[890] Rhythmus (griech.), eigentlich »Fluß«, sodann gleichmäßig geordnete Bewegung (besonders soweit sie durch das Gehör aufzufassen ist), tritt am bedeutsamsten hervor in den zeitlich verlaufenden Künsten des Tanzes, der Musik und der Poesie. Der R. ist seinem Wesen nach hier immer derselbe, doch erfährt er eigenartige Gestaltung durch das jeweilige Rhythmizomenon, d. h. das Material, in das der R.[890] hineingelegt wird: körperliche Bewegungen, musikalische Klänge, Sprachlaute. Ursprünglich waren diese drei rhythmischen Künste vereinigt. Die Grundlage des R. ist der regelmäßige Wechsel stark und schwach betonter Elemente, die als Hebung und Senkung (Arsis und Thesis) bezeichnet werden; durch die Verbindung dieser Elemente entsteht das einfachste rhythmische Gebilde, der Takt. Der Takt ist aber durchaus nicht immer nur aus einer einfachen Hebung und Senkung zusammengesetzt: es gibt vielmehr Takte, die zwei bis drei verschieden starke Hebungen aufweisen; in den Senkungen wird die Intensität der Elemente nicht geschieden, wohl aber ist die Anzahl der die Senkung füllenden Elemente abweichend (Null, 1, 2 oder 3). Durch die Zusammenfügung mehrerer, mindestens zweier Takte entsteht die rhythmische Reihe oder das Kolon (in der Poesie der Vers), durch die Zusammenfügung mehrerer Kola die rhythmische Periode. Die Kola und Perioden werden gegliedert und als einheitliche Gebilde abgesondert durch den regelmäßigen oder innerhalb gewisser Grenzen variabeln Eintritt von Pausen (in der Poesie Zäsuren und Diäresen). Die rhythmischen Takte sind von gleicher Zeitdauer. doch scheint in der Poesie die Taktgleichheit infolge des eigenartigen Rhythmizomenons der Sprache nicht unbedingt zu gelten. Über die besondere Gestaltung des poetischen R. handelt die Metrik (s. d.): es ist zweckmäßig, die Ausdrücke Metrik und Rhythmik nur in dieser Art zu scheiden, und nicht etwa bei »rhythmisch« an die Wirkung beim Hören und bei »metrisch« an die Andeutung der rhythmischen Absichten durch Noten und andre Symbole zu denken. Die psychologischen Grundlagen des rhythmischen Wohlgefallens sind noch nicht vollständig ermittelt; die Hauptsache wird darin liegen, daß der geregelte Tonfall von Hebung und Senkung unser Bewußtsein einen weitern derartigen Ablauf der Vorstellungen erwarten läßt, und daß die Erfüllung dieser Erwartung ein angenehmes Gefühl erweckt; außerdem bilden bestimmte Rhythmen ein unmittelbares Analogon zu gewissen Formen unsrer Affekte. Durch alle dies erklärt sich die Neigung des Menschen, alle seine Bewegungen und Hantierungen periodisch zu gestalten. Vgl. Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie, Bd. 2 (5. Aufl., Leipz. 1902); Meumann, Untersuchungen zur Psychologie und Ästhetik des R. (das. 1894); Bücher, Arbeit und R. (3. Aufl., das. 1903); Th. Lipps, Ästhetik, Bd. 1 (Hamb. 1903). In der Musik bezeichnet R. im engern Sinne die Art der Bewegung der unterschiedlichen Notengruppen innerhalb einer feststehenden Taktart, im weitern Sinne die Fortbewegung ganzer Takt- und Satzgruppen im großen Tonganzen selbst. Der Gang und Charakter der rhythmischen Bewegung ist es vornehmlich, der dem Musikstück sein bestimmtes physiognomisches Gepräge gibt. Vgl. Westphal, Allgemeine Theorie der musikalischen Rhythmik seit J. S. Bach (Leipz. 1880); M. Lussy, Le rhythme musical (Par. 1883); Carpe, Der R. (Leipz. 1900); Riemann, System der musikalischen Rhythmik und Metrik (das. 1903).