[515] Routenaufnahme (Reiseweg- oder Itineraraufnahme), die mit wenig Aufwand an Zeit und Hilfsmitteln ausgeführte ungefähre (flüchtige) Vermessung eines durchreisten Gebietes vom Reiseweg aus.
Exakte Landesvermessungen (s.d.) mit geometrischen und topographischen Spezialkarten sind zurzeit nur für sehr kleine Gebiete der Erdoberfläche, und zwar für West- und Mitteleuropa, einzelne Teile der Vereinigten Staaten und einzelne Kolonialgebiete vorhanden; generelle Landesvermessungen mit trigonometrischer Grundlage, bei welchen die Einzelaufnahmen bis jetzt weniger speziell und exakt zur Durchführung gekommen sind, liegen vor in Osteuropa, dem größten Teil der Vereinigten Staaten, in Argentinien, kleinen Teilen Brasiliens, in Kapland, Vorderindien, Ostaustralien, Japan. Für den Rest, mit Ausnahme einzelner örtlich engbegrenzter Gebiete, d.h. also für den weitaus größten Teil der Erdoberfläche, beruht das vorhandene Kartenmaterial auf Routenaufnahmen.
An Stelle der Landestriangulierung, die bei der Landesvermessung die Grundlage für die geometrischen und topographischen Spezialvermessungen bildet, tritt ein System von astronomisch bestimmten Punkten; an dieses schließen die Routenaufnahmen sich an. In den bewohnten Teilen der oben nicht genannten außereuropäischen Staaten bestehen ein solches mehr oder weniger enges und zuverlässiges System astronomisch bestimmter Punkte und ein ausgedehntes Netz von Routenaufnahmen, das einen wenn auch rohen Ersatz für die fehlende exakte Landesvermessung bietet, während für weite Gebiete der Erdoberfläche, z.B. Innerafrika, Inner- und Nordasien, Innerbrasilien, nur astronomische Ortsbestimmungen und Routen von einzelnen Reifenden und Expeditionen vorliegen [1]. In historischer Beziehung sei hier erinnert an die Wegekarten der Römer (Itineraria Antonini, Alexandri u.s.w.). vornehmlich an die sogenannte Peutingersche Tafel [3].
Die Anordnung des Messungsverfahrens hängt ab von dem Zweck der Routenaufnahmen, von ihrer Ausdehnung und von der Beschaffenheit der etwa vorhandenen Karten. Hauptsächlich kommt in Betracht, ob es sich um ein zusammenhängendes Netz von Routen handelt, wie in den obenerwähnten bewohnten außereuropäischen Staaten, oder um Unternehmungen von geringerer oder größerer Ausdehnung durch einzelne Reifende oder Expeditionen, wobei dann wieder maßgebend ist, ob das Interesse der topographischen Bestimmungen vorwiegt oder gegenüber andern Zwecken in den Hintergrund tritt. Im letzten Fall genügen die einfachsten Aufzeichnungen, sofern sie nur korrekt sind. Handelt es sich um größere Unternehmungen, etwa um eine zusammenhängende Itinerarvermessung oder um Revision und Vervollständigung älterer Aufnahmen und Karten, so erweitert sich dementsprechend die geodätische Aufgabe. Das geometrische System einer vollständigen Itineraraufnahme besteht aus 1. einer Anzahl astronomisch bestimmter oder in Karten bereits sicher gegebener Punkte, 2. den diese Punkte verbindenden Bussolenzügen, 3. den Höhenmessungen.
1. Astronomische Ortsbestimmung. Für ausgedehnte Unternehmungen sind astronomische Bestimmungen unerläßlich; diese können ausgeführt werden an Punkten, welche mehrere Tagemärsche, etwa 100 km, Abstand haben; bei exakten Bestimmungen sind geringere Abstände erwünscht, größere in allen Fällen möglichst zu vermeiden. Die astronomischen Messungen bestehen aus Zeit-, Breiten-, Azimut- und Längenbestimmungen (s.d.). Da Breitenbestimmungen verhältnismäßig einfach und leicht genügend genau ausführbar, Längenbestimmungen durch Zeitübertragung wegen des auf schwierigen Reifen unsicheren Uhrganges dagegen nicht ganz zuverlässig sind und die Ausführung andrer Längenbestimmungen aus Sternbedeckungen, Verfinsterungen, Monddistanzen und Mondhöhen sehr schwierig ist, so ist es empfehlenswert, ein möglichst enges Netz von Breitenbestimmungen zu erstreben. Sind neben der Zeitübertragung noch andre Längenbestimmungen erforderlich, so kann man diese[515] auf wenige, aber möglichst genaue beschränken. Die erforderlichen Instrumente sind mindestens zwei gute Taschenchronometer, ein kleines, kräftig gebautes Universalinstrument, eventuell mit photogrammetrischer Einrichtung, und ein Sextant nebst Zubehör. Weiteres s. [4][7].
