[994] Satire. (Redende Künste)
Da die Neuern den Namen der Sache, wovon hier die Rede seyn soll, den Römern abgeborget, seine Bedeutung aber so weit ausgedähnet haben, daß sie etwas unbestimmtes bekommen hat; so werden wir am besten thun, wenn wir erst auf die alte Bedeutung zurüke gehen, und hernach aus derselben den Begriff festsezen, den wir gegenwärtig durch diesen Namen ausdrüken. Ohne auf die zweifelhafte Etymologie zurüke zu gehen, begnügen wir uns anzumerken, daß die Römer gewissen Gedichten, darin die Thorheiten und Laster einzeler Personen und ganzer Stände scharf, beißend oder spöttisch durchgezogen, und mit einiger Ausführlichkeit in ihr häßliches Licht gesezt worden, den Namen der Satiren gegeben. Die Satiren des Horaz, Juvenalis und Persius sind jederman bekannt, und können hier als Beyspiehle der römischen Satire angeführt werden. Die Römer geben sich für die Erfinder dieser Art des Gedichtes aus.1 Da aber die Namen Satyra, Satura oder Satira weit älter sind, als Lucilius, so erhellet daraus, daß Horaz nur von der Form der Satire spricht, die er und seine beyden Nachfolger beybehalten haben. Auch Ennius, Pacuvius, Varro und andre haben Gedichte geschrieben, die den Namen Satiræ trugen, aber von einer andern Art waren. Der ausdrüklichen Zeugnisse, die wir so eben angeführt haben, ungeachtet, halten einige Neuere, die Satire für griechischen Ursprungs. Wem mit einer ausführlichen Untersuchung hierüber gedient seyn mag, den verweisen wir auf Drydens Abhandlung von dem Ursprung und Fortgang der Satire.2
Wir wollen die critische Untersuchung dieser Sache den Gelehrten überlassen, und hier nur einige Beobachtungen beybringen, die uns auf Entdekung der eigentlichen Quelle, aus der dieses Gedicht entspringet, führen werden.
Ich habe bereits anderswo3 erinnert, es sey bey gewissen Festen und Feyerlichkeiten der Griechen und Römer eine alte Gewohnheit gewesen, die Zuschauer mit allerhand Schimpf- und Spottreden zu belustigen. Die Sache selbst scheinet mir etwas so merkwürdiges zu haben, daß sie ein gründliches Nachforschen ihres Ursprunges wol werth wäre. Meine Kenntnis reicht dazu nicht hin; indessen will ich das Wenige, was ich hierüber zu sagen im Stande bin, anführen. Lucian sagt ausdrüklich, daß die Schimpfreden einen Theil der Feyerlichkeiten der Bacchusfeste ausgemacht haben. Es scheinet aber, daß dergleichen bey mehrern Festen vorgekommen seyen. [995] Herodot erzählt, daß bey den Epidauriern an einem gewissen Opferfest der Chor keine Mannspersonen, sondern blos Frauen mit Schimpfwörtern habe anfallen dürfen.4 Hier sehen wir also, daß gewisse Personen, nämlich der Chor, zu erwähnten Schimpf- und Spottreden bestellt gewesen. Es scheinet, daß diesem Chor an gewissen Festen besonders aufgetragen gewesen, das Volk auf mancherley Art zu belustigen. Dieses hat allem Ansehen nach den Ursprung der Comödie veranlasset. Denn wir sehen nicht nur daß die ältern Comödien des Aristophanes Beschimpfungen bekannter Personen zum Grunde haben; sondern wir finden auch noch in dem Curculio des Plautus die Spuhr der ursprünglichen Art der Comödie darin, daß zwischen dem dritten und vierten Aufzug der Choragus hervortritt, und den Zuhörern viel schimpfliches vorrükt.
