Musenalmanache

[298] Musenalmanache, jährlich erscheinende Sammlungen dichterischer Erzeugnisse, kamen zur Zeit der wieder auflebenden Poesie der Deutschen um das Jahr 1770 in Aufnahme und dienten geraume Zeit als Vereinigungspunkte für die bedeutendsten poetischen Kräfte der Nation. Schon vor dem Aufkommen der eigentlichen M. gab es Sammelplätze für poetische Versuche, unter denen zu nennen sind: die »Poesien der Niedersachsen« von Weichmann (Hamb. 1721–38, 6 Bde), die Hagedorns Jünglingsgaben aufnahmen; die »Belustigungen des Verstandes und Witzes« von Schwabe (Leipz. 1741–45, 8 Bde.), in denen Gellert, Rabener u.a. zuerst vor die Öffentlichkeit traten, und deren Fortsetzung »Neue Beiträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes« (Brem. 1745–48, 6 Bde; gewöhnlich die »Bremer Beiträge« [s. d.] genannt).[298] Einige Jahrzehnte später (1769) verbanden sich Gotter und Boie zur Herausgabe einer poetischen Blumenlese, der sie nach dem Vorbilde des seit 1765 herausgekommenen französischen »Almanac des Muses« den Titel »Musenalmanach« gaben. Während jedoch der französische Musenalmanach eine Sammelstelle der besten im Laufe des Jahres erschienenen Gedichte sein sollte, nahm der deutsche von vornherein auch ungedruckte Gedichte auf, und diese gewannen im Laufe der Zeit mehr und mehr das Übergewicht. Noch vor dem Erscheinen dieses Musenalmanachs veröffentlichte der räuberische Buchhändler Schwickert (Dodsley u. Komp.) in Leipzig den »Almanach der deutschen Musen auf das Jahr 1770«, für den er sich einen Teil des von Boie gesammelten Materials auf Schleichwegen verschafft hatte. Doch war der »Göttinger Musenalmanach« bei weitem der wertvollere. Er wurde herausgegeben: bis 1774 von Boie, 1775 von Voß als dessen Vertreter, 1776–78 von Göckingk, 1779–94 von Bürger und 1795–1804 von Reinhard (vgl. Weinhold, H. Chr. Boie, Halle 1868). Einen Neudruck der ersten Jahrgänge (1770, 1771, 1772) veranstaltete Redlich (Stuttg. 1894–97). Seit 1776 gab Voß neben dem »Göttinger Musenalmanach« einen andern heraus, dessen erster Band in Lauenburg, die übrigen bis 1798 in Hamburg erschienen. 1771–88 war Göckingk Mitherausgeber. Der »Leipziger Musenalmanach« wurde bis 1787 fortgesetzt; 1777–96 erschien auch ein »Wienerischer Musenalmanach«. Die bedeutendste Erscheinung auf diesem Felde war jedoch der 1796–1801 von Schiller herausgegebene »Musenalmanach«, an dem außer Schiller und Goethe die talentvollsten Dichter jener Zeit teilnahmen, und der unter anderm in Bd. 2 die Xenien, in Bd. 3 die schönsten Balladen Schillers und Goethes, in Bd. 5 das »Lied von der Glocke« enthielt. Nach diesem entstanden die M. von A. W. Schlegel und Tieck (Tüb. 1802), von Vermehren (Jena 1802–03), von Varnhagen von Ense und Chamisso (1804; Neudruck des 3. Bandes von Geiger, Berl. 1889) und von Leo v. Seckendorf (1807–08) und das »Poetische Taschenbuch« von Fr. Schlegel (Berl. 1805–06). Ein verwandtes Unternehmen ist der »Kalender der Musen und Grazien« (Berl. 1796–97) von Fr. W. A. Schmidt. Diese M. erschienen in kleinem Format, sorgfältig ausgestattet und mit Kupferstichen geziert. In der nächsten Zeit wurden die M. von den neu aufkommenden »Taschenbüchern« (s. d.) verdrängt, und erst 1830 traten wieder zwei M. gleichzeitig hervor: der Berliner »Musenalmanach« von M. Veit, der aber nur zwei Jahrgänge erlebte, und der Leipziger von Am. Wendt, der als »Deutscher Musenalmanach« 1834–39 von Chamisso und G. Schwab fortgesetzt wurde. Spätere Erscheinungen von Bedeutung sind der »Deutsche Musenalmanach« von Echtermeyer und Ruge (Berl. 1840–41), der von K. Schad (Würzb. 1850–59) und der von O. Gruppe (Berl. 1851–55). In jüngster Zeit wurde die Einrichtung der M. durch den »Cottaschen Musenalmanach« (Stuttg. 1891–1900, 10 Bde.) wieder erneuert. Daneben erschienen ein »Moderner Musenalmanach« (hrsg. von Bierbaum, Münch. 1893–94, 2 Bde.), ein »Deutscher Musenalmanach« (hrsg. von W. Arent, Wien 1896) und namentlich M. deutscher Studenten (Göttinger: 1896, 1898, 1900, 1901, 1905; Leipziger: 1903 und 1904; Marburger: 1901; Münchener: 1901, 1903; Wiener: 1900; Hallescher: 1903; Münsterscher: 1904, 1905; Hannoverscher 1905; ein »Musenalmanach der katholischen Studentenschaft«: 1902, 1903, u.a.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 298-299.
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