2. Bussolenzüge. Das wichtigste Element, das eigentliche Itinerar, bilden die Bussolenzüge (s.d.). Sie können im Anschluß an vorhandene Kartenpunkte für kleinere Unternehmungen bis zu 100 km Ausdehnung ohne weiteren astronomischen Anschluß unter Umständen allein ausreichend sein. Die Strecken werden erhalten bei kleinen, engbegrenzten Aufnahmen mit Fußwanderung durch Abschreiten (s.d.) unter Benutzung eines Schrittzählers (s.d.), bei allen größeren Unternehmungen aus der Geschwindigkeit der Marschbewegung. Das Meßinstrument ist dann die Uhr, und die wichtigste Aufgabe ist die Ermittlung der Marschgeschwindigkeit für die gerade in Betracht kommende Fortbewegungsart, sei es Marsch zu Fuß, mit Reittieren (Pferd, Kamel), mit Zugtieren (Pferd, Ochse, Hund) oder durch Flußfahrten. Die Geschwindigkeit in der Zeiteinheit, Minute oder Stunde, muß in jedem einzelnen Fall festgestellt und stetig auf ihre Gleichmäßigkeit sowie auf besondere Abweichungen, selbstverständlich unter Verzeichnung aller Pausen, beobachtet werden. Von der pünktlichen und scharfen Feststellung, Beobachtung und Kontrollierung der Bewegung hängt im wesentlichen die Genauigkeit der Itinerarergebnisse ab. Allgemeine Angaben, wie z.B. n Tagemärsche, wobei für die Tagereise irgendeine Annahme zu machen ist, geben naturgemäß nur ganz rohe Bestimmungen, wodurch Fehler in den Ortsangaben bis zu 100 km und mehr entstehen können. Liegen zum Anschluß astronomisch bestimmte Punkte vor, so dient die Marschgeschwindigkeit lediglich zur Interpolation der Zwischenpunkte auf diese festen Anschlußpunkte. Bei größeren Unternehmungen bieten die in die Meridianrichtung fallenden Routen ein geeignetes Mittel zur Feststellung der Marschgeschwindigkeit, da die Polhöhen leicht ausreichend genau bestimmt werden können. Im übrigen muß gewissermaßen mit kleinen Mitteln das Ziel erreicht werden. Passende Strecken werden mit dem Meßband oder den für diese Zwecke käuflichen Fadenspulen sowie durch gelegentliche Distanzmessungen (s.d.), auch mit Benutzung des Schalles ausgemessen. Danach wird die Geschwindigkeit abgeleitet. Bei umsichtigem Verfahren läßt sich auf diese Weise eine für die kartographische Darstellung hinreichende Genauigkeit der Entfernungen erzielen; eine allgemein gültige Genauigkeitsangabe für die Beurteilung der Itinerarentfernungen ist bei einer derartigen Bestimmungsmethode nicht möglich. Wenn große Sorgsamkeit angewendet wird, beträgt der Fehler der Entfernung unter günstigen Umständen etwa ± 2 bis 4%. Ueber Erfahrungen und Methoden s. [7]. Für die Kartenzeichnung werden die Zeitangaben in Längenmaß oder Bogenminuten ausgedrückt. Zur Richtungsbestimmung dient die Bussole (s.d.); es kommen kleine, bequem zu handhabende Instrumente mit festem oder schwebendem Kreis von etwa 4 bis 8 cm Durchmesser zur Verwendung. Bei Aufnahmen zu Fuß kann eine Stockbussole gebraucht werden; beim Reiten empfiehlt es sich, das Instrument in einer Handgelenkschnalle neben der Uhr zu tragen. Die Azimute der Marschrichtungen werden, soweit möglich, nach natürlichen Richtobjekten genommen. Der Fehler einer solchen aus freier Hand vorgenommenen Azimutbestimmung ist etwa ± 1 bis 5° oder auch noch größer. Wird aber entsprechend der Fehlertheorie des Bussolenzuges (s.d.) die Richtung möglichst oft bestimmt und werden außerdem passende Kontrollen durch vorwärts-, rückwärts-, übergreifende