Chamisso

[870] Chamisso (spr. schámissò), Adelbert von (eigentlich Louis Charles Adelaïde de), namhafter deutscher Lyriker, zugleich Naturforscher, geb. 30. Jan. 1781 auf dem Schloß Boncourt in der Champagne, gest. 21. Aug. 1838 in Berlin, wanderte 1790 mit seinen Eltern aus und kam, nachdem er mancherlei Elend erduldet hatte, endlich nach Preußen, wo er 1796 Page der Königin ward und 1798 unter Friedrich Wilhelm III. in ein Infanterieregiment der Besatzung Berlins trat. Als seine Eltern später nach Frankreich zurückkehrten,[870] blieb er in Berlin. Seine Liebe zur Poesie führte ihn hier mit Varnhagen v. Ense, Theremin, Hitzig, de la Motte-Fouqué u. a. zusammen, mit denen er auch später bei räumlicher Trennung durch gemeinschaftliche Herausgabe eines poetischen Taschenbuchs im Verkehr blieb. Mit Eifer widmete er sich den versäumten Jugendstudien, namentlich dem Studium der griechischen Sprache und der Naturforschung. Bei der Übergabe Hamelns an die Franzosen 1806 war C. einer der Offiziere, die an dem Verrate des preußischen Kommandanten keinen Teil hatten. Entrüstet nahm er seine Entlassung aus dem Militärdienst und ging mit der Aussicht auf eine Professur am Gymnasium zu Napoléonville in sein Vaterland zurück. Diese Aussicht ging nicht in Erfüllung, dagegen gelangte er in den Kreis der Frau v. Stael zu Coppet, wo sich seine Neigung für die Naturwissenschaften, insbes. für die Botanik, entschied. Im Herbst 1812 wieder nach Berlin zurückgekehrt, sing er erst eigentlich das akademische Studium an, wurde aber hier während der Freiheitskriege, in denen er weder mit seinen Freunden gegen sein Vaterland noch mit dem Vaterland gegen die Freunde kämpfen konnte, von zwiespältigen Gefühlen gepeinigt. 1815 nahm er mit Freuden den Antrag an, als Naturforscher der Brigg Rurik den russischen Kapitän O. v. Kotzebue (des Dichters Sohn) auf einer Weltumsegelung zu begleiten. Seine ganze Reisegesellschaft aber, vor allen der Kapitän, stellten dem wissenschaftlichen Zweck der Unternehmung und Chamissos Eifer für denselben alle erdenklichen Schwierigkeiten in den Weg. Dazu teilte man seine Berichte, ohne nur mit ihm hierüber sich zu verständigen, in dem Kotzebueschen Werk über die Exped in on so mangelhaft mit, daß es C. schwer wurde, seine Ehre zu retten. Seine »Reise um die Welt«, bestehend aus einem »Tagebuch« und »Bemerkungen und Ansichten«, erschien dann vollständig 1836 in Band 1–2 der »Gesammelten Werke«. Im Oktober 1818 nach Berlin zurückgekehrt, erhielt er eine Anstellung als Kustos am botanischen Institut, verheiratete sich und wurde einige Jahre später zum Vorsteher der königlichen Herbarien befördert. Die Akademie der Wissenschaften ernannte ihn 1835 zu ihrem Mitglied. Am 29. Okt. 1888 wurde sein Denkmal (von Moser) auf dem Monbijouplatz in Berlin enthüllt. C. verfaßte mehrere naturwissenschaftliche Schriften (vgl. Du Bois-Reymond, Adelbert v. C. als Naturforscher, Berl. 1889) und ein Werk über die hawaiische Sprache (Leipz. 1837). Von seinen Gedichten (23. Aufl., Berl. 1886) erschienen die ersten in dem von ihm und Varnhagen herausgegebenen »Musenalmanach« (das. 1804–1806). Sein geistvolles Werk: »Peter Schlemihl«, die Geschichte eines Mannes, der seinen Schatten verloren hat, worin C. seine eigne Unruhe und Ziellosigkeit charakterisierte, wurde 1813 in der trübsten Stimmung geschrieben, 1814 von Fr. de la Molte-Fouqué in Druck gegeben und ist in fast alle europäischen Sprachen übersetzt worden (vgl. I. Schapler, Chamissos »Peter Schlemihl«, Deutsch-Krone 1893). C., der mit Gaudy eine Auswahl von Bérangers »Liedern« (Leipz. 1838, neue Ausg. 1873) übersetzte und seit 1832, zuerst mit Schwab, dann mit Gaudy den von A. Wendt begründeten »Musenalmanach« herausgab, hat sich auf allen Gebieten der Lyrik in gleichem Maß ausgezeichnet. Der Zartheit seiner Lieder, darunter die romantisch-innigen Zyklen »Frauenliebe und-Leben« (illustriert von Thumann, 27. Aufl., Leipz. 1898) und »Lebenslieder und-Bilder« (illustriert von demselben, 13. Aufl., das. 1895), vereinigte er ergreifende Balladen und prachtvolle Reflexionsgedichte in Terzinen, darunter »Salas y Gomez« (vgl. Tardel, Quellen zu Chamissos Gedichten, Graudenz 1896; Derselbe, Studien zur Lyrik Chamissos, Brem. 1903). Kindliche Reinheit des Charakters, das Streben nach volkstümlicher Einfachheit, dabei manche Anzeichen der fremden Herkunft in Sprache und Inhalt (vgl. das Gedicht »Schloß Boncourt«) verleihen Chamissos formschönen Gedichten unvergänglichen Reiz. Sein hinterlassenes Spiel von »Fortunati Glücksäckel und Wunschhütlein« veröffentlichte aus der Handschrift zuerst Koßmann (Stuttg. 1895). Seine »Gesammelten Werke« wurden von Hitzig herausgegeben (6. Aufl., Berl. 1874, 4 Bde.); neuere Ausgaben besorgten H. Kurz (Hildburgh. 1869, 2 Bde.), Hesekiel (Berl. 1879, 2 Bde.), M. Koch (Stuttg. 1898, 4 Bde.) und A. Bartels (Leipz. 1899, 4 Bde.). Vgl. Hitzig, Leben und Briefe von Adelbert v. C. (2. Aufl. 1842, Bd. 5 u. 6 der »Gesammelten Werke«); Chabozy, Über das Jugendleben Adelberts v. C. (Münch. 1879); Fulda, C. und seine Zeit (Leipz. 1881); Lentzner, C. (Lond. 1893, engl.); Brun, Adelbert de C. de Bon court (Lyon 1896); I. Schapler, Der Humor bei C. (Deutsch-Krone 1897).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 870-871.
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