Kartoffeln

[570] Kartoffeln, auch Erdäpfel, Erd- oder Grundbirnen, Knollen oder Düften sind die bekannten überaus nützlichen Wurzelknollen einer aus Amerika stammenden Pflanze (lat. Solanum tuberosum), welche eine Art Nachtschatten ist. In mehren Gegenden Südamerikas, namentlich in Peru und Chile, sind die Kartoffeln einheimisch, eine andere Art findet sich auch in Mexico. Der Sklavenhändler Hawkins brachte die Kartoffel zuerst 1565 aus Peru nach Europa. Wieder vergessen kam sie zum zweiten Mal durch Franz Drake 1585 aus Virginien nach England, und derselbe gab sich Mühe, ihre Anpflanzung in England allgemein zu machen. Von hier breiteten sich die Kartoffeln nach den Niederlanden, Frankreich und Deutschland aus. Der Bauer Hans Rogler aus Selb im Voigtlande brachte sie 1647 nach Sachsen, ihre größere Verbreitung daselbst geschah jedoch erst 1717 durch den General von Mittau; 1708 kamen sie in das Mecklenburgische, 1710 durch den Waldenser Ant. Seignoret, der zu Nürnberg sich niedergelassen, nach Würtemberg. Zu Paris wurden bereits 1616 Kartoffeln an der königl. Tafel als Seltenheit gespeist. Erst seit 1780 sind sie in Deutschland als Feldfrucht angebaut worden. Ihrer größern Verbreitung stand besonders das Vorurtheil entgegen, daß man sie, als zu einer in den meisten Arten giftigen Gewächsfamilie gehörig, ebenfalls für der Gesundheit nachtheilig hielt. Nachdem dieses und einige andere Vorurtheile überwunden worden, nachdem man die große und vielseitige Nutzbarkeit der Kartoffeln immer mehr kennen gelernt, hat ihre Ausbreitung mit Riesenschritten zugenommen und man findet sie jetzt fast auf der ganzen bewohnten Erde bis hoch in den Norden, z.B. in Kamtschatka. Durch den Anbau haben sich unter den Kartoffeln sehr viele verschiedene Arten gebildet, die sich theils durch Gestalt, innere Beschaffenheit, Farbe, Größe und Menge der Knollen, theils auch durch Gestalt und Farbe der Blätter und Blüten unterscheiden. Man kennt ungefähr 80 Sorten und unterscheidet diese im Allgemeinen in solche, welche zum Verspeisen und in solche, welche zur Fütterung bestimmt sind, sowie nach der Zeit, in welcher sie genießbar werden, in Früh- und Spätkartoffeln. Da der Genuß unreifer Kartoffeln schädlich ist, indem die noch zu [570] jungen Knollen, ebenso wie das Kraut und die Beeren und Keime, welche aus den Knollen hervorbrechen, ein narkotisches Gift enthalten, so ist in vielen Gegenden der allzu frühe Verkauf der Kartoffeln policeilich untersagt. Bei der Wahl der anzubauenden Kartoffelgattung muß man sich nach dem Bedürfniß und nach der Beschaffenheit des Bodens richten. Alle Arten sind übrigens sehr der Entartung ausgesetzt. An der Kartoffel wird derjenige Theil, an welchem die Wurzel angewachsen ist, der Nabel, der entgegengesetzte der Kopf oder die Nase genannt. Von allen Kartoffeln ist die früheste und durch angenehmen Geschmack ausgezeichnete Art die rothe Früh- oder rothe Hornkartoffel, welche vom Nasen- nach dem Nabelende spitz zulaufende längliche Knollen hat, die ungefähr dreimal so lang als dick sind. Gewöhnlich sind die Knollen etwas gekrümmt. Sie sind mit vielen Augen besetzt, von denen je vier immer ein ziemlich regelmäßiges Viereck bilden; das Fleisch ist weiß und schliffig, die Schale hellroth. Langgestreckte walzenförmige, mit vielen tiefliegenden Augen besetzte Knollen hat die gelbe Früh-, Laurentii- oder Jakobskartoffel. Sie hat eine hellgelbe Schale und ein weißes, zartes, mehliges Fleisch. Eigenthümlich ist die Gurkenkartoffel, weiße Hornkartoffel, auch Arakatscha genannt, weil deren längliche, gekrümmte Knollen sich rings um den Hauptstengel der Pflanze so anhäufen, daß sie zusammen eine nach unten gekehrte Pyramide bilden. Schale und Fleisch sind gelblich und das letztere von süßlichem Geschmack und mehlreich. Durch Größe, Ergiebigkeit und Mehlreichthum ausgezeichnet ist die rothblau marmorirte oder Kirkhamkartoffel, auch pfälzer Grundbirne genannt, welche graurothe, zum