Zielungen und Zielungen nach längere Zeit sichtbaren Objekten, wie Bergspitzen, geschaffen, so ist gegenüber der Entfernungsbestimmung für die Azimute leicht eine ausreichende Genauigkeit zu erzielen. Ein wertvolles Urteil über die Genauigkeit, welcher Itinerarazimute fähig sind, gibt [7]. Die magnetische Mißweisung ist zu bestimmen im Anschluß an etwa vorhandene zuverlässige Kartenpunkte, im Anschluß an die erforderlichen astronomischen Bestimmungen, auch durch Peilen der Sonnenauf- und -untergänge oder des Sonnenazimutes bei bekannter Zeit, des Polarsterns oder sonst geeigneter Gestirne [4][7]. Seitwärts der Route liegende Objekte werden durch Azimute von mindestens zwei, besser aber mehreren Routenpunkten aus vorwärts eingeschnitten. Oertlichkeiten von besonderer Bedeutung werden durch Krokieren mit Bussole und Schrittmaß vermessen. Eine bedeutende Erleichterung gewährt unter geeigneten Umständen die Verwendung von Instrumenten, die den Reiseweg selbsttätig aufzeichnen. Ferguson hat drei Instrumente dieser Art erfunden, den Pedograph (s.d.) zum Gebrauche für Fußgänger, den Hodograph (s.d.) zur selbsttätigen Aufnahme auf dem Wasser zurückgelegter Wege und den Cyklograph (s.d.), welcher in Verbindung mit Fahrzeugen auf Landwegen benutzt wird. Für den Fall, daß besondere Vermessungen ausgedehnter Geländeabschnitte durch generelle Triangulierung (mit astronomischem Anschluß) und topographische (tachymetrische, photogrammetrische) Aufnahmen vorgesehen sind, müssen die dazu erforderlichen Hilfsmittel zur Anwendung kommen. Es sei bemerkt, daß für lokale Triangulierungen auch der Sextant (Taschen- oder Dosensextant) brauchbar ist. Die Ausführung derartiger Aufnahmen richtet sich nach den für diese Verfahren geltenden Regeln unter Anpassung an die vorliegende besondere Aufgabe. Die Ausarbeitung und kartographische Darstellung des Itinerars kann nach Eintragung der gegebenen oder astronomisch bestimmten Positionen entweder unmittelbar graphisch mit Auftragkreis und Maßstab geschehen oder rechnerisch wie beim Polygonzuge (s.d.) mit Benutzung von Rechentafel, Rechenschieber u.s.w., wobei eine geeignete Verteilung der Anschlußwidersprüche stattfinden muß. Beispiele und Anleitung hierzu s. [4] und [7]. Das rechnerische Verfahren ist empfehlenswert bei umfangreichen und zusammenhängenden Itinerarnetzen. Während der Reise wird das Tagebuch mit den Skizzen möglichst maßstäblich ausgearbeitet. Mit der mittleren Reiserichtung und der auf geradlinigen Abstand reduzierten Marschlänge wird täglich nach Unterbrechung der Reise der erreichte Ort näherungsweise in die Reisekarte eingetragen, wobei die gegebenen Anschlußpunkte oder die astronomischen Bestimmungen berücksichtigt werden. Die weitere Ausarbeitung erfolgt nach den für geographische und topographische Karten gültigen Regeln.[516]
3. Höhenmessungen. Die Grundlage aller Höhenbestimmungen liefern fortlaufende Barometerablesungen längs der Route und an bestimmten Punkten, z.B. in Ortschaften, an Kulten-, Missions-, Militär- oder sonst geeigneten Stationen, so daß nach der Methode der korrespondierenden Barometerablesungen die Höhenunterschiede gegen die Standbarometer bezw. gegen Punkte bekannter Meereshöhe oder gegen Küstenpunkte unter Berücksichtigung der regelmäßigen und unregelmäßigen Luftdruckschwankungen abgeleitet werden können (vgl. Höhenmessung, barometrische, Bd. 5, S. 94). Als Instrumente für die Reise sind Federbarometer (s.d.) am geeignetsten. Zur gegenseitigen Kontrolle werden stets zwei mitgeführt, welche außerdem so oft wie möglich mit einem guten Quecksilberbarometer (s.d.) verglichen oder auch mit Hilfe eines Siedethermometers (s.d.) geprüft werden müssen. Jedenfalls ist mindestens je eine Prüfung am Anfang und Schluß der Reise erforderlich. Als Standbarometer können Quecksilberbarometer oder auch Federbarometer, eventuell Barographen (s.d.) dienen. Bei Reifen in unbekannten Gegenden unter schwierigen Verhältnissen wird das Quecksilberbarometer wegen der durch Transportschäden zu befürchtenden Instrumentfehler besser nicht mitgeführt, sondern etwa an einer Anfangsstation als Standbarometer hinterlassen. Die zu erreichende Genauigkeit hängt von den äußeren Umständen und der Anordnung des Verfahrens ab. Für geringe Ausdehnungen des Aufnahmegebietes gelten die bei der. barometrischen Höhenmessung gegebenen Genauigkeitsangaben; für die Leistung des Verfahrens unter großen Verhältnissen sind in [7] wertvolle Erfahrungen gegeben. Jordan schätzt dort den Höhenfehler der barometrisch bestimmten Punkte in der Libyschen Wüste gegen zwei 500 bis 600 km entfernte Stationen am Nil zu rund + 10 bis 20 m. Zur Höhenbestimmung von seitwärts der Route gelegenen Punkten (Gebirgshöhen, Sätteln u.s.w.), deren Lage gegen den Itinerarzug durch Bussolenazimute bestimmt wird, ist bei nicht zu großen Abständen am besten ein Höhenmesser (s.d.) mit Höhenwinkelablesung geeignet. Hiermit kann besonders bei mehrfachen Zielungen von verschiedenen Punkten der Route aus eine befriedigende Genauigkeit erreicht werden. Dasselbe Instrument ist auch für lokale Höhenmessungen, z.B. für geologische Zwecke (auch mit Verwendung horizontaler Zielung als Nivellierinstrument) geeignet. Trigonometrische Höhenmessung (s.d.) mit dem Theodolit oder Tachymeter wird nur in besonderen Fällen in Betracht kommen können, lieber die Fortschritte ist eingehend berichtet in [1] und [2]. Dort finden sich auch umfangreiche Literaturangaben.
Literatur: [1] Geographisches Jahrbuch, Bd. 25, Gotha 1902: Hammer, Die methodischen Fortschritte der geographischen Landmessung. [2] Ebend. Bd. 28, 1905: Marcuse, Die methodischen Fortschritte der geographischen u.s.w. Ortsbestimmung. [3] Miller, Weltkarte des Castorius, genannt die Peutingersche Tafel, Ravensburg 1888. [4] Neumayer, Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reifen, 3. Aufl., Hannover 1906: Ambronn, Geographische Ortsbestimmung auf Reifen; Vogel, Aufnahme des Reiseweges und des Geländes; Hoffmann, Nautische Vermessungen. [5] Wislicenus, Handbuch der geographischen Ortsbestimmung auf Reifen, Leipzig 1891. [6] Marcuse, Handbuch der geographischen Ortsbestimmung für Geographen und Forschungsreisende, Braunschweig 1905. [7] Jordan, Physische Geographie und Meteorologie der Libyschen Wüste, Kassel 1876. Weitere Anleitung geben: [8] Richthofen, Führer für Forschungsreisende, 2. Aufl., Hannover 1901. [9] Kaltbrunner, Manuel du voyageur, Zürich 1879, desgleichen deutsche Bearbeitung von Kollbrunner, Zürich 1881. [10] Hints to travellers, edited by the royal geogr. society, 8. ed., London 1901. [11] Zöppritz, Leitfaden der Kartenentwurfslehre, Leipzig 1884.
( Reinhertz) Hillmer.
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