Es ist schweer zu sagen, auf was für eine politische, oder psychologische Veranlassung eine solche Gewohnheit aufgekommen ist; aber wir treffen etwas ähnliches auch bey andern Völkern an. Die saturninischen Verse der alten Römer, und was Horaz fescenniam licentiam nennt; da ebenfalls bey religiösen Freudenfesten schimpfliche Verse gesungen, oder nur hergesagt wurden; die Schimpflieder der Soldaten auf ihrem Heerführer, die zu der Feyer des Triumphs gehörten, verrathen eine ähnliche Gewohnheit. Hieher rechnen wir auch die Fastnachtslustbarkeiten der mittlern Zeiten, denn wir treffen dabey Possenreißer an, die jeden, der ihnen in Weg kommt, durch Worte und selbst durch Thaten beschimpften; wovon ich selbst in meiner Kindheit noch Ueberbleibsel gesehen habe. Ich vermuthe so gar, daß dabey etwas gewesen, das mit dem Wagen des Thespis große Aehnlichkeit gehabt. Ein aus jenen Zeiten übrig gebliebenes Wort, das izt allmählig auch unbekannt wird, führt mich auf diese Vermuthung. In meiner Kindheit nannte man in meinem Vaterland ein lustiges Muthwillentreiben bey Zusammenkünften junger Leuthe, eine Guggelfuhre, das ist nach der Etymologie des Worts, zum Possenreissen gedungene Narren, die auf einer Karre herumgeführt werden. Bey öffentlichen Kriegesübungen und auch bey andern Feyerlichkeiten ist bis izt an einigen Orten die sehr alte Gewohnheit geblieben, daß ein bestellter Possenreisser mit einer Guggel oder Narrenkappe auf dem Kopf und einer Harlekins Pritsche in der Hand, den Zug begleitet, und die Zuschauer beschimpft, ohne, daß es ihm übel genommen wird. Und allem Ansehen nach hat dieser bey Festen bestellte Narr den Harlekin und Hannswurst der Comödien veranlasset.
Ich glaube daß diese Beobachtungen uns einiges Licht über den Ursprung aller Arten der alten Satire geben. Ein noch völlig rohes, dabey etwas lebhaftes und lustiges Volk, weiß sich bey Freudenfesten kein besseres Vergnügen zu machen, als daß die Wizigsten der Gesellschaft einander durch Anzüglichkeiten zu einem lustigen Streit auffodern, einander verspotten, und dadurch die ganze Gesellschaft belustigen; die denn dafür sorget, daß kein ernstlicher Streit daraus werde.5 Diese, ganz rohen Menschen gewöhnliche Lustbarkeit herrscht noch bis auf diesen Tag überall, wo das noch rohe Volk Lebhaftigkeit und Muth genug sich lustig zu machen, behalten hat.
Dieses wär also die erste roheste Gestalt der Satire, deren Einführung sich weder die Griechen, noch die Römer zueignen können; allem Ansehen nach ist sie allen Völkern des Erdbodens, die nicht zu phlegmatisch sind, gemein. So wie sich nun bey einem Volke, die allmählige Verfeinerung der Sitten einfindet, so wird sie auf die Satire, wie auf alles übrige, was zu den Sitten und Gebräuchen gehöret, auch ihren Einflus haben. Alsdenn entstehen aus dieser ursprünglichen Satire Comödien, oder andre satirische Schauspiehle6, oder solche satirische Gedichte dergleichen Pacuvius und Ennius gemacht, oder die Varronische, oder endlich die Horazische Satire, oder andre Arten.
Man ist gegenwärtig gewohnt alles satirisch zu nennen, was auf Verspottung gewisser Personen, oder gewisser Handlungen, Sitten und Meinungen abziehlet.
Man kann also überhaupt sagen, die Satire, in so fern sie als ein Werk des Geschmaks betrachtet wird, sey ein Werk, darin Thorheiten, Laster, Vorurtheile, Mißbräuche und andre der Gesellschaft, darin wir leben, nachtheilige, in einer verkehrten Art zu denken oder zu empfinden gegründete Dinge, auf [996] eine ernsthafte, oder spöttische Weise, aber mit belustigendem Wiz und Laune gerüget, und den Menschen zu ihrer Beschämung und in der Absicht sie zu bessern, vorgehalten werden. Wir schließen von der Satire aus die schimpflichen oder spöttischen Anfälle auf einzele Personen, oder Stände die blos von persönlicher Feindschaft herrühren, und Privatrache zum Grund haben. Wir sehen auch nicht, daß die so genannten Silli der Griechen, die eigentliche Schmäh- und Rachgedichte waren, die beißenden Jamben des Archilochus,7 die Oden des Horaz, darin er eine Canidia, oder andre Personen feindseelig anfällt, oder endlich die spöttischen Sinngedichte, wodurch Martial sich an manchem Feind rächet, unter die Satiren wären gezählt worden.
Auch ist hier überhaupt zu erinnern, daß die Satire nicht, wie die meisten andern Werke redender Künste, ihre eigene Form habe. Sie zeiget sich in Gestalt eines Gesprächs, eines Briefes, einer Erzählung, einer Geschicht, einer Epopöe, eines Drama, und so gar eines Liedes. Molieres Tartüffe, des Cervantes Don Quixote, Swifts Mährchen von der Tonne u.s.w. sind wahre Satiren. Indessen hat der Gebrauch es eingeführt, daß man den Tartüffe eine Comödie, den Don Quixotte einen Roman und andre Satiren nach ihrer Form und nicht nach ihrem Inhalte nennt. Izt eignet man durchgehends den Namen Satire kleinern satirischen Stüken zu, die ihrer Form nach zu keiner der gewöhnlichen claßischen Art der Werke des Geschmaks gehören.
Aber es ist Zeit, daß wir diese Nebenbetrachtungen abbrechen, und den Charakter der Satire näher zu entwikeln suchen.
Hier merken wir zufoderst an, daß ihr Stoff eine herrschende Abweichung von Vernunft, Geschmak, Tugend, von guter Lebensart, oder endlich von anständigen Sitten sey, die zugleich Wichtigkeit genug habe, um öffentlich gerüget zu werden, damit die Menschen dafür verwahret, oder, die, welche davon angestekt sind, davon abgebracht werden. Wir fodern, daß diese Abweichungen herrschend seyen; dann ein einziges, oder selten wieder kommendes Versehen gegen Vernunft, Geschmak, Sitten u.s.f. wird keinen vernünftigen Menschen veranlassen, eine Satire dagegen zu schreiben. Aber eingewurzeltes Uebel, oder ein solches, das überhand zu nehmen drohet, ist dieser Bemühung schon werth. Wir würden auch unsern Beyfall nicht gern solchen Satiren geben, die Thorheiten, oder Laster einzeler Menschen, deren Würkung keinen merklichen Einflus auf die Gesellschaft hat, zum Gegenstand nähmen. Sie dienen zwar zur Belustigung und können unter Werken, die blos Scherz und Ergözung zum Zwek haben, und die wizige Köpfe, wie Horaz sagt, in voller Muße zum Spiehl vornehmen8, mit gehen. Hiezu aber rechnen wir die nicht, die unter einer gewissen Gattung Menschen allgemein gewordene Thorheiten, an einzeln Menschen durchziehen, von welcher Art Horazens Schwäzer ist9. Denn da geht die Satire auf die ganze Gattung, und bekommt dadurch ihre Wichtigkeit. Auch würden wir unter die unbeträchtlichen Satiren, die rechnen, deren Inhalt außer der Sphäre der Leser, für welche man arbeitet, liegt, als Thorheiten des ganz niedrigen Pöbels, der nicht liest; oder wenn izt jemand nach Lucianischer Art, auf die griechische Götterlehre Satiren schreiben wollte. Diese und die vorhergehende Art mag man immer Satiren nennen: wir zählen sie in die Classe der bloß scherzhaften Werke, deren einziger Zwek ist, zu belustigen.
