[164] Eisenbetonschornsteine. Die mächtige Entwicklung des Eisenbetonbaues hat auch vor denjenigen Bauten nicht haltgemacht, die infolge ihrer Formgebung am ungeeignetsten für eine Ausführung in Eisenbeton erschienen, nämlich den Fabrikschornsteinen. Trotz aller anfänglichen Bedenken seitens der in Frage kommenden Fachkreise hat der Eisenbetonschornstein sich durchgesetzt und bewährt, beträgt doch, soweit die durch den Krieg ungünstig beeinflußte Statistik die Ziffern überblicken läßt, die Zahl der im Ausland erbauten Eisenbetonschornsteine mehr wie hundert, während sie in Deutschland an hundert herankommen dürfte. Allerdings hat in Deutschland erst der Krieg mit seinen Begleiterscheinungen (Material-, Arbeiter-, Wagenmangel) sehr viel dazu beigetragen, daß dem richtig entworfenen und ausgeführten Eisenbetonschornstein die ihm gebührende Beachtung mehr wie vorher geschenkt wurde, daß insbesonders die früheren Bedenken der Behörden verschwanden und daß der Eisenbetonschornstein dem aus Ziegelsteinen aufgemauerten Schornstein bis zu den größten Abmessungen vorgezogen werden und seine Gleichberechtigung mit diesem beweisen konnte.
Während anfänglich die Säulen der Eisenbetonschornsteine aus Beton in Schalung gestampft wurden, baut man sie heute vornehmlich aus Betonformsteinen geeigneter Formgebung und Größe auf, genau so, wie aus Ziegelsteinen hergestellte Schornsteine aufgemauert werden. Die Betonsteine haben hierbei eine eigen- und verschiedenartige Gestaltung. In jedem Falle erhält der Formstein senkrechte Hohlräume und horizontale Einkerbungen, die derart angeordnet sind, daß beim Vermauern der Formsteine die senkrechten Hohlräume vom Schornsteinfuß bis zur Schornsteinspitze[164] durchgehen und daß die horizontalen Einkerbungen einen in sich geschlossenen Ring bilden. In den senkrechten Hohlräumen werden nun beim Aufbau der Säule die von der Außenkante des Fundaments bis zur Schornsteinspitze reichenden Längsverankerungseisen untergebracht, während in die horizontalen Einkerbungen Verankerungsringe eingelegt und mit den Längsverankerungseisen verbunden werden. Die Längsverankerungseisen nehmen die durch Winddruck entstehenden Zugspannungen auf und übertragen sie in wirkungsvoller Weise bis auf die windseitig gelegene Außenkante des Fundaments, was bei dem aus Ziegelsteinen gemauerten Schornstein unmöglich ist, während die Verankerungsringe den horizontal wirkenden Wärmespannungen genügend Widerstand leisten.
Die Höhe, Länge und Breite der Formsteine richtet sich nach den Abmessungen der Säule. Sie werden auf der Baustelle selbst in besonderen Formen und in einer geeigneten Kies-Sand-Zementmischung gedampft und nach beendetem Abbinden schichtweise in Verband vermauert. Nach jedesmaligem Verlegen einer Schicht werden die senkrechten Hohlräume und die horizontalen Einkerbungen mit einer Betonmischung vollgestampft, so daß sämtliche Verankerungseisen seit in Beton eingebettet sind.
Das Fundament wird in gewöhnlichem Stampfbeton ausgeführt. Die inneren Flächen des Fundaments und der Raucheinführung werden zum Schutz gegen die Einwirkungen der Gase und der Wärme entsprechend stark mit Schamotte- oder Ziegelsteinen verkleidet; ebenfalls erhält die Säule aus den gleichen Gründen ein eventuell bis zum Schornsteinkopf ausgeführtes Futter aus den vorgenannten Materialien.
Es sei hier eingeschaltet, daß der Einbau eines Futters auch bei gemauerten Schornsteinen, namentlich bei solchen größerer Abmessung, immer dringend zu empfehlen ist, da hierdurch die bei gemauerten Schornsteinen aus Gründen physikalischer Art unvermeidbare Gefahr des Reißens der Säule wesentlich vermindert wird, so daß die Zugkraft des Schornsteins verstärkt und letzten Endes die Wärmewirtschaft verbessert wird; das Futter sollte demnach nicht als spezifische, die Baukosten erhöhende Bedingung des Eisenbetonschornsteins bewertet werden. Ferner nehmen die bereits erwähnten Verankerungsringe etwaige, trotz des Futters im Schornsteinmäntel noch auftretenden Wärmespannungen viel besser auf wie die bei gemauerten Schornsteinen außen um die Säule umgelegten Flacheisenbänder, denn diese werden in der Regel nur mit größeren Abständen (mindestens 1,5 m) umgelegt, während jene von Schicht zu Schicht, also in einer viel engeren Verteilung eingelegt werden.
Für die Berechnung der Höhe und Lichtweite wie auch der Standfestigkeit gelten genau die gleichen Vorschriften wie für den Bau gemauerter Schornsteine. Da nun aber das spezifische Gewicht des Betons erheblich größer ist wie dasjenige des Ziegelmauerwerkes, da für Beton eine maximale Druckspannung von 45 kg/qcm, dagegen für Ziegelmauerwerk in verlängertem Zementmörtel von nur 15 kg/qcm zugelassen ist, und da endlich bei dem Eisenbetonschornstein die durch den Winddruck auf der Windseite in der Säule hervorgerufenen Zugspannungen von den Längsverankerungseisen aufgenommen und von diesen auf das Fundamentgewicht übertragen werden, während beim gemauerten Schornstein mit klaffender Lagerfuge (also ohne eine Uebertragungsfähigkeit von Zugspannungen) gerechnet werden muß, so folgt hieraus ohne weiteres, daß bei gleicher Standfestigkeit ein Eisenbetonschornstein weniger Materialaufwand erfordert wie ein gemauerter Schornstein gleicher Größe.
In der Standfestigkeitsberechnung des Eisenbetonschornsteins ist der Nachweis zu bringen über die Größe der windseitigen, in voller Höhe von den Längsverankerungen aufzunehmenden Zugspannungen, sowie über die Anzahl, Stärke und Verteilung der Längsverankerungen; die Stärke der gegen die Wärmespannungen eingelegten Ringe festzusetzen bleibt der Erfahrung der Baufirma überlassen.
Aus dem Vorgesagten ergeben sich die Vorteile des Eisenbetonschornsteins gegenüber dem gemauerten Schornstein und zwar: 1. geringere spezifische Belastung des Baugrundes, daher eine erhöhte Standsicherheit selbst auf unsicherem Baugrund; 2. Unabhängigkeit von den Ziegeleien, sobald brauchbarer Kies und Sand in der Nähe oder selbst unter Aufwand von Bahnfracht und Fuhrtransporten zu haben sind; 3. die Betonformsteine können von ungeübten Arbeitern unter Aufsicht eines geeigneten Vorarbeiters vor bezw. bei Beginn, bezw. während des Aufbaues der Säule hergestellt werden; 4. für den Fall des Aufwandes von Bahnfracht: geringere Anzahl der zu befördernden Bahnwagen; 5. schnellere Bauzeit; 6. geringere Baukosten; 7. erhöhte Wirtschaftlichkeit; 8. erhöhte Standsicherheit wegen der sicheren Uebertragung der Zugspannungen auf das Fundamentgewicht; 9. größere Sicherheit gegen Blitzschlag, da die Längsverankerungseisen einen sehr wirksamen Blitzableiter bilden; 10. Verringerung der Gefahr des Reißens der Säule.
C. Gaab.
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