Niagara

[612] Niagara (indian., »Donner der Wasser«; engl. spr. nai-äggärä), Teil des Lorenzstromlaufs, der den Erie- mit dem Ontariosee verbindet und die Grenze zwischen Kanada und dem nordamerikanischen Staate New York bildet, ist mit seinen Krümmungen 58 km lang und fällt dabei 100 m.

Lageplan der Niagarafälle.
Lageplan der Niagarafälle.

In der stattlichen Breite von 1200 m, die sich nur bei Black Rock auf 600 m verringert, fließt er von seiner Austrittstelle aus dem Eriesee (zwischen Buffalo und Fort Erie) 10 km weit nordwärts, um sich dann in zwei Arme zu teilen, welche die zum Staate New York gehörige bewaldete Insel Grand Island umfließen und sich erst nach 15 km wieder vereinigen; vor dem Ausfluß des westlichen Armes liegt das britische Inselchen Navy. Von hier an schießt der Strom in seinen malerischen wilden »Rapids« (Stromschnellen) mit starkem Gefälle dahin, bis er endlich 7 km unterhalb, durch die 1550 m breite Ziegeninsel (Goat Island) oder Irisinsel (von dem durch das aufstäubende Wasser über ihr erscheinenden Regenbogen) nochmals geteilt, zwischen der amerikanischen Stadt Niagara Falls und dem kanadischen Dorfe Clifton in den berühmten Niagarafällen (s. Kärtchen) donnernd in die Tiefe stürzt. Der östliche, der amerikanische oder Fort Schlosser Fall, ist 322 m breit und am Ufer 50 m hoch, der westliche, der Kanadische oder Hufeisen- (Horseshoe-) Fall, ist in seiner Kurve 915 m (längs der Diagonale 372 m) breit und 49 m hoch. Der erstere liegt ganz innerhalb des Unionsgebiets, der letztere nur zur Hälfte, da die Grenze durch die Mitte desselben gezogen gedacht wird. Die Großartigkeit des Niagarafalls besteht nicht sowohl in seiner Höhe als vielmehr in der ungeheuern Masse des stürzenden Wassers, die 425,000 cbm in der Minute beträgt, wovon etwa neun Zehntel über den kanadischen Fall gehen. Aus der Tiefe der von 70–85 m hohen Felsenwänden eingefaßten Kluft, in die das Wasser stürzt, steigen weiße Schaum- und Wolkenmassen empor, die meilenweit gesehen werden. Von bei den Seiten kann man hinter die riesenhafte Wasserschicht der herabstürzenden Fluten vordringen, deren Wucht im Flußbett, am Fuße des Falles, eine 57 m tiefe Höhlung ausgewühlt hat. Ein besonders schönes Schauspiel gewähren die Fälle im Winter, wenn sich an ihren Seiten eine großartige Eiszapfendraperie, über ihnen eine überschreitbare feste Eisbrücke und am Fuße des amerikanischen Falles ein riesiger Eishügel (mound) bit det. Das 26 m dicke, fast ganz horizontale Kalksteinlager, über das die ungeheure Wassermasse herabstürzt, ruht auf einem noch mächtigern Schieferlager, das durch den seinen Staubregen ohne Unterlaß zersetzt wird, so daß der Kalkstein in großen Massen nachstürzt, wie dies namentlich 1828, 1853 und 1862 geschah, wo der sogen. Table Rock, auf der kanadischen Seite, in den Fluten verschwand. Dadurch geht der Niagarafall immer weiter zurück, nach genauen Messungen 1842–79 jährlich 0,82 m, so daß er in 40,000 Jahren den Eriesee erreichen müßte. Bis zu den Fällen beträgt der Lauf des N. 32 km und das Gefälle 18,6 m. Bis zu diesen Stromschnellen ist er schiffbar. Unterhalb des Falles zwängt sich der N. zwischen 100 ut hohen steilen Felswänden in einer Breite von nur 90 m hindurch, so daß der Strom in diesen Whirlpool Rapids in der Mitte 6–7 m höher ist als an den Rändern, bildet dann, auf 76 m zusammengedrängt, plötzlich einen rechten Winkel, so daß durch den Rückstoß der gewaltigen Wassermasse gegen die Felsen des linken Ufers der Whirlpool (Wirbel) entsteht. Nur einmal (1861) ist ein Schiff glücklich durch die tosende Wassermasse gekommen. Bei den Städtchen Lewiston und Queenstown, 10 km unterhalb der Fälle, ist der Fluß 2700 m breit und wird hier wieder schiffbar. 11 km unterhalb ergießt er sich zwischen dem amerikanischen Dorfe Youngstown (mit dem Fort N.) und dem kanadischen Städtchen N. in den Ontariosee. Den Niagarafluß überspannen jetzt, abgesehen von der zur Ziegeninsel hinüberführenden, vier Brücken, nämlich die Eisenbahnbrücke bei Buffalo, wo er aus dem Eriesee austritt (seit 1873); die Obere Stahlbogenbrücke für elektrischen Bahn-, Wagen- und Fußgängerverkehr, 59 m hoch, mit 256 m Spannweite, an Stelle der 1897 zusammengestürzten Hängebrücke für Fußgänger, 180 m unterhalb der Fälle; die 1883 eröffnete stählerne Cantileverbrücke der Michigan-Zentralbahn (277 m lang, 74 m hoch) und die Untere Stahlbogenbrücke der Grand-Trunk-Bahn für Eisenbahn- und Straßenverkehr, 3 km unterhalb der Fälle, 335 m lang und 69 m hoch, an Stelle der ältern, von A. Röbling erbauten Kettenbrücke, die 1897 abgebrochen wurde. Auf der Seite der Union hat man 1885 die New York State Reservation (42 Hektar), die Goat Island (32 Hektar)[612] und den Prospekt Park (5 Hektar) einschließt, eröffnet und 1888 auf der kanadischen Seite den Queen Victoria Niagara Falls Park (61 Hektar) mit dem immer noch Table Rock (s. oben) genannten Aussichtspunkt. Die Zahl der Besucher der Niagarafälle schätzt man auf mehrere Hunderttausend jährlich. Da die Niagarafälle den Wasserverkehr unterbrechen, so hat man auf der kanadischen Seite den Wellandkanal (s. d.) angelegt. Die Wasserkraft der Fälle ist auf 17 Millionen Pferdestärken geschätzt worden. Zu ihrer teilweisen Ausnutzung hat man einen 9 m tiefen und 5,5 m breiten Tunnel durch die Felsen unterhalb der Hängebrücke bis 2 km oberhalb der Fälle gebohrt, wo er immer noch 50 m unter dem Flußbett liegt. Er führt unter der Stadt Niagara Falls in einer Tiefe von 60 m hindurch und liefert durch eine 1894 in Betrieb gesetzte großartige Turbinenanlage mit 10 Turbinen eine Wasserkraft von 50,000 und seit Erbauung von 11 weitern Turbinen 105,000 Pferdestärken, die mittels elektrischer Kraftübertragung auf größere Entfernungen (so bis zu dem 32 km entfernten Buffalo) ausgenutzt werden kann. Auf der kanadischen Seite ist eine Zentralstation errichtet worden, die auf Lieferung von 110,000 Pferdestärken berechnet ist, vorläufig aber nur 3 Turbinen von je 10,000 Pferdestärken enthält (Näheres über das ältere Elektrizitätswerk am N. s. Elektrische Anlagen mit Tafel II). Die dortigen Fabriken liefern besonders Karborundum, Kalziumkarbid, Aluminium, Natrium, Phosphor, Ferrotitan, Ätznatron, Chlorkalk etc. Eine 19 km lange elektrische Bahn, am kanadischen Ufer, zwischen Queenstown und Chippewa, führt seit Mitte 1893 viele tausend Personen den Fällen zu. Vgl. Holley, N., its history and geology, etc. (Toronto 1872); Ferree, The falls of N. (New York 1876); Howells, Niagara book (mit Marc Twain u.a., neue Ausg., das. 1901); Gilbert, Niagara falls and their history (das. 1895); Grabau, Guide to the geology of N. falls (das. 1901).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 14. Leipzig 1908, S. 612-613.
Lizenz:
Faksimiles:
612 | 613
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Flucht in die Finsternis

Flucht in die Finsternis

Robert ist krank und hält seinen gesunden Bruder für wahnsinnig. Die tragische Geschichte um Geisteskrankheit und Tod entstand 1917 unter dem Titel »Wahn« und trägt autobiografische Züge, die das schwierige Verhältnis Schnitzlers zu seinem Bruder Julius reflektieren. »Einer von uns beiden mußte ins Dunkel.«

74 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon