelten. Sie zeichneten sich durch unglaubliche Tapferkeit aus, indem sie darauf ausgingen, die Schiffe, welche sie angriffen, zu entern, und so im Kampfe Mann gegen Mann zu besiegen. Bald war ihr Name das Schrecken aller span. Seefahrer, und nicht selten ergab sich ein span. Schiff schon beim bloßen Anblicke des gefürchteten Feindes. Sie selbst ergaben sich niemals und sprengten sich lieber mit ihrem Schiffe in die Luft. Eine Zeit lang wurden sie von England und Frankreich begünstigt und nun landeten sie sogar an den amerik. Küsten, um die span. Städte zu plündern. Jeder gab, was er erbeutet, heraus und schwur mit aufgehobener Hand, daß er nichts für sich zurückbehalten. Der Meineid wurde mit Verbannung auf eine wüste Insel bestraft. Dann wurde die Beute gleichmäßig vertheilt, nur wer sich vorzugsweise ausgezeichnet, erhielt mehr als die Andern und die Verwundeten erhielten ihren Antheil nach der Bedeutung der erhaltenen Wunden. Den Antheil der Gefallenen erhielten die Verwandten und Freunde derselben oder er wurde den Armen und Kirchen zugewendet; denn bei aller Wildheit hatten diese Seeräuber doch eine gewisse Religiosität und bereiteten sich zu jeder wichtigen Unternehmung durch Gebet vor. Seit 1685 verweigerten die Engländer und Franzosen den Flibustiern ihren fernern Schutz; es gelang den Spaniern, die Angriffe der Flibustier gegen die Häfen von Chile und Peru zu vereiteln und ihnen bedeutende Verluste zuzufügen. Ihre Macht wurde dadurch geschwächt, und [56] da auch das Klima und ihre Lebensart sie immer mehr verminderten, so sahen sie sich endlich genöthigt, sich anzubauen und ihr zügelloses Leben aufzugeben. Es bildeten sich aus ihnen die franz. Niederlassungen auf der westl. Seite von St.-Domingo.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 56-57.
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