Kaschmir

[572] Kaschmir oder Cashemere ist ein hohes Thal im Himalayagebirge, früher eine Provinz von Afghanistan (s.d.), bis es 1823 Rundschit Singh, der Beherrscher des Staats der Sikhs (s.d.) an sich riß. Auf allen Seiten wird diese herrliche Landschaft von 800 ! M. mit 2,000,000 Menschen von den hohen Gebirgsketten des Himalaya und Hindukusch umgeben. Nur von einer Seite ist es durch sieben Pässe zugänglich. Sein Hauptfluß ist der Schelum, Tschelam oder Behat, der Hydaspes der Alten, welcher eine Menge kleiner Flüsse und Bäche in sich aufnimmt, die in prachtvollen Wasserfällen von den Bergen herniederkommen. Der Schelum durchbricht die südl. Gebirgskette und fließt dann nach Indien, wo er in den Sind oder Indus sich ergießt. Die hohe Lage macht, daß K. ein äußerst gesundes und mildes Klima hat und von einer üppigen Vegetation geschmückt ist. Getreide, Obst, Wein und herrliche Blumen gibt es hier in Menge; das wichtigste Erzeugniß aber ist die Wolle der Kaschmirziege (s.d.), aus welcher die kostbaren Kaschmirshawls verfertigt werden. Die Einwohner dieses gesegneten Landes sind den Hindus verwandt und bekennen sich zur Religion des Brahma. Eine große Menge von Tempeln und Heiligthümern erfüllen ihr Land. Sie sind thätig und nicht ohne eine gewisse Bildung, und sprechen einen vom Sanskrit abgeleiten Dialekt. Die Hauptstadt Kaschmir, früher Serinagur liegt in einer weiten Ebene an einem See und am Schleum. Sie ist sehr groß, zählt gegen 200,000 Einw., ist aber verfallen und unreinlich. Man sieht hier noch die Ruinen des alten Sommerpalastes der indischen Kaiser mit prachtvollen Gärten. Ehemals sollen hier 40,000 Webstühle für Verfertigung der Kaschmirshawls thätig gewesen sein, von denen jetzt aber kaum noch 15,000 übrig sind. – Viele Geschichtschreiber haben in K. die Wiege des Menschengeschlechts zu erblicken geglaubt. Die geographische Beschaffenheit der Erde und die ältesten Spuren der Geschichte lassen vermuthen, daß aus den Hochthälern des Himalaya die ersten Auswanderungen zur Bevölkerung der übrigen Erde geschehen sind, und die heiligen Sagen der Inder deuten gleich, falls auf K., als den Ursitz des Menschengeschlechts, hin. Morgenländische Schriftsteller haben K. gepriesen und bewundert, in einer Weise, welche die neuern europ. Reisenden nicht haben anerkennen können. Jene nennen das Thal das Paradies von Indien und den Garten des ewigen Frühlings.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 572.
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