[168] Harem, ursprünglich Haram, das Unzulängliche, ein Ort, der als heilig, unverletzlich, nur von gewissen Personen betreten werden darf, im Orient für mehrere Gegenstände, selbst für das Heiligthum zu Mekka, gebraucht. Am bekanntesten ist Harem bei uns für Frauengemächer, aber irrig ist es, wenn man Serail damit für gleichbedeutend hält. Letzteres ist ein Palast, Hof im weitesten Begriff, der bei den Großen allerdings auch die Frauengemächer umschließt, aber den Namen nicht von dieser Bestimmung trägt. Die Hauser der Moslemimen theilen sich stets in zwei Hauptgebäude, deren eins für den männlichen, das andere für den weiblichen Theil der Familie bestimmt ist. Nur der Hausherr darf letztern, das eigentliche Harem, betreten. Die älteste Sklavin ertheilt durch ein Sprachgitter die Befehle ihrer Gebieterin dem Hausverwalter mit, und empfängt das Verlangte mittelst einer Drehlade, tolab genannt, wie es deren in christlichen Klöstern gibt. Gemeinschaftliche Mahlzeiten finden nicht Statt, höchstens essen die Töchter mit der Mutter. Der Hausvater lebt für sich allein, und wenn er mehrere Gattinnen hat, so führt auch eine jede ihre besondere Haushaltung. Die Aufsicht darüber, weibliche Handarbeiten, Bereitung von Scherbets und Confitüren füllen die Zeit der Frauen aus. Besuche empfangen sie selten und nur bei Familienfestlichkeiten dürfen die nächsten männlichen Verwandten im Harem erscheinen; hat aber eine Morgenländerin den Besuch[168] einer Freundin bei sich angenommen, so darf selbst ihr Gemahl die Schwelle des Harems nicht überschreiten. Die Fenster gehen stets auf einen Hof oder Garten und sind mit Jalousien verwahrt. Die Einrichtung der Zimmer ist fast immer dieselbe, d. h. ein Divan läuft an den Wänden hin, die Fußböden sind je nach dem Reichthume des Hauses mit prächtigen Teppichen oder einfachen Matten belegt, und in der Mitte findet sich öfters ein mit natürlichen Blumengewächsen umgebener Springbrunnen. Den Garten selbst besuchen die Frauen nur, wenn sie daselbst vor jedem männlichen Auge gesichert sind, und wenn die maurischen Schönheiten der Raubstaaten sich Abends, um Luft zu schöpfen, auf die Terrassen wagen, so geschieht dieß in möglichster Verhüllung. Außerdem darf Niemand, Händlerinnen und Aerzte ausgenommen, das Harem des Großherrn betreten, was auch das bekannte Gerücht vom Besuche der Lady Montague (s. d.) darüber berichtet. Nur in wahren Nothfällen nehmen. die Morgenländerinnen ihre Zuflucht zu einem Arzte und dieser sieht sie dann bloß in Gegenwart des Gemahls oder der Sklavinnen. Den Puls muß er durch ein seidnes Tuch fühlen und das Antlitz der Kranken wird ihm nur, wenn es unumgänglich nothwendig ist, gezeigt. Die Gattin oder Tochter des Moslims ist höchstens für die nächsten männlichen Anverwandten sichtbar und wenn gleich die Araberinnen der verschiedenen Stämme sich nicht immer ängstlich vor Aller Augen verbergen können, so dient ihnen doch der eigne Wunsch, ungesehen zu bleiben, als sicherstes Schutzmittel gegen zudringliche Neugier der Fremden. Mit Unrecht beklagen wir daher die Orientalinnen wegen einer Zurückgezogenheit, die dort, wo der Lebensgenuß in ganz andern Dingen besteht, als bei uns, wenig Drückendes hat. Die den Bewohnern warmer Länder eigene Trägheit macht ihnen viele Bewegung im Freien nicht wünschenswerth, und unsre Bälle würden für die indolenten Harems-Schönen eine wahre Strapaze sein. Müssen doch die Sklavinnen zu ihrer Ergötzlichkeit tanzen und singen,[169] sie selbst dehnen sich dabei auf weichen Polstern