Prähistorĭe

[257] Prähistorĭe (Vorgeschichte, Urgeschichte), das Wissen von dem Abschnitt der Existenz des Menschengeschlechts, welcher der Zeit, über die die Geschichte berichtet, vorausgeht. Während letztere Epoche selbst bei den ältesten Kulturvölkern nur etwa 6–7 Jahrtausende umfaßt, ist die Dauer der prähistorischen Existenz des Menschengeschlechts nach Hunderttausenden von Jahren zu berechnen. Die prähistorische Forschung stützt sich auf die körperlichen Überreste des vorgeschichtlichen Menschen, seine aus Stein, Knochen, Horn, Holz, Kupfer, Bronze und Eisen angefertigten Geräte, Werkzeuge und Waffen, das Töpfergeschirr, seine Kleidungs- und Schmuckgegenstände, die Reste seiner in Höhlen, Bodenvertiefungen, auf in Wasser oder Sumpf errichteten Pfahlgerüsten ehedem befindlichen Wohnungen, die Tierknochen und gewisse pflanzliche Stoffe, welche die Überreste seiner Mahlzeiten darstellen, die Befestigungen und Verteidigungswerke, seine Grabstätten, seine Grabmonumente und Kultusstätten. Insofern die Sitten und die Lebensweise jetzt lebender Naturvölker Schlüsse gestatten auf die Lebensweise und den Kulturzustand des vorgeschichtlichen Menschen, schließt sich die prähistorische Forschung an die Ethnologie an. Auch Geologie, Paläontologie und Kulturgeschichte, Zoologie und Botanik bilden Hilfswissenschaften der P. Die Anthropologie gibt Aufschlüsse über die körperliche Beschaffenheit des vorgeschichtlichen Menschen und über die vorgeschichtlichen Menschenrassen. Auch die vergleichende Sprachforschung, das Studium gewisser Vorstellungen, Sitten und Gebräuche, die, aus fernen Zeiten stammend, sich bis auf den heutigen Tag erhalten haben, liefert für das Studium der P. wichtige Anhaltspunkte. Vgl. Lubbock, Die vorgeschichtliche Zeit (deutsch, Jena 1874, 2 Bde.); Ratzel, Die Vorgeschichte der europäischen Menschen (Münch. 1874); [257] Hildebrand, De förhistoriska Folken i Europa (Stockh. 1880); Worsaae, Die Vorgeschichte des Nordens (deutsch, Hamb. 1878); Undset, Das erste Auftreten des Eisens in Nordeuropa (deutsch, das. 1882); Caspari, Die Urgeschichte der Menschheit (2. Aufl., Leipz. 1877, 2 Bde.); de Mortillet, Le Préhistorique (Par. 1882); Joly, Der Mensch vor der Zeit der Metalle (Leipz. 1880); Rauber, Urgeschichte des Menschen (das. 1884, 2 Bde.); de Nadaillac, Die ersten Menschen und die prähistorischen Zeiten (deutsch, Stuttg. 1884); M. Hörnes, Die Urgeschichte des Menschen (Wien 1892), Urgeschichte der Menschheit (Sammlung Göschen, Leipz. 1897) und Der diluviale Mensch in Europa (Braunschw. 1903); Dawkins, Die Höhlen und die Urbewohner Europas (deutsch von Spengel, Leipz. 1876); S. Müller, Urgeschichte Europas (deutsch, Straßb. 1905); V. Hehn, Kulturpflanzen und Haustiere in ihrem Übergang aus Asien und Griechenland und Italien (7. Aufl. von O. Schrader, mit botanischen Beiträgen von Engler, Berl. 1902); Buschan, Vorgeschichtliche Botanik der Kultur- und Nutzpflanzen der Alten Welt (Bresl. 1895); Lippert, Die Kulturgeschichte in einzelnen Hauptstücken (Leipz. u. Prag 1885–86, 3 Tle.); Lyell, Das Alter des Menschengeschlechts (deutsch von Büchner, 2. Aufl., Leipz. 1874); Ranke, Der Mensch (2. Aufl., das. 1894, 2 Bde.); O. Schrader, Sprachvergleichung und Urgeschichte (2. Aufl., Jena 1890); Vetter, Die moderne Weltanschauung und der Mensch (das. 1894); Klaatsch, Entstehung und Entwickelung des Menschengeschlechts (in Krämers »Weltall u. Menschheit«, Berl. 1902–04); »L'homme préhistorique« (Monatsschrift, hrsg. von Chervin und Mortillet, Par. 1903 ff.). Weiteres s. unter den Artikeln »Steinzeit, Metallzeit, Pfahlbauten, Gräber (vorgeschichtliche), Höhlenwohnungen« etc.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 257-258.
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