Armenien (Geographie)

[300] Armenien (Geographie). Eine Provinz der asiatischen Türkei, in Groß- und in Klein-Armenien getheilt. Das erstere liegt jenseit des Euphrat, zwischen dem caspischen und dem schwarzen Meer, Klein-Armenien liegt westlich nach dem Euphrat und Kappadocien zu. Beide Armenien sind über halb so groß wie Deutschland, 6000 Quadrat Meilen, durch die Verzweigungen des Kaukasus, durch den Taurus und den Ararat sehr gebirgig und daher durchaus nicht so warm, als man ihrer südlichen Lage nach schließen sollte, in den Thalern jedoch, welche sich nach dem Euphrat, dem Tigris, und überhaupt südlich, nach Persien und Klein-Asien öffnen, gedeihen die köstlichsten Südfrüchte, während auf den Höhen nur Weideplatze für die zahlreichen Herden sind. Die Berge enthalten viele geschätzte Mineralien: Eisen, Kupfer, Blei, Salz, Naphta etc., doch[300] werden sie wenig gesucht, weil die Einwohner fast allein ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Handel nachgehn. Um diesen zu treiben, haben sie sich über die ganze Erde zerstreut, vorzüglich ist der Orient und der Süden: die Türkei, Griechenland, Rußland, dann China, Indien, Persien, Arabien, Afrika, Spanien und Italien von ihnen besucht, zum Theil bevölkert; denn sie haben sich überall niedergelassen; ja man findet auf den Messen und großen Märkten in Polen, Deutschland, Frankreich und England, sogar in Südamerika viele, theils durchreisend, theils dort ansässig. Zuverlässig und treu, dabei sehr gewandt in ihren Geschäften, läßt man sich gern mit ihnen ein, sie sind still und vernünftig, mäßig, scheinbar ohne heftige Leidenschaften, wissen sich in jede Lage zu schicken und haben diese Vielseitigkeit in der Auffassung des Lebens, wahrscheinlich ihrer Geschichte zu danken; da sie nämlich niemals ein eigenes, selbstständiges Volk bildeten, sondern stets der Spielball und der Zankapfel anderer Nationen gewesen sind, wechselten sie fast mit jeder Generation den Herrn, die Nachbarn und die Sitten. So sind diese Letzteren nun auch ein wunderliches Gemisch von persischen, russischen, türkischen und griechischen Gewohnheiten, nur die Religion ist nicht so unbestimmt; sie sind Christen von der Secte der Monophysiten, d. h. von denjenigen, welche nicht wie die Abendlander, in Christus zwei Naturen, eine göttliche und eine menschliche, sondern von denen, welche nur eine Natur in ihm anerkennen. In früherer Zeit waren sie Feueranbeter wie die Perser. Mit den Türken theilen sie die Eifersucht auf ihre Frauen, welche, obwohl Vielweiberei nicht existirt, doch in den Häusern verschlossen sind und sich wenig oder gar nicht sehen lassen. Ihre Kleidung ist orientalisch, nur etwas kürzer; im Abendlande gehen sie gewöhnlich in französischer Kleidung, nur legen sie niemals ihre turbanartige Mütze ab und grüßen auch nicht durch Entblößen des Hauptes. Der ganze Landhandel zwischen Indien, Persien und dem Abendlande ist durch sie vermittelt. Unsere Leserinnen wird es interessiren,[301] daß sie die köstlichen Kaschmir-Shawls, das Kameelgarn, die feinste Seide, das köstliche Rosenöl, den duftenden Ambra, zu uns bringen, daß sie das seine Leder, welches man Corduan, Chagrin und Saffian nennt, bereiten und nach Europa schicken. Von den ersten Ledergattungen trug man sonst die allerzierlichsten Etuis, Büchschen, Scheren-Scheiden, Kästchen, Futterale etc, Nippes, ohne welche eine elegante Dame nicht leben konnte. Indische Schmucksachen von der zartesten und geschmackvollsten Arbeit, Perlen und Juwelen etc. erhalten die Damen meistens durch armenische Kaufleute. Besonders sind die Märkte von Wien, Leipzig und Marseille davon erfüllt. Jetzt ist Triest ein Hauptstapelplatz, so wie es Venedig vordem war.

V.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 1. Leipzig 1834, S. 300-302.
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