und hauchen gedankenlos den bläulichen Dampf ihres aromatischen Tabaks vor sich hin. Die Tabakspfeifen (tschiback) fehlen in keinem Harem und sind nebst der Schaukel, dem Kreisel und selbst den Puppen eine Lieblingsunterhaltung jener Frauen. In den Harems der Großen und namentlich im Serail des Sultans, führen die Damen auch manchmal kleine Komödien auf. Neuerlich sind für dieses Amusement der kaiserlichen Schönen französische Lustspiele übersetzt worden. Mahomed's Gebot, die Frauen streng zu verschließen, war nichts Neues, sondern schärfte nur die alte Sitte der Morgenländer, welche schon Salomo's zahlreiche Gefährtinnen in eigene Gemächer, Harems, verbannte und die auch am Hofe jedes Negerfürsten herrscht; aber mehr als Wächter und Riegel quält die weibliche Welt des Orients Neid und Eifersucht, die schlimmsten Friedensstörerinnen der Harems, wo Viele das Herz und Vermögen eines Einzelnen theilen. Bekanntlich erlaubt die Religion dem Muselmann so viele Sklavinnen in seinen Harem aufzunehmen, als er ernähren kann; allein diese sind keineswegs sämmtlich Frauen, sondern meist nur Dienerinnen derselben. Wenige Osmanen bedienen sich des ihnen vom Koran zugesprochnen Rechts, vier rechtmäßige Gattinnen zu besitzen, weil sie theils den Streit derselben fürchten, theils nicht reich genug sind. Sehr oft erhält ein Mann die Tochter von den Eltern nur unter der Bedingung zum Weibe, bei ihrem Leben keine zweite zu heirathen. Anders ist es mit den Harems der muselmännischen Fürsten und Großen, welche allerdings eine größere Zahl eigentlicher Frauen und Odaliks (fälschlich Odalisken) enthalten. Odalik heißt jede in das Harem des Sultans zu Konstantinopel, von dem zunächst hier die Rede sein soll, aufgenommene Jungfrau. Sie sind meistens aus Georgien und Cirkassien und stets Sklavinnen, denn nie kann eine freigeborne Türkin an ihre Stelle treten. Wer sich in Gunst zu setzen wünscht, schenkt schöne Mädchen, und unter ihnen wählt der Beherrscher der Gläubigen 47, die er besonders[170] auszeichnen will, zu Kadin, d. i. Frauen, die dann ihren eignen Hofstaat erhalten und bedeutende Revenuen beziehen. Welche von ihnen das Gluck hatte, Mutter eines Prinzen zu werden, hieß ehemals Chasseki Sultan, das bedeutet Sultanin Günstlingin, die Mütter der Prinzessinnen wurden durch Chasseki Kadin, d. i. Günstlingin Frau, bezeichnet. Nur die Schwestern und Töchter des Sultans führen übrigens den Titel Sultana. Ueber ihnen allen steht die Walide Sultan, die Mutter des regierenden Fürsten. Ihr Einfluß im Harem und selbst auf Staatsangelegenheiten ist unbegrenzt, und nur sie darf ohne Schleier gehen. Der Kislar Agasi, d. h. Herr der Mädchen, spielt außer ihr vermöge seines Postens als Oberhofmeister und Haupt der schwarzen Haremswächter die bedeutendste Rolle an diesem Orte der Glückseligkeit, wie das kaiserliche Harem in der schmeichelnden Hofsprache heißt. Das übrige weibliche Personal theilt sich 1) in Gediklu, d. h. Kammerdienerinnen, deren zwölf (die jüngsten und schönsten) besondere Titel nach ihren Aemtern führen. Aus ihnen werden die Frauen gemeiniglich ersetzt, doch bleiben sie am öftersten Ikbal, d. h. von der Gunst des Herrn überstrahlte Glückskinder oder Chassodalik, intime Frauenzimmer des Sultans. 2) Usta, Meisterinnen, gewöhnlicher Chalfa, Gehilfinnen genannt. 3) Schagird, Lehrlinginnen. 4) Dscharije, schlechtweg Sklavinnen. Alle zusammen an 500 Mädchen, die unter dem Oberbefehle der Kiaja Kadin, Oberhofmeisterin und der Chasinedar Usta, Schatzmeisterin, stehen. Nach dem Tode eines Sultans dürfen diejenigen Odaliks, welche Mütter von Prinzessinnen sind, sich frei hinwegbegeben und sogar mit Erlaubniß des Nachfolgers anderweitig verheirathen. Die, welche Söhne besitzen, müssen hingegen in's Harem des alten Serail wandern. Die Sultaninnen und Odaliks des jedesmaligen Herrschers bewohnen mit ihm während der Wintermonate das Harem des neuen Serail, welches noch nie der Fuß eines Fremden betrat; die schöne Jahreszeit verbringen sie in den reizend gelegenen Sommerharems[171] am Ufer des Meeres, oder im Thale der süßen Gewässer, und diese Gebäude sind es, welche in Abwesenheit des Hofes von einigen Reisenden besucht und dann beschrieben wurden. Joseph v. Hammer sah überdieß auch noch das Harem des ehemaligen Residenzpalastes zu Adrianopel und gibt folgende anziehende Beschreibung davon: Bäder, Blumengärten, Wasserbecken, Köschke (falsch Kiosk), in schöner Verwirrung durch einander geworfen; Gallerien und klösterliche Gänge, wo auf der einen Seite die Zimmer der Odaliken, und gegenüber die der sie bedienenden Sklavinnen sind; vergoldete Zimmerdecken, vielfach durch Schnitzwerk verzierte Wände, hohe, mit Perlmutter ausgelegte Kästen, (diese bewahren die reiche Garderobe,) Inschriften ebenfalls mit Perlmutter oder mit Gold auf azurnen Feldern über die Thüren geschrieben oder mit Seide in die Thürtapeten gestickt; Cypressen und marmorne Fontainen, Säulengänge und Hallen, Säle und Cabinette mit reichen Teppichen belegt, mit Sophas und europäischen Spiegeln meublirt, machen das romantische Gemisch des Harems der osmanischen Sultane aus, dessen Luxus an die Pracht Al-Hamra's oder des rothen Palastes, des Paradieses der Liebe, der Emire von Granada, erinnert. Trotz dieser reizenden Schilderung ist die Lage der Bewohnerinnen jenes zaubervollen Aufenthalts keineswegs beneidenswerth. Die prächtigen oben erwähnten Gallerien bilden enge Schlafstellen, durch die hohen Garderobekästen von einander getrennt, dazwischen einige Polster, und wir haben das Zimmer einer Odalik vor uns. Das Harem des Vicekönigs von Aegypten, Mehemmed Ali, ward unlängst von einer vornehmen Engländerin besucht und sehr prächtig gefunden, allein die Berichte ähneln einander so ziemlich alle. Die Harems der Perser gleichen denen der Osmanen vollkommen, nur daß noch größere Strenge und Abgeschiedenheit darin herrscht, und man mit großem Geschrei Jeden, der sich vielleicht aus Unkunde in die Nähe eines solchen geheiligten Ortes wagt, verscheucht. Wenn sich das Harem[172] des Schah's zu Ispahan auf's Land begibt, so wird vorher das Quartier der Stadt, durch welches der Zug gehen soll, davon benachrichtigt, worauf alle Männer die Häuser verlassen, und sich ohne Rücksicht auf Wetter und selbst Krankheit anderswohin flüchten müssen, wenn sie nicht von den Wachen getödtet werden wollen. Die Eifersucht der Perser geht sogar bis über die Harems und das Leben hinaus; denn sorgfältig entziehen sie selbst die Leichname ihrer Frauen bei der Beerdigung jedem männlichen Auge. Die fortschreitende Zeit, die auch in diesen Gewohnheiten bei den Osmanen und andern muselmännischen Völkern, deren Verkehr mit Europa von Jahr zu Jahr lebhafter wird, Vieles gemildert hat, blieb dort in dem Lande, welches für Kunst und Sprache das Frankreich des Orients heißt, noch ohne alle vermittelnde Wirkung, und jetzt wie sonst ist die Physiognomie des persischen Harems, Ruhe im Nichtsthun, oder das grausame Walten wilder Leidenschaften.
F.
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