Der Endzwek der Satire ist dem Uebel, das sie zum Inhalt gewählt hat, zu steuren, es zu verbannen, oder wenigstens sich dem weitern Einreissen desselben zu wiedersezen, und die Menschen davon abzuschreken. Denn Privathaß, oder Groll macht die Satire einigermaaßen zum Pasquill. Vielleicht möchte der Fall hievon auszunehmen seyn, da man aus patriotischer Feindschaft gegen große Bösewichte, kein anderes Mittel hat, das Publicum an ihnen zu rächen, als sie der allgemeinen Verachtung oder dem Spott Preis zu geben10. Aber wir sprechen hier überhaupt und nicht von ganz einzelen Fällen.
Wegen dieses Endzweks gehöret also die Satire unter die wichtigsten Werke des Geschmaks, und man würde ihr sehr unrecht thun, sie blos in die Classe der scherzhaften und belustigenden Werke zustellen, denen sie unendlich vorzuziehen ist. Die wahre und wolausgeführte Satire ist ein höchstschäzbares Werk. Jede im Verstand, Geschmak oder dem sittlichen Gefühl herrschende Unordnung, die sich unter einem Volke, oder unter ganzen Ständen ausbreitet, ist ein wichtiges Uebel, ofte viel wichtiger, als eine blos vorübergehende Noth, wodurch die Menschen nur eine Zeitlang ihrer Bedürfnisse halber in Kummer und Leiden versezt werden. Wie wichtig man sich auch immer gewisse, auf das äusserliche [997] Wolseyn eines Volkes abzielende Anstalten vorstellt; so werden wir bey genauerm Nachdenken über menschliche Angelegenheiten allemal finden, daß innere Zerrüttungen, sie herrschen in dem Verstand oder in dem Willen, sehr fürchterliche Uebel sind, die so bald sie eine gewisse Größe und Ausbreitung gewonnen haben, ein ganzes Volk unwiederbringlich ins Verderben stürzen. Gar ofte hat das, was man blos für lächerlich hält, die schweeresten Folgen für ein ganzes Volk gehabt. Diese Wahrheit wird keinem nachdenkenden Beobachter der Menschen, bey der Geschichte verschiedener Völker unbemerkt geblieben seyn. Wer demnach ein Volk, oder nur einen Stand in der bürgerlichen Gesellschaft, von einer Thorheit, oder irgend einer andern verderblichen Abweichung von dem geraden Weg der Natur und Vernunft, zurüke bringen kann, hat ihm eine sehr wichtige Wolthat erzeiget. Aber von der Würkung der Satire wird hernach gesprochen werden, wenn wir ihre Art und ihren Charakter näher werden betrachtet haben.
