[480] Gehör (Auditus), derjenige Sinn, vermöge dessen wir Töne und Geräusche wahrnehmen. Die Endigungen der Gehörnerven (nervi acustici) breiten sich[480] ähnlich wie die des Sehnervs auf einer kleinen, eng begrenzten Fläche aus. Ihre Erregungen kommen durch die Schallwellen zustande, werden dem Zentralnervensystem zugeleitet und lösen Schallempfindungen aus. Die Hauptverschiedenheit, die unser Ohr zwischen den einzelnen Schallempfindungen bemerkt, ist der Unterschied zwischen Geräuschen und musikalischen Klängen (Tönen). Die Empfindung eines Klanges wird durch schnelle periodische Bewegungen (d. h. solche, die innerhalb gleichgroßer Zeitabschnitte genau in gleicher Weise wiederkehren) eines tönenden Körpers hervorgerufen, die Empfindung eines Geräusches dagegen durch nichtperiodische, unregelmäßige Bewegungen. Töne oder Klänge erscheinen verschieden durch ihre Höhe, die von der Schwingungszahl des tönenden Körpers abhängt, und durch ihre Klangfarbe (timbre), d. h. den spezifischen Charakter, der einem Klang zukommt, je nach dem Instrument, das ihn erzeugt hat.
Die Zuleitung der Schallwellen erfolgt durch das äußere und mittlere, ihre Übertragung auf die den Schall aufnehmenden Nervenendigungen durch das innere Ohr (s. Ohr). Beim Fehlen der Ohrmuschel ist die Feinheit des Gehörs nicht sehr merklich geschwächt. Sie leitet die Schallstrahlen, von denen sie getroffen wird, nach dem äußern Gehörgang. Allein seinem Bau entsprechend müssen viele der auf das Ohr auffallenden Schallstrahlen wieder nach außen reflektiert werden; nur die in den Gehörgang gelangenden kommen zur Wirkung. Der letztere ist die Schallröhre des Ohres: die in ihm enthaltene Luft dient als Leiter des Schalles. Ist diese Schallröhre verstopft (z. B. durch verhärtetes Ohrenschmalz), so ist man fast taub für Schallwellen der Luft. Der Gehörgang ist so gewunden, daß nahezu alle Schallwellen zunächst auf die Wände des Ganges und von da erst auf das Trommelfell selbst geworfen werden. Letzteres, eine schräg gestellte, gespannte, elastische Membran, bildet die Scheidewand zwischen Gehörgang und Paukenhöhle, d. h. zwischen äußerm und mittlerm Ohr, und kann durch die Schallwellen der Luft leicht in Schwingungen versetzt werden. Vermöge seiner eigentümlichen Gestalt und der durch seine Verbindung mit den Gehörknöchelchen gegebenen Dämpfung ist das Trommelfell imstande, durch Schwingungen von beliebiger Frequenz und damit durch Töne der verschiedensten Höhe in Mitschwingungen versetzt zu werden. Diese Schwingungen werden durch ein System kleiner, im Mittelohr (Paukenhöhle) gelegener Knochen (Gehörknöchelchen, Fig. 1) aufgenommen und auf das Labyrinth übertragen. Sie teilen sich zunächst dem Handgriff des Hammers mit, der den Bewegungen des Trommelfelles genau folgt. Parallel mit ihm verläuft der lange Fortsatz des mit dem Kopfe des Hammers gelenkig verbundenen Ambosses; die Schwingungen des letztern geschehen deshalb in demselben Sinne wie die des erstern. Mit dem langen Fortsatz des Ambosses ist das Sylviussche Knöchelchen verwachsen, und dieses artikuliert mit dem Köpfchen des Steigbügels. Eine von diesem gegen die Mitte des Steigbügelfußtrittes gezogene Linie steht ungefähr senkrecht auf der Längsachse des langen Amboßfortsatzes. Kleine Ein- und Auswärtsbewegungen des letztern, wie sie durch die Schwingungen des Trommelfelles bewirkt werden, müssen also den Steigbügel abwechselnd stärker in das ovale Fenster, in das seine Fußplatte locker eingefügt ist, eindrücken und aus ihm herausziehen. Obschon die Gehörknöchelchen die normalen Leiter zwischen Trommelfell und der Membran des ovalen Fensters sind, so vernichtet doch die Unterbrechung ihrer Verbindungen das G. keineswegs. Dagegen veranlaßt die Verwachsung des Steigbügels mit dem ovalen Fenster hohe Grade von Schwerhörigkeit. Die zur Aufnahme der Schallschwingungen der Luft erforderliche Trommelfellspannung wird erzielt durch die Beschaffenheit der Membran selbst und durch den Handgriff des Hammers, dessen Spitze die Mitte des Trommelfelles nach einwärts zieht. Die Spannung des Trommelfelles wird vergrößert durch die Tätigkeit des musculus tensor tympani (Trommelfellspänner), dessen Sehne sich am Hammerhandgriff ansetzt. Der Muskel zieht diesen und mit ihm das Trommelfell nach einwärts. Der Steigbügelmuskel (musculus stapedius) vermag den Steigbügel im ovalen Fenster zu drehen. Beim Erschlaffen dieser Muskeln kehren der Hammerhandgriff und das Trommelfell durch elastische Kräfte wieder in die Gleichgewichtslage zurück.
Durch die Vermittelung der Gehörknöchelchen pflanzen sich die Schwingungen des Trommelfelles fast momentan auf das Labyrinthwasser fort, und alle Teile des ganzen Systems sind stets in der gleichen Schwingungsphase begriffen. Dem Spannmuskel des Trommelfelles und dem Steigbügelmuskel schreibt Helmholtz die Aufgabe zu, die Befestigungsbänder der Gehörknöchelchen straff zu spannen und dadurch die Kette der Gehörknöchelchen gleichsam in ein starres System zu verwandeln. Die Gelenke der Gehörknöchelchen aber scheinen hauptsächlich ausgiebigere Bewegungen des Trommelfelles möglich zu machen, ohne daß dadurch die Verbindung des Steigbügels mit dem eirunden Fenster zerstört würde.
Die Trommelhöhle ist durch die Ohrtrompete (tuba Eustachii) mit der Rachenhöhle verbunden. Diese dient zur Herstellung des Gleichgewichts zwischen der äußern Luft und der in der Paukenhöhle befindlichen Luft und infolgedessen zur Verhütung einseitiger Spannungen des Trommelfelles vom Gehörgang oder von der Trommelhöhle aus. Verschließt man den Mund und die Nase mit den Fingern ganz fest und macht dann eine kräftige Ausatmungsbewegung, so wird von der Rachenhöhle aus die Luft durch die Ohrtrompete in die Paukenhöhle eingepreßt, und das Trommelfell muß in der Richtung nach dem äußern Gehörgang ausweichen[481] (Valsalvascher Versuch). Das Umgekehrte geschieht, wenn man bei Verschluß von Mund und Nase eine kräftige Einatmungsbewegung ausführt. In beiden Fällen kündigt sich die Verrückung des Trommelfelles durch ein Geräusch im Ohr an. Leuten, die sehr heftigem Schall ausgesetzt sind (z. B. Artilleristen etc.), wird empfohlen, den Mund offen zu halten, weil dann die Luft in der Rachenhöhle ebenso stark erschüttert wird wie im äußern Gehörgang, die Wirkung beider Erschütterungen auf das Trommelfell sich also ausgleichen muß. Träte diese Ausgleichung nicht ein, so könnte es leicht zur Zerreißung des Trommelfelles kommen, sobald es durch den heftigen Schall zu stark nach einwärts getrieben wird. Die Ohrtrompete ist übrigens für gewöhnlich verschlossen, zu ihrer Eröffnung dienen ganz vorzugsweise die Schlingbewegungen. Dies beruht darauf, daß die Gaumenmuskeln von der Ohrtrompete entspringen und bei ihrer Zusammenziehung die untere Wand jenes Kanals nach unten zu ziehen bestrebt sind.
