Ein Tonstük, das aus zwey concertirenden Hauptstimmen besteht, es sey, daß sie würklich ganz allein gehört werden, oder daß sie einen Baß und Mittelstimmen zur Begleitung haben; denn in diesem Fall werden die begleitenden Stimmen nicht mitgerechnet, weil die Hauptstimmen so beschaffen seyn[282] müssen, daß sie eine völlige Reinigkeit und Vollständigkeit der Harmonie haben, wenn alle begleitende Stimmen weggelassen werden.
Man hat zwey Arten des Duets; die merklich von einander unterschieden sind. Die eine Art besteht blos aus zwey Hauptstimmen, ohne alle Begleitung; diese nennen die Tonlehrer insgemein Bicinia: die andre Art hat zwar auch nur zwey Hauptstimmen, aber diese haben eine oder mehrere Stimmen zur Begleitung, so daß der Satz bisweilen vier, fünf und mehrstimmig darin vorkommt. Von dieser Art sind die Duette in der Oper, wo ausser einem begleitenden Basse noch verschiedene Mittelstimmen zur Begleitung vorkommen.
Die erste Art kann entweder für einerley, oder für verschiedene Stimmen und Instrumente verfertiget werden, als für zwey Discantstimmen, für zwey Violine, für zwey Flöten u. s. f. oder für eine Discant- und eine Tenorstimme, für eine Flöte und eine Violin u. s. w. Nur muß bey der Verschiedenheit der Stimmen oder Instrumente dieses in acht genommen werden, daß sie in Ansehung der Höhe nicht zu weit auseinander seyn, als wie z. B. eine Baßstimme und eine Discantstimme seyn würden; denn dadurch würde die Harmonie zu sehr zerstreut werden, die Stimmen würden zu sehr gegen einander abstechen, und eine würde die andre verdunkeln. Diese Art erfodert einen überaus reinen und dabey Harmoniereichen Satz, der so beschaffen seyn muß, daß ohne Zwang nicht einmal eine dritte begleitende Stimme dazu könnte angebracht werden. Wenn der Satz in seiner höchsten Vollkommenheit dabey beobachtet worden, so muß das Gehör durchaus so befriediget werden, daß ihm nirgend weder ein dritter Ton, noch ein Fundament zur Unterstützung der obern Stimmen, dabey einfallen könnte. Dergleichen Tonstüke sind also nur den geübtesten Tonsetzern zu überlassen, die alle Geheimnisse der reinen Harmonie völlig besitzen.
Die andre Art ist die, welche überall aus den Opern bekannt ist. Zwey Sänger singen bald wechselsweise einer nach dem andern, bald beyde zugleich, ähnliche Melodien, welche von einem beständigen Baß und von verschiedenen Mittelstimmen begleitet werden.
Beyde Arten der Duette kommen darin überein, daß beyde darin vorkommende Stimmen Hauptstimmen sind, und keine über die andre herrscht; daß bald die eine, bald die andre eine Zeitlang sich allein hören läßt, hernach aber beyde zugleich, jede aber in ihrem besondern Gang. Hieraus entsteht in beyden Arten die Nothwendigkeit, daß das Duet Fugenmäßig und völlig nach der Kunst des doppelten Contrapunkts gesetzt seyn müsse, damit beyde Melodien bey der Einheit des Charakters eine schöne Mannigfaltigkeit haben. Und wiewol die erstere Art, die ohne Begleitung ist, vorzüglich die ganze Harmonie in zwey Stimmen zusammen faßt; so muß auch die andre Art so bearbeitet seyn, daß der Baß und die Mittelstimmen davon wegbleiben können, ohne daß die Harmonie mangelhaft werde. Denn die beyden concertirenden Stimmen nehmen sich doch vor den begleitenden so sehr aus, daß das Gehör sich damit hauptsächlich beschäftiget. Sollten also die beyden Hauptstimmen so beschaffen seyn, daß sie zur Reinigkeit der Harmonie einer dritten Stimme bedürften, so würde das Fehlerhafte gar zu fühlbar werden, wenn das Gehör sich, wie es allemal geschieht, vorzüglich mit den beyden Hauptstimmen beschäftigte. Dieses wird durch folgendes Beyspiel begreiflich werden.
Dieser Saz hat so, wie er hier steht, nichts gegen die gute Harmonie; inzwischen könnte man ein Duet nicht nach dieser Art setzen; denn wenn man den Baß wegließe, so würden die beyden obern Stimmen in Quarten gegen einander stehen, und sehr unangenehm werden.
Man muß also bey solchen Duetten auch ohne Rüksicht auf die Umkehrung der Stimmen, die Regeln des doppelten Contrapunkts in der Octave vor Augen haben; weil nur dadurch die beyden Hauptstimmen auch ohne den Baß ihre harmonische Richtigkeit bekommen. Deßwegen ist das Duet allemal ein Werk, das nur der Setzer unternehmen kann, der ein vollkommener Harmonist ist, und so wol die Kunst der Fugen und Nachahmungen, als des doppelten Contrapunkts in seiner Gewalt hat. [283] Zwey schöne Melodien, deren jede ihren eigenen richtigen Ausdruk, ihre eigenen Verzierungen hat, so zu vereinigen, daß keine die andre verdunkelt, dies ist der Gipfel der Kunst: wer darin stark ist, wie ein Händel oder Graun, der kann mit Recht auf dem obersten Rang der Tonsetzer seinen Platz nehmen.