Der Satirenschreiber hat mit dem moralischen Philosophen das gemein, daß er wie dieser, eingerissene, oder einreissende Schäden des sittlichen Menschen zu heilen sucht; aber in den Mitteln sind sie verschieden. Dieser nihmt den ernsthaften lehrenden, vermahnenden, warnenden Ton an, stellt das Uebel bisweilen nach seinem Ursprung, bisweilen in seiner allgemeinen Beschaffenheit, oft in seinen schädlichen Folgen, aber allezeit unmittelbar in dem Ton des Lehrers, vor. Ganz anders verfährt gemeiniglich der Satiriste. Ihn selbst hat sein Stoff entweder in verdrießliche, oder in spottende, oder blos lustig scheinende Laune gesezt, und diese theilet er seinem Leser mit. Das Uebel, welches er angreift, kommt ihm in gewisser Gestalt und Farbe vor, die jene Laune veranlassen; also schimpft, oder spottet, oder lacht er, und beschreibet seinen Gegenstand nach dem was darin für seine Laune am meisten auffallend ist. Er verfährt dabey, wie jeder Künstler, sinnlich, nihmt statt allgemeiner Vorstellungen besondere; es ist nicht seine Art die Thorheit, oder das Laster zu entwikeln, sondern er schildert den Thoren und Lasterhaften nach der Absicht, in welcher er die wiedrigste, oder seltsameste, oder lächerlichste Gestalt bekommt. Der Satiriker macht sich auch nicht zum Gesez, sich sehr genau an die Richtigkeit der Zeichnung zu binden, sondern übertreibet auch wol die Sach ein wenig, und giebt ofte eine seiner Laune gemäße Carrikatur, statt der genauen Zeichnung. Dadurch sucht er durch die Laune, in die er seinen Leser versezet, ihn über die Ausschweifung die er schildert, verdrießlich zu machen, oder ihn zu Verspottung und Belachung derselben zu bringen. So unterscheiden sich der Satiriker und der Moralist, bey einerley rühmlicher Absicht, durch die Art der Ausführung.
Freylich sind sie nicht durchaus, in jeder Aeußerung einzeler Gedanken von einander so verschieden, daß sie gar nie, einer des andern Bahne beträten. Der Satirenschreiber wird bisweilen in einzelen Stellen ein Moraliste, und dieser geräth bisweilen in das Fach der Satire. So wenig aber dieser, wenn er auch etwas unwillig wird, sich feindseelig zeiget, so wenig nihmt jener den Ton eines väterlichen Lehrers an; auch da wo er den Thoren belehret, thut er es als ein Zuchtmeister. Die Satire fährt nicht nothwendig in einem Ton durchaus fort; Unwillen, Spott und Lachen wechseln bisweilen darinn mit einander ab; doch scheinet es, daß der lachende und spottende Ton ihr vorzüglich eigen sey. Der schiklichste Wahlspruch des Satiristen ist: Ridendo dicere verum. Nur dieses bleibt immer herrschend, daß die Angriffe auf Unverstand Thorheit und Laster würklich feindseelig seyen, und daß diese in ihrer wiedrigen, oder lächerlichen oder schimpflichen Gestallt dargestellt werden. Der Satiriker verfährt wie ein Feind, der seinem Wiedersacher den Tod geschwohren hat, und es so genau nicht nihmt, ob er ihm durch einen geraden Angrif, oder durch Fechterstreiche beykomme.
Dieses mag hier hinlänglich seyn, den Charakter der Satire überhaupt zu bestimmen.
Diese Gattung erfodert sowol einen starken Denker, als einen Mann von warmen Gefühle. Grosser Verstand und Scharfsinn helfen ihm jede Abweichung von der Natur genau zu bemerken, und richtig zu beurtheilen; sie heben ihn in die Höhe, von der er die Menschen übersehen, und auf ihren Wegen genau beobachten kann. Sein scharfes Aug entdeket die Folgen der Abweichungen, und ihre Wichtigkeit; er siehet das noch nicht vorhandene Verderben, und wiedersezet sich ihm noch zu rechter Zeit. Seine höhern Einsichten sezen ihn im Stande seinen Mitbürgern die Gefahr die ihnen droht, und das Uebel, das schon an ihrer Wolfarth wie ein Wurm im Verborgenen naget, deutlich vor Augen zu legen; [998] er weiß es gerade in das Licht zu sezen, in welchem es den größten Abscheu, oder den stärksten Unwillen, oder die gewisseste Verachtung, oder Spott und Gelächter erwekt.
Die Wärme des Herzens ist seine Muse, die ihn zu dem nüzlichen Kampf ermuntert, und ihn in die Laune sezet, die dem Thoren so schweer wird. Da er Wahrheit, Geschmak und gute Sitten über alles liebet, so wird ihm auch keine Mühe zu schweer, ihre Rechte gegen jeden Angriff zu vertheidigen.
Diese Eigenschaften aber hat er auch mit andern großen Künstlern und Lehrern der Menschen gemein. Ihm besonders eigen aber ist die Gabe der satirischen Laune. Wenn er wie Heraklitus, über die Thorheiten und Verblendung des Menschen zu weinen, oder auch wie Demokritus nur für sich darüber zu lachen geneigt wäre, so würde er nicht als ein Zuchtmeister öffentlich auftreten. Dazu wird nothwendig eine etwas scharfe Galle, oder die Lust laut aufzulachen, erfodert. Der Satiriker muß etwas hizigen Temperaments seyn, daß er sich von der verdrießlichen oder lächerigen Laune übernehmen, oder dahinreissen läßt; er muß nicht traurig, sondern bös werden, wo er schweere Vergehungen sieht; er muß von dem Narren nicht zu einer trokenen Verachtung, sondern zum Spott gereizt werden; und das Lächerliche muß nicht blos seinem Verstand ungereimt vorkommen, sondern sich seiner Einbildungskraft in einer wahrhaftig comischen Gestalt darstellen, darüber er sich nicht still ergözt, sondern laut lustig macht.
Ist er von solcher Gemüthsart, so wird es ihm zur Lust an der Satire gewiß nicht fehlen, und denn wird ihm auch, wenn er sonst die dem Dichter überhaupt nöthigen Gaben, einer lebhaften Schilderung sichtbarer und unsichtbarer Dinge hat, die glükliche Ausführung nicht mislingen. Nur ist ihm vorzüglich der feine Wiz nöthig, geistreiche Aehnlichkeiten zu finden, und das was die Thorheit, dadurch, daß sie gewöhnlich ist, von ihrem Lächerlichen verliehret, recht auffallend zu machen, indem es durch völlig ähnliche, aber sehr lächerliche Gegenstände herausgebracht wird.
Bedenket man, daß der wahre Zwek der Satire bey dem Dichter ein warmes Interesse für Wahrheit, Geschmak und Tugend voraussezet, und auf der andern Seite, daß Lust zum Spott etwas von Verachtung der Menschen und lachende Laune gemeiniglich mit etwas Leichtsinn verbunden sind; so wird man leicht begreifen, daß ein wahrer Satirendichter etwas seltenes seyn müsse. Einige gerathen in würkliche Boßheit, wie Aristophanes und Swifft, andere gerathen in Possen, wie Scarron, und suchen blos uns lustig zu machen. Man wird sich deswegen nicht verwundern, daß unter der Menge guter Dichter nur wenige zur Satire aufgelegt sind.
Aber es ist nun Zeit, daß wir den Nuzen dieser Art näher erwägen. Ich getraue mir nicht zu behaupten, daß Bösewichte, Narren und Thoren von allerley Art, gegen die die Satire eigentlich gerichtet ist, sich dadurch bessern lassen, wiewol auch nicht zu läugnen ist, daß mancher von ihnen wenigstens schüchtern gemacht, und in einigen Schranken gehalten werden könne. Die Hauptsache kommt auf die Würkung an, welche man auf den gesunden Theil der Leser machen kann. Ich habe bereits an einem andern Orte, wo ich nicht irre, hinlänglich gezeiget, was für gute Würkung die lachende und spottende Satire haben.11 Von der ernsthaftern züchtigenden Satire, kann man mit Grunde dieselbe Würkung erwarten. Selbst der Böswicht kann nicht leiden, daß er vor den Augen der Welt gepeitscht werde, und mich dünkt, daß nichts schreklicheres seyn könne, als öffentliche Schande: sie muß, sowol für den, der sie leidet, als für den, den sie warnet, wenn er nicht völlig aller Empfindung der Ehre beraubet ist, von sehr starker Würkung seyn. Würde man also zu viel sagen, wenn man den wahren Satiriker, der dem Endzwek der Satire Genüge leistet, für ein Geschenk des Himmels ausgäbe, womit einer ganzen Nation höchstwichtige Dienste geleistet werden? Ich sehe sie als Wächter an, die ihre Mitbürger für jeder sittlichen Gefahr auf das Nachdrüklichste warnen, und als öffentliche Streiter die sich jedem eingerissenen Uebel auf die würksameste Weise wiedersezen. Sie vermögen mehr, als äußerliche Gewalt, die nur den Ausbruch des Uebels auf eine Zeitlang hemmet, aber die Wurzel desselben nicht abschneidet. Es wäre wol möglich Erfahrungen darüber anzuführen; aber dieses ist für uns zu weitläuftig.