Die Bewegungen des Trommelfelles und des Gehörknöchelapparats werden durch die in die Membran des ovalen Fensters eingelassene Steigbügelplatte auf die den innersten Teil des Gehörorgans, das sogen. knöcherne Labyrinth, erfüllende Flüssigkeit, das Labyrinthwasser (Perilymphe), übertragen.
In dieser Flüssigkeit ist das häutige Labyrinth suspendiert, ein System membranöser, ebenfalls mit Flüssigkeit (Endolymphe) erfüllter, untereinander in Verbindung stehender Säckchen, von denen die sogen. Gehörsteine (Gehörsand, Otolithen) enthaltenden Vorhof- oder Otolithensäckchen in dem als Vorhof (vestibulum) bezeichneten Abschnitte des knöchernen Labyrinths gelegen sind, während sich im Innern der halbkreisförmigen Kanäle die häutigen Bogengänge und innerhalb der knöchernen Schneckederhäutige Schneckenkanal befindet. Alle diese membranösen Gebilde empfangen Nervenfasern vom Gehörnerv (nervus acusticus). Der für das Hören wichtigste Teil ist die Schnecke. In ihr liegt das Cortische Organ (Fig. 2), das Endorgan der in die Schnecke eintretenden Fasern des Hörnervs. Man stößt in ihm auf eine Anzahl eigentümlicher Gebilde, die in Reihen angeordnet liegen, die den Windungen der Schnecke folgen. Zunächst sind es die Cortischen Bogen, von denen je zwei nach Art eines Dachfirstes gegeneinander gestemmt sind; das eine derselben, der sogen. Steg, ist massiger als das andre, die sogen. Saite. Neben diesen Bogen stoßen wir auf reihenweise geordnete Zellen, die innern und äußern Haarzellen; sie tragen borstenähnliche Wimpern (Hörhaare). Das ganze spiralige Gewinde, von dem die obenstehende Figur eine Querschnittansicht gibt, wird von einer radial gestreiften Haut, Cortische Membran, überbrückt. Die in der Schnecke spiralig auseinander weichenden Fasern des nervus acusticus treten in die lamina spiralis ossea ein, begeben sich hier an Ganglienzellen, die in die Knochensubstanz eingebettet sind, durchbohren dann das knöcherne Spiralblatt und verlaufen zu den Haarzellen.
Helmholtz nahm an, daß durch Mitschwingen der Saiten und Stege, besonders der erstern, die Endfasern der Gehörnerven erregt würden, und glaubte, daß jedes dieser Gebilde auf einen bestimmten musikalischen Ton, etwa wie die Saiten eines Klaviers, abgestimmt sei. Da aber Stege und Saiten den Vögeln, die doch sehr wohl Töne unterscheiden können, gänzlich fehlen, sie auch gar nicht elastisch zu sein scheinen und die Verschiedenheit ihrer Länge für die ihnen zugeschriebenen Leistungen ungenügend ist, so hat Helmholtz später folgende Theorie der Tonempfindungen aufgestellt: das Cortische Organ ruht auf der radial gefaserten Grundmembran (membrana basilaris); die Fasern derselben sind als ein System nebeneinander liegender gespannter Saiten aufzufassen, die regelmäßige Verschiedenheiten in der Länge erkennen lassen. Ihre einzelnen Fasern werden vom Labyrinthwasser her in Mitschwingung versetzt, und hierdurch werden die unmittelbar darauf liegenden Teile, die Cortischen Bogen und Zellen, und mit ihnen die Enden des Hörnervs erregt. Ein bestimmter, sie erreichender Ton versetzt also einen kleinen Teil der Grundmembran, nämlich die auf ihn abgestimmte Fasergruppe, in Resonanzschwingungen, wodurch die darüberliegenden Gebilde derartig alteriert werden, daß Erregungen der mit ihnen verbundenen Fasern des acusticus entstehen, die zum Gehirn geleitet werden und eine dem Ton entsprechende Empfindung veranlassen. Jeder einfache Ton wird nur durch gewisse einzelne Nervenfasern empfunden, und Töne von verschiedener Höhe setzen verschiedene Nervenfasern in Erregung. Wird aber ein aus mehreren Tönen zusammengesetzter Klang dem Ohr zugeleitet, so wird er von den mitschwingenden Teilen in unserm Ohr in seine einzelnen einfachen Teiltöne getrennt, genau so, wie wir seine komplizierte Schwingung durch Resonatoren in die einzelnen sie zusammensetzenden pendelartigen Schwingungen von verschiedener Tonhöhe zerlegen können. Durch die Helmholtzsche Hypothese werden also die Erscheinungen des Hörens auf solche des Mitschwingens (Resonanz) zurückgeführt. Die Empfindung verschiedener Tonhöhen ist hiernach eine Empfindung in verschiedenen Nervenfasern. Die Empfindung der Klangfarbe beruht darauf, daß ein Klang außer den seinem Grundton entsprechenden akustischen Endapparaten, je nach den übrigen in ihm enthaltenen und durch ihre Zahl und Höhe die Klangfarbe bestimmenden Teiltönen, noch eine Anzahl andrer in Bewegung setzt, also in mehreren verschiedenen Gruppen von Nervenfasern Empfindung erregt. Die Empfindungen der Geräusche werden durch plötzliche, meist schnell gedämpfte Bewegungen von vielleicht besondern akustischen Endapparaten, vielleicht von den in den Vorhofsäckchen gelegenen, hervorgerufen. Gegen diese Theorie sind neuerdings mehrfach Einwände erhoben worden; so haben Ewald u. a. andre Erklärungen aufgestellt, die aber noch nicht allgemeinere Anerkennung gefunden haben.
Die Grenzen, innerhalb deren das Ohr Schallbewegungen aufzufassen imstande ist, sind ziemlich weit gesteckt. Der tiefste wahrnehmbare Ton entspricht[482] etwa 16 Schwingungen in der Sekunde, der höchste gegen 32,000. Doch gehören die tiefsten und höchsten überhaupt wahrnehmbaren Töne nicht mehr zu den musikalisch verwertbaren; die erstern werden nur als dumpfes Dröhnen oder Rollen vernommen, die letztern müssen, um überhaupt gehört zu werden, mit großer Stärke angegeben werden und affizieren dann das Ohr leicht in schmerzhafter Weise. Musikalisch brauchbar ist nur ein Bereich von etwa sieben Oktaven. Manche Leute sind gar nicht imstande, sehr hohe Töne zu hören, z. B. das Zirpen der Grillen u. a. In hohem Maße besitzt das Ohr die Fähigkeit, verschiedene Tonhöhen voneinander zu unterscheiden; dabei spielt indes die Übung und die musikalische Anlage eine so große Rolle, daß sich allgemein gültige Angaben über die Feinheit der Unterscheidung nicht machen lassen.
Die physiologische Bedeutung der halbzirkelförmigen Kanäle (des Bogengangapparats) ist sehr verschieden aufgefaßt worden. Man hat, unter Hinweis darauf, daß sie in ganz charakteristischer Weise in drei auseinander senkrechten Ebenen des Raumes angeordnet sind, sie für Organe zur Wahrnehmung der Schallrichtung erklärt. Andre Physiologen sehen in ihnen eine Art Sinnesorgan für die Wahrnehmung der Kopfhaltung und damit für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes. Die Zerstörung der häutigen Bogengänge des Labyrinths hat auf das Gehörvermögen keinen merklichen Einfluß, Zerstörung der Schnecke dagegen vernichtet das G. vollständig. Den Vorhofsäckchen schreiben manche Beziehungen zur Wahrnehmung der Geräusche zu; andre halten auch sie für Gleichgewichtsorgane. Schon seit langer Zeit ist bekannt, daß gewisse Erkrankungen des innern Ohres, nämlich diejenigen, wobei das häutige Labyrinth verletzt ist, mit sogen. Ohrenschwindel oder Gehörschwindel einhergehen. Auch der sogen. Drehschwindel (s.d.) wird auf Störungen im Bogengangapparat bezogen.
Die Schallbewegungen verursachen nicht bloß auf dem bisher besprochenen Wege Gehörsempfindungen, sondern auch die Kopfknochen können in Schwingungen geraten und den Schall bis zum Felsenbein und zu dem in ihm befindlichen Labyrinth fortleiten. Die Schallwellen der Luft zwar teilen sich nur schwer den Kopfknochen mit, und wir sind deshalb bei verstopften Gehörgängen für Lufttöne beinahe taub. Dagegen übertragen sich die Schallwellen aus dem Wasser leicht auf die Kopfknochen, denn unter Wasser getaucht, hören wir auch bei verstopften Ohren im Wasser erregte Geräusche sehr deutlich. Am leichtesten pflanzen sich die Schallwellen fester Körper auf die Kopfknochen fort. Man hört eine tönende Stimmgabel, wenn man sie auf den Kopf aufsetzt oder zwischen die Zähne nimmt, stärker als aus der Luft, und zwar merkwürdigerweise bei verstopften Ohren ungleich stärker als bei offenen.
Nicht jeder Gehörsempfindung liegt ein Schall zugrunde, sondern auch beim vollständigen Mangel objektiven Schalles können wir Gehörsempfindungen haben (subjektive Gehörsempfindungen), und zwar bei krankhaften Reizungszuständen des Gehörnervs selbst oder des Gehirns. Hierher gehören namentlich die Gehörsempfindungen bei Abnormitäten des Blutkreislaufes im Gehirn und im Labyrinth infolge von Blutandrang oder von Blutverlusten, vor dem Eintritt der Ohnmacht, bei narkotischen Vergiftungen und im Beginn gewisser Krankheiten. Bei Verschluß der Ohren und veränderter Stellung des Kopfes zur vermeintlichen Schallquelle verändern sich diese subjektiven Empfindungen nicht. Bei psychischen Störungen aber können sie leicht als objektive Empfindungen aufgefaßt werden: sogen. Gehörshalluzinationen. Bei objektiven Gehörsempfindungen beurteilen wir die Entfernung der Schallquelle nach der Stärke des empfundenen Schalles, nach der verschiedenen Klangfarbe und nach den sonstigen auffallenden Eigenschaften der Geräusche und Töne. Daß wir bei solchen Urteilen manchen Fehler begehen, liegt auf der Hand; doch schützen wir uns vor falschen Urteilen oftmals durch unsre bereits gemachten Erfahrungen und durch Veränderung der Bedingungen, unter denen wir hören, z. B. durch Wechsel unsers Abstandes von der Schallquelle etc. Die Richtung des Schalles verlegen wir in diejenige Linie, in der wir den Schall am deutlichsten wahrnehmen, und dies ist die Linie der rechtwinklig auf das Ohr fallenden Schallstrahlen. Durch Drehung des Körpers oder des Kopfes finden wir die günstigste Stellung des Ohres zu den Schallstrahlen. Der Schall gelangt dann beim Hören mit beiden Ohren (dem binauralen Hören) gerade in das dem Ort seiner Entstehung zugewendete Ohr, und wir glauben geradezu den Schall mittels dieses Ohres allein zu hören, was jedoch eine Täuschung ist. Kommt dagegen ein Schall gleichmäßig in beide Ohren, z. B. von einer gerade vor uns liegenden Schallquelle, so haben wir keine Veranlassung, ihn auf das eine Ohr mehr als auf das andre zu beziehen, wir verlegen dann die Schallquelle in die Verlängerung der Ebene, durch die wir unsern Körper in eine rechte und linke Hälfte geteilt denken können. Im allgemeinen ist unser Urteil über die Schallrichtung wenig sicher, so daß wir in dieser Beziehung leicht Täuschungen verfallen. Ein Schall, der beide Ohren, wenn auch ungleich stark, trifft, wird für gewöhnlich einfach gehört.