Da in der heutigen Musik die Duette von zwey Singestimmen, so wol in Cantaten, als in dem Drama die wichtigsten und lieblichsten Tonstüke sind, so verdienen sie auch eine vorzügliche Betrachtung der Critik. Rousseau hat mit Einsicht und Geschmak davon geschrieben1, und verdienet von Dichtern und Tonsetzern über diese Materie nachgeschlagen zu werden.
Dem erstern Anschein nach hält man es für ganz unnatürlich, daß zwey Personen zugleich eine Zeitlang ihre Empfindungen gegen einander äußern, ohne daß die eine auf die andre Achtung giebet. Am wenigsten scheinet dieses sich für handelnde Personen von hohem Rang zuschiken, wie sie in der Oper insgemein sind. Indessen giebt es doch Fälle, wo die Leidenschaften, besonders die von zärtlicher Art, die Gemüther dergestalt hinreissen, daß eine so überfließende und vom Anstand ungehemmte Aeußerung derselben, wie sie im Duet vorkommt, ganz natürlich wird; wenn nur der Dichter diese Fälle natürlich genug vorstellt, und der Tonsetzer dieselben als ein Mann von feinem Geschmak behandelt. Man kann sich auf die Empfindung aller Menschen berufen, die in verschiedenen berlinischen Opern, wo der Dichter nur einigermaaßen natürlich gewesen ist, die reizenden Duette unsers Grauns gehört haben, um zu behaupten, daß nichts so tief in das innerste der Empfindungen eindringt, als ein gutes Duet.
Der Dichter muß das Duet mit großer Behutsamkeit und nur in solchen Umständen der Handlung anbringen, wo natürlicher Weise die Empfindungen zwey handelnder Personen auf einen Grad steigen, der an den Wahnwiz gränzet. In solchen Umständen wird es natürlich, daß die Empfindung sich abwechselnd, bald durch wenig schwermerische Worte, bald blos durch unartikulirte Töne, bald nur durch die nachdrüklichsten Gebehrden äußere; daß von zwey Personen, die ein Gegenstand außer sich gesetzt hat, bald die eine, bald die andre, bald beyde zugleich ausbrechen; aber immer kurz und ofte nur in ein paar Sylben. Also muß das Duet keine zusammenhangenden Sätze der Rede, sondern abgebrochene kurze Reden in unvollständigen Sätzen, und abwechselnd, bald von der einen, bald von der andern der handelnden Personen, enthalten. Nicht jede starke Leidenschaft erlaubt diese Behandlung. Die von der zärtlichen Art, die einen klagenden Ton annehmen, schiken sich dazu am besten. Es ist aber nöthig, daß jede der beyden Personen die Leidenschaft auf eine ihr und ihrem Charakter eigene Art empfinde, damit die beyden Stimmen sich hinlänglich gegen einander auszeichnen.
Wenn der Dichter das Duet, als ein Mann von Geschmak angebracht und vorgetragen hat, so wird dem Tonsetzer zwar seine Arbeit erleichtert; aber dennoch hat sein Genie die glüklichste Stunde dazu nöthig. Er muß sich den Gemüthszustand jeder der beyden Personen lebhaft vorstellen, und dann kurze melodische Sätze finden, die sich für beyde zugleich passen, die zu der contrapunktischen Umkehrung, und zu der fugenmäßigen Nachahmung schiklich sind. Erst läßt er jede Person allein singen; die zweyte Stimme muß einen andern Gesang haben, als die erste, und dennoch muß dieses der Einheit des Gesanges nicht schaden; denn nun befällt die Leidenschaft beyde zugleich, und abwechselnd wird sie izt in der einen, dann in der andern stärker.
Alles, was die Kunst der Fuge, der Nachahmungen, des doppelten Contrapunkts und des Canons schweeres hat, ist kaum noch hinreichend, dem Tonsetzer aus allen Schwierigkeiten, die er dabey vor sich findet, heraus zu helfen. Wer das höchste und glüklichste Genie zur Musik in allen einzeln dazu gehörigen Theilen bewundern will, der studire nur die Duette unsers Grauns, wodurch er die unempfindlichsten Seelen außer sich gesetzt hat. Es würd ein unersetzlicher Verlust für die Kunst seyn, wenn diese entzükende Duette sollten verlohren gehen; und doch ist die Gefahr dieses Verlusts vorhanden, so lange sie nicht durch den Druk vervielfältiget und ausgebreitet werden. Deutschland kann damit allein gegen alle andre Nationen auftreten, um den Vorzug in der Musik zu behaupten: aber eben dieser Vorzug kann ihm durch die Achtlosigkeit für die Erhaltung und Ausbreitung dieser himmlischen Gesänge zur größten Schande gereichen.
1 | Diction. de Musique Art. Duo. |
Buchempfehlung
Die Geschwister Amrei und Dami, Kinder eines armen Holzfällers, wachsen nach dem Tode der Eltern in getrennten Häusern eines Schwarzwalddorfes auf. Amrei wächst zu einem lebensfrohen und tüchtigen Mädchen heran, während Dami in Selbstmitleid vergeht und schließlich nach Amerika auswandert. Auf einer Hochzeit lernt Amrei einen reichen Bauernsohn kennen, dessen Frau sie schließlich wird und so ihren Bruder aus Amerika zurück auf den Hof holen kann. Die idyllische Dorfgeschichte ist sofort mit Erscheinen 1857 ein großer Erfolg. Der Roman erlebt über 40 Auflagen und wird in zahlreiche Sprachen übersetzt.
142 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro