[336] Atmosphäre, die gasförmige Hülle der Weltkörper.
Während nach dem Befunde der astronomischen Spektralbeobachtungen die Atmosphäre der Sonne aus sehr leichten Gasen, aus Wasserstoff und Helium, in den höchsten Gebieten aus Koronium besteht, ist die Atmosphäre der Erde (wahrscheinlich annähernd Übereinstimmend auch die Atmosphären der andern Planeten) aus schwereren Gasen gebildet. Die Menge des Wasserdampfs schwankt je nach Temperatur und relativer Feuchtigkeit in weiten Grenzen; sie beträgt in Deutschland, einem mittleren Dampfdruck von 68 mm entsprechend, im Jahresmittel etwa 1 Gewichtsprozent. Auch der Prozentgehalt der andern Bestandteile ist nicht ganz konstant. Jolly [1] fand zwischen Nordostwind und Südwestwind eine Abnahme des Sauerstoffgehalts von 0,5%. Ob die Diffusion der einzelnen Atmosphärengase so unabhängig erfolgt, daß jedes seinem eignen Barometergesetz gehorcht, entsprechend seiner spezifischen Dichte, so daß beim Aufsteigen in die Höhe der Gehalt der Luft zuerst an Kohlensäure und dann an Sauerstoff sich zugunsten des leichteren Stickstoffs vermindern müßte [2], steht noch nicht fest. Es könnte dann ein minimaler Prozentgehalt an Wasserstoff, den Boussingault [3] gefunden hat, mit der Erhebung sich beträchtlich vermehren und es müßte in sehr großer Höhe dieses Gas über die andern überwiegen. Es ist aber nicht wahrscheinlich, daß ein größerer Prozentgehalt von Wasserstoff neben Sauerstoff bestehen könne, da bei den elektrischen Entladungen in der Atmosphäre beide sich zu Wasser verbinden müßten.[336]
Die Vermutung [4], daß vielleicht eine dem Polarlicht eigentümliche grüne Linie mit der Koroniumlinie des Spektrums der Sonnenkorona identisch sei, daß also in den höheren Gebieten der Erdatmosphäre und der Sonnenatmosphäre dasselbe leichte Gas sich zu erkennen gebe, hat sich nicht betätigt. Vielmehr wurden die Nordlichtlinien als diejenigen des allgemeinen Luftspektrums erkannt; eine große Zahl derselben gehören den neuentdeckten Edelgasen, die grüne Linie dem Krypton, andre dem Argon, Neon und Nenon an [5], [6].
Immerhin, nur die Annahme eines Gases von äußerst geringer spezifischer Dichte scheint imstande zu sein, die beträchtliche Höhe der Erdatmosphäre zu erklären. Die Dämmerungserscheinungen und besonders die aus den Sternschnuppenbeobachtungen gefolgerte Berechnung Schiaparellis [4] ergeben eine Höhe von wesentlich über 200 km, während das Barometergesetz unter Berücksichtigung der Temperaturabnahme A. Ritter [7] auf eine theoretische Höhe von nur etwa 29 km führten. Erst die weitere Annahme, daß in großer Höhe, ähnlich dem Wasserdampf, auch der Stickstoff und Sauerstoff gefrieren und latente Wärme abgeben, gestattete A. Ritter eine theoretische Höhe von 349 km zu berechnen. Selbst die Möglichkeit einer solchen Temperaturerniedrigung in jenen der ungehemmten Sonnenstrahlung ausgesetzten Höhen zugegeben, erscheint die dem Barometergesetz entsprechende Dichte der Sauerstoff- und Stickstoffatmosphäre dort viel zu gering, um durch ihre Reibung Meteoriten zum Erglühen zu bringen. Die Beimengung eines sehr leichten Gases aber zu unsrer Luft würde sowohl diese Reibung möglich erscheinen lassen, als auch den langsamen Abfall der Luftdichte und der Lufttemperatur erklären. Vielleicht darf man den Ionengehalt der Luft (s. Elektrizität, atmosphärische) als Beweis der Anwesenheit eines Bestandteils betrachten, der 1000 mal leichter ist als Wasserstoffgas.
Die Temperatur der Atmosphäre ist eine nach Jahreszeit, Tageszeit, Klima und Wetter sehr veränderliche Größe; die Karten der Isothermen, Isotheren und Isochimenen geben das Bild dieser Veränderlichkeit an der Erdoberfläche. Mit der Erhebung über die Erdoberfläche zeigt die Temperatur in der Regel eine Abnahme, deren normaler Betrag wegen vielfacher das Gesetz beeinträchtigender Einflüsse, wie ungleiche Beschaffenheit und Erwärmung des Erdbodens und dadurch veranlaßte regelmäßige und unregelmäßige vertikale und horizontale Strömungen, Erwärmung der Luft durch die Sonnenstrahlen und die dunkle Strahlung der Erde, Kondensation des aufsteigenden Wasserdampfs, der experimentellen Bestimmung Schwierigkeiten macht. In einzelnen Fällen, wie in unsern kalten Wintern bei hohem Barometerstand, zeigt sich die Luft in den Tälern kälter als auf den Bergen. Aeltere von Glaisher im Luftballon gemachte Messungen ergaben [8] als Mittel eine sich stetig mit der Höhe vermindernde Temperaturabnahme, unten 0,984° pro 100 m Erhebung, in 9000 m Höhe nur noch 0,1°. Die neueren Untersuchungen der höheren Atmosphärenschichten, teils mit bemannten Freiballons, teils mit Registrierballons, teils mit Drachen unter Benutzung ventilierter Thermometer (Aspirationsthermometer von Aßmann), in erster Linie die wissenschaftlichen Luftfahrten des Berliner Vereins [9] haben ein besseres Bild der Temperaturverteilung gegeben. Als Mittel einer größeren Zahl von Beobachtungen ergab sich aus den Berliner Fahrten folgendes:
Es findet bis zu Höhen von 9 km eine Steigerung des mittleren Temperaturgradienten statt. Erst über dieser Höhe tritt nach Beobachtungen mit Registrierballons von Teisserenc de Bort und von Aßmann [10] eine Abnahme des Gradienten bis zu fast völligem Verschwinden ein.
Ueber die Ursache dieser Temperaturabnahme mit der Höhe geben die Meteorologen keine übereinstimmende Erklärung [7], [11], [12]. Nach A. Schmidt [13], [14] müßte durch die alleinige Wirkung der Wärmebewegung der kleinsten Teilchen, durch die dem Fallgesetz entsprechende Abnahme der molekularen Geschwindigkeit nach oben die Temperatur der Luft mit der Erhebung über die Erdoberfläche sich erniedrigen unter Wärmeleitung von oben nach unten. Die Temperatur müßte in trockener Luft pro 100 m um 1,41° C. sinken. Vermindernd auf dieses Temperaturgefäll wirken: 1. die bei der Kondensation des Wasserdampfs in der Höhe frei werdende und die bei Verdunstung des Wassers in den unteren Schichten gebundene Wärme, 2. die Absorption der Sonnenstrahlung, die in den oberen Schichten verhältnismäßig stärker ist, 3. die Luftströmungen, die das sogenannte adiabatische Temperaturgleichgewicht mit 1° Gradient erzeugen, 4. die wahrscheinliche Gegenwart eines sehr leichten Gases in der Atmosphäre. Das Gefäll verstärkend wirkt in den unteren Schichten die Leitwärme des Erdbodens, wo dieser durch die Sonnenstrahlung auf eine die Lufttemperatur übersteigende Temperatur erwärmt ist, und die Reibungswärme, in welche die kinetische Energie der Luft sich umwandelt. Dem mittleren Barometerstand von 760 mm entsprechend würde die Atmosphäre, falls ihre Dichte in allen Höhen gleich der an der Erdoberfläche wäre, nur eine Höhe von 7991 m besitzen bei 0° Temperatur (s. Feder-, Quecksilberbarometer). Hiernach berechnet sich [15] die Masse der ganzen Erdatmosphäre über jedem Quadratzentimeter der Oberfläche zu 1,0333 kg und über der ganzen Erde 5,27 ∙ 1015 Metertonnen, gleich dem 1136000. Teil des ganzen Gewichts der Erdmasse und gleich dem 252. Teil des Gewichts des Ozeans. Von diesem Gewichte kommen auf die einzelnen Bestandteile: Stickstoff 398,4 ∙ 1015 Tonnen, Sauerstoff 121,6 ∙ 1015 Tonnen, Argon 6,84 ∙ 1015 Tonnen, Kohlensäure 0,23 ∙ 1015 Tonnen, Wasserdampf 1,46 ∙ 1015 Tonnen.
Die Physik der Atmosphäre heißt Atmosphärologie bezw. Meteorologie; weiteres s. bei Meteorologie.
Literatur: [1] Jolly, Die Veränderlichkeit der Zusammensetz. der atm. Luft, Verhandlungen der K. bayer. Akad. d. Wiss., Bd. 13, 2. Abt. [2] Hann, Das Daltonsche Gesetz und die Zusammens. der atmosph. Luft in großen Höhen, Zeitschr. d. österr. Gesellsch. für Meteorologie 1875, S. 11 ff. [3] Boussingault, Pogg. Ann., Bd. 36, S. 458. [4] Schiaparelli, Entwurf einer astronomischen Theorie der Sternschnuppen, übers. von v. Boguslawsky, Stettin 1871, S. 4. [5] Stassano, Beweis[337] für den terrestrischen Ursprung der Polarlichter, Comptes rendus 153, S. 279281, 1901, und Ueber die Natur und den Bau des Spektrums der Nordlichter, Annales de chim. et de phys. (7), 26, S. 4057, 1902. [7] A. Ritter, Anwendungen der mechan. Wärmetheorie auf kosmolog. Probleme, Leipzig 1882, S. 810. [8] Physikal. Tabellen von Landolt und Börnstein, 2. Aufl., Berlin 1894, S. 205. [9] Wissenschaftliche Luftfahrten, ausgeführt vom Deutschen Verein zur Förderung der Luftschiffahrt zu Berlin, herausg. von R. Aßmann u.a. Berson, Braunschweig 1899. [10] Sitzungsber. der Berl. Akad., 1902, S. 495504. [11] Guldberg und Mohn, Zeitschr. der österr. Gesellsch. f. Meteorol. 1878, S. 113 u. f. [12] Bezold, Mitteil. d. Berl. Akad., 1888, S. 487 u. ff. [13] Böklen, Mathem. naturw. Mitteilungen, Tübingen 1890, Bd. 3, S. 23 u. ff. [14] Beiträge zur Geophysik von Gerland, Bd. 4, S. 1, 1899; Bd. 5, S. 389. 1902; Bd. 6, S. 156, 1903. [15] S.A. Arrhenius, Lehrb. der kosmischen Physik, Leipzig 1903, S. 474.
Aug. Schmidt.
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