Initiatīve

[915] Initiatīve (v. lat.), 1) das Recht, etwas anzutragen, vorzuschlagen; 2) Einleitung zu einer Sache; 3) nach den Begriffen des constitutionellen Staatsrechts das Recht, der Volksvertretung einen Gesetzesentwurf zur Berathung vorzulegen. Die I. unterscheidet sich danach wesentlich von dem Rechte, bloße Anträge od. Bitten auf Erlaß, authentische Interpretation, Aufhebung od. Abänderung an die Krone zu stellen. Das letztere Recht ist als ein Ausfluß des Petitionsrechtes den deutschen Ständen nie bestritten worden. Das eigentliche Recht der I. dagegen war bis 1848 durchaus theils stillschweigend, theils ausdrücklich als ein ausschließliches Vorrecht des Landesfürsten anerkannt. Seit dem Jahre 1848 wurde indessen in Folge des Andrängens der Bewegungspartei in mehreren deutschen Staaten auch den ständischen Versammlungen das Recht der I. meist in Verbindung mit Bestimmungen über Aufhebung des absoluten Veto des Fürsten eingeräumt (vgl. z.B. in Baiern Gesetz vom 4. Juni 1848, Altenburg Gesetz vom 21. Oct. 1848, Preußer Verfassungsurkunde von 1850, Art. 64), aber als dem Geiste monarchischer Verfassungen widersprechend, formell wieder aufgehoben. In England befindet sich das Parlament schon seit Heinrich VI. thatsächlich in dem ausschließlichen Besitze der I., da die Minister der Krone, indem sie einerseits nur als Häupter der im Parlament herrschenden Majorität ihre Stellen behaupten, andererseits aber doch das Ansehen der [915] Krone in dem Kampfe der Meinungen nicht durch Parteinahme schwächen lassen dürfen, es vorziehen, Gesetzesanträge, die von ihnen ausgehen, nicht Namens der Regierung, sondern durch ein befreundetes Parlamentsmitglied stellen zu lassen. In Frankreich hat das Recht der I. sehr gewechselt. Durch die Verfassung von 1791 den Volksabgeordneten ertheilt, wurde dasselbe unter dem Kaiserreiche u. der Restauration der Volksrepräsentation wieder entzogen, in Folge der Julirevolution durch die Charte von 1830 wieder hergestellt, unter dem neuen Kaiserreich jedoch abermals unterdrückt. Außerdem findet sich das Recht der I. noch in den Verfassungen von Norwegen vom 4. Novbr. 1814 u. von Spanien. Bei der Deutschen Reichsversammlung stand das Recht der I. nur dem Kaiser u. den Kurfürsten zu. In der Deutschen Bundesversammlung hat dagegen rechtlich jeder Stand die I., doch wird bei wichtigeren Angelegenheiten dieselbe meist von den beiden Großmächten Österreich u. Preußen ausschließlich geübt. Vgl. Murhard, Die I. bei der Gesetzgebung, Kassel 1833.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 8. Altenburg 1859, S. 915-916.
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