Die gewöhnlich als Gehörorgane der niedern Tiere bezeichneten einfach gebauten Organe pflegt man jetzt als Gleichgewichts- (Equiliber-, statische) Organe aufzufassen. Sie finden sich z. B. bei den Medusen am Scheibenrand in symmetrischer Anordnung und stellen entweder sogen. Gehörkölbchen oder Gehörbläschen dar.
Die erstern sind offenbar modifizierte, äußerst kurze Randtentakeln, in deren entodermaler Achse sich mehr oder weniger regelmäßig gestaltete Kalkkonkremente als sogen. Gehörsteine (Otolithe, Statolithe) finden, und die von Sinneshaaren umgeben sind, die den umstehenden Sinneszellen angehören (Fig. 3). Wird das Hörkölbchen[483] durch Schallwellen in Schwingungen versetzt, so werden die Sinneshaare angeschlagen und so wird ein Reiz auf sie ausgeübt. Wenn derartige Sinneskölbchen in die Tiefe versenkt oder von einer Epithelfalte des Ektoderms umwachsen werden, kommt ein Gehörbläschen (Otocyste, Statocyste) zustande (Fig. 4).
Solche Statocysten mit einem oder mehreren Statolithen im Innern, mit einem die Wand bekleidenden Sinnesepithel und davon ausgehenden Sinneshaaren stellen, wenn sie mehr in die Tiefe des Körpers versenkt werden, ringsum geschlossene Bläschen dar (Fig. 5 u. 6). Solche Gehörbläschen finden sich ebenfalls am Schirmrand der Medusen, kommen aber auch in einer dem Prinzip nach ähnlichen Ausbildung bei Würmern, Weichtieren und Gliedertieren, speziell bei den Krebsen vor (Fig. 6).
Der Reiz wird bei ihnen dadurch ausgeübt, daß bei Lageveränderungen des Tieres der Statolith je nach der Art seiner Befestigung auf die Spitzen der Sinneshaare drückt oder an ihnen zieht, so daß dieser Reiz bei differenter Lage des Tieres ein verschiedener ist oder verschiedene Sinneshaare in Tätigkeit treten (Fig. 5 u. 6).
Diesem Typus der Gehörorgane entsprechend, sind auch die Gehörorgane der höhern Krebse, z. B. die des Flußkrebses, gebaut, jedoch sind es offene, mit Chitin ausgekleidete Säckchen, in denen sich ebenfalls chitinisierte Sinneshaare finden. Als Statolithen werden bei diesen an der Basis der ersten Antennen gelegenen »Hörbläschen« Sandkörnchen und ähnliche Fremdkörper verwendet, die von außen hineingebracht und nach der Häutung wieder ersetzt werden müssen.