Theil mit weißen Streifen marmorirte Knollen hat. Einen sehr angenehmen Geschmack haben die gelblichen, an den Enden röthlichen Biscuitkartoffeln. Sehr haltbar und schmackhaft ist die schwarze oder Negerkartoffel, ebenso die Rockskartoffel, sidonische oder geißberger Kartoffel mit schmuzig dunkelrother Schale, unter welcher das Fleisch blutroth ist. Ergiebig und angenehm schmeckend ist die edle gelbe oder Sammetkartoffel, auch Lords- oder Herrenkartoffel, mit runden, etwas länglichen Knollen. Die Lerchenkartoffel ist in jeder Beziehung ausgezeichnet und hat rundliche, etwas glatte Knollen, deren Nase, wo sich die meisten Augen zusammendrängen, etwas zur Seite steht. Sehr wohlschmeckend sind die Erdbeerkartoffel und die Borsdorferäpfelkartoffel, der Preis von Holland und die weiße Kartoffel, welche sehr groß wird und eine weiße Schale hat. Sehr mehlreich und angenehm schmeckend ist auch die rothe lange Nierenkartoffel mit walzenförmigen kolbigen Knollen. Nur von der Größe einer Nuß, aber lieblich mandelartig schmeckend und überaus ergiebig sind die kleinen chinesischen, Mandel- oder Perückenkartoffeln. Ähnlich sind die kleine Schottländerin und die kleine Nußkartoffel. Sehr groß, oft drei Pfund schwer, sind die Knollen des Preis von Peru mit hellgelber Schale; ergiebig und mehlreich ist die engl. Kartoffel, deren Knollen verschiedene Gestalten annehmen. Dasselbe gilt auch von den rothen, mit vielen Hervorragungen versehenen wuchefelder Kartoffeln. Die blaue runde Kartoffel hat große Knollen von angenehmem Geschmack, deren Haut an der Luft allmälig schmuzig schwarzblau wird. Bei der blauen Hornkartoffel ist auch das Fleisch der gurkenähnlichen Knollen blau oder blau marmorirt. Sehr ergiebig ist die glatte, hellgelbe pommersche Kartoffel und ebenso die durch Größe, zuweilen wie ein Kinderkopf, ausgezeichnete Howards-oder surinamische Kartoffel, die man jedoch nur zum Viehfutter brauchen kann. Ebenso wenig schmackhaft sind die wilden oder Büschel-, auch Schwein- oder Traubenkartoffeln, deren Knollen anfangs roth sind, an der Luft aber blasser werden, und die Zwitterkartoffeln, auch Drake's Ehre genannt, welche eine blutrothe Schale haben und sich zum Branntweinbrennen empfehlen.

Die Fortpflanzung der Kartoffeln geschieht auf sehr mannichfaltige Weise, aber seltener durch den Samen der Pflanze, als durch die Knollen oder Stücken derselben, an denen sich mehre Augen befinden. Jede in die Erde gelegte Kartoffel, sowie jedes einzelne Stück bildet nämlich einen neuen Stock. Man kann die Kartoffeln auch, wiewol mit geringerm Ertrage, durch Stücken dicker. Schale, durch Stücken der Keime, welche sich in Kellern im Frühjahre und Sommer aus den Knollen entwickeln und noch auf andere Arten fortpflanzen. Gegen den Sommer verlieren die Kartoffeln ihren Wohlgeschmack und fangen auch in guten Kellern zu keimen an. Man hat auf Mittel gedacht, dieses zu verhindern. So z.B. kann man im October, wenn die Reise ziemlich eingetreten ist, das Kraut abschneiden, dann einen Fuß hoch Erde aufschütten und noch mit dem Kartoffelkraut, Stroh, Sägespähnen und dgl. eine Decke bilden, unter welcher sich die Knollen bis zum nächsten Sommer frisch und wohlschmeckend erhalten. – Wenige Feldfrüchte haben eine so mannichfaltige Anwendung, wie die Kartoffel, nicht allein geben diese für Menschen und Thiere ein wohlschmeckendes, wohlfeiles und gesundes Nahrungsmittel, sondern man benutzt sie auch zur Brotbereitung, zur Fabrikation der Stärke, zum Branntweinbrennen, zur Bierbrauerei, zur Bereitung des Weins, Syrups und Zuckers, als Kaffeesurrogat und noch zu mancherlei andern Zwecken. Das Kraut wird, besonders eingesalzen, mit Vortheil zu Viehfutter verbraucht. Auch gewinnt man daraus, namentlich aus den blühenden Spitzen, eine gelbe Farbe und hat unternommen, es als Surrogat für den Taback zu benutzen.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 570-571.
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