Sehr eigenartig gebaut sind die Gehörorgane der Insekten; es sind dies in verschiedenen Teilen des Körpers vorkommende, zwischen zwei Stellen der Körperdecke saitenartig ausgespannte (sogen. chordotonale) Organe, die mit Sinneszellen ausgestattet sind, und an die ein Nerv herantritt. Auf sie sind die speziell als Gehörorgane der Insekten bezeichneten Organe zurückzuführen, die man besonders von verschiedenen Geradflüglern kennt, und die aus verdünnten Stellen des Chitins mit umgebendem festern Chitinring (Trommelfell, Tympanum) und darunter liegender Tracheenblase bestehen, womit sich ebenfalls Sinneszellen und Nerven verbinden. Solche sogen. tympanale Organe treten bei den Feldheuschrecken am Brustabschnitt über dem dritten Fußpaar, bei den Grillen und Laubheuschrecken an den Schienen der Vorderbeine auf. Diese Gehörorgane finden sich bei denjenigen Insekten, die durch Aneinanderreiben von Flügeln und Gliedmaßen Töne hervorzubringen vermögen, welche wohl hauptsächlich für die Anlockung der Geschlechter von Bedeutung sind.
Auf die Grundform des von der Oberfläche, d. h. der Körperdecke, herstammenden Epithelbläschens ist auch das Gehörorgan der Wirbeltiere zurückzuführen, wie es sich tatsächlich beim Embryo vom äußern Blatt abschnürt und diese Verbindung mit der Oberfläche dauernd bewahren kann.
Aber das Hörbläschen bewahrt hier nicht wie bei den Wirbellosen seine einfache Form, sondern teilt sich in zwei Bläschen (Utriculus und Sacculus, Fig. 7), von welch ersterm als halbkreisförmige Kanäle die drei Bogengänge entstehen, die mit einer Erweiterung (der Ampulle) in den Utriculus einmünden (Fig. 7). In den drei Ampullen findet sich auf leistenartigen Vorsprüngen (den Cristae acusticae) das mit Härchen versehene Sinnesepithel und ebenso als Maculae acusticae im Utriculus und Sacculus. Vom Saeculus aus entsteht als anfangs nur zipfelförmige Ausstülpung die Lagena, woraus bei den höhern Wirbeltieren der gewundene Schneckengang hervorgeht (Fig. 7), der ebenfalls Sinnesepithelien besitzt (das Cortische Organ). Dieses kompliziert gebaute häutige Labyrinth wird zumal bei den höhern Wirbeltieren tiefer in den Schädel versenkt, und damit kommt es zur Ausbildung eines schalleitenden Apparats. Die Fische besitzen außer den Bogengängen am häutigen Labyrinth nur die Lagena, die Schnecke fehlt ihnen und ebenso ein eigentlicher schalleitender Apparat; dagegen tritt bei den Amphibien die nach außen durch das Trommelfell verschlossene Paukenhöhle auf mit der in den Rachen mündenden Ohrtrompete (tuba Eustachii). Ein noch sehr einfacher, aus dem Stapes und der Columella und den spätern Gehörknöcheln bestehender[484] schalleitender Apparat verbindet sich mit dem Trommelfell. Bei Reptilien und Vögeln kommt es allmählich auch zur Ausbildung eines kurzen äußern Gehörganges, obwohl das Trommelfell auch bei ihnen zumeist noch im Niveau der Körperoberfläche liegt, die Schnecke beginnt sich allmählich mehr vom Sacculus zu sondern, aber die höchste Vollkommenheit erreichen diese Teile erst im Ohr der Säugetiere (und des Menschen), bei denen dann auch die äußere Ohrmuschel hinzutritt. Vgl. Helmholtz, Lehre von den Tonempfindungen (5. Ausg., Braunschw. 1896); Bernstein, Die fünf Sinne des Menschen (2. Aufl., Leipz. 1889); Hensen, Physiologie des Gehörs (in Hermanns »Handbuch der Physiologie«, Bd. 3, Teil 2, das. 1880); Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie (5. Aufl., das. 190203, 3 Bde.); Retzius, Das Gehörorgan der Wirbeltiere (Stockh. 1891); Tyndall, Der Schall (deutsch, 3. Aufl., Braunschw. 1897); G. Zimmermann, Die Mechanik des Hörens (Wiesb. 1900); Ebbinghaus, Grundzüge der Psychologie, Bd. 1 (Leipz. 1902).
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