Ich getraue mir deswegen zu behaupten, daß die Satire wol eine besondere Aufmerksamkeit von Seite der gesezgebenden Macht, in jedem Staat verdiente. So wie die Selbstrache, in Fällen, wo die Geseze Genugthuung verschaffen, und das Pasquill, das in Privatfeindschaft gegründet ist, nothwendig [999] in jedem ordentlichen Staat verbothen sind, so sollte auf der andern Seite der redliche Satirist, von den Gesezen geschützt werden.
Freylich würden ihr Schranken zu sezen seyn die ihrem Mißbrauch zuvorkämen. Gemeine Schwachheiten, Vergehungen und Beleidigungen, die aus Uebereilung geschehen, alles vorübergehende Schlummern das keine wichtige Folgen hat, verdienet Nachsicht und freundschaftliche Erinnerung; und alles Böse, das durch Zuflucht zu den Gesezen kann gehemmt werden, ist von der Satire ausgeschlossen. Die persönliche Satire würde große Einschränkung erfodern. Niemand, als der aus Boßheit öffentlich sündiget, oder dessen Vergehungen seines Ansehens halber von schädlichen Folgen sind, sollte in Satiren genennt, oder offenbar bezeichnet werden12.
Allein wir können uns hier nicht in den ausführlichen Vorschlag zu einer Gesezgebung für die Satire einlassen. Ich wollte nur erinnern, daß sie nüzlich wäre, zugleich aber, daß sie große Vorsichtigkeit erfoderte. Auch möchte es nicht ganz ohne Nuzen seyn, denen die sich unter uns öffentlich als Richter und Beurtheiler dessen, was im Reich der Wissenschaften und des Geschmaks vorgeht, einige Grundmaximen in Absicht auf die satirischen Züchtigungen, die sie bisweilen vornehmen, zur Ueberlegung anheimzustellen. Doch es scheinet, daß man den Mißbrauch eingesehen habe. Es ist an unsern guten periodischen Schriften, worin die neuesten Schriftsteller mit republicanischer Freyheit beurtheilt werden, über diesen Punkt wenig mehr zu erinnern, nachdem die scharfsinnigern Kunstrichter von den ehemaligen Aristophanischen Muthwillen, auf eine bescheidene Beurtheilung zurüke gekommen sind. Einzele hizige Köpfe, die sich dadurch ein Ansehen u geben glauben, daß sie mit Muthwillen schimpfen und spotten, wo sie höchstens ihre Meinung mit Bescheidenheit und einiger Furchtsamkeit sagen sollten, muß man ihrem Sinn überlassen, bis sie von selbst verständiger werden.
Wenn man sagt, daß die Satire bey den Römern aufgekommen sey, so muß man es nur von der besondern Art verstehen, welche die Satire in einem kleinen Gedicht, das eine moralische, bald lehrende, bald strafende Rede über die Sitten der Menschen in Versen ist, behandelt. Denn Aristophanes war unstreitig ein Satiriker. Die sehr verdorbenen Sitten der Römer unter den Cäsaren haben drey fürtrefliche Dichter in dieser Gattung hervorgebracht. Horaz ist mehr zum Lachen über Thorheiten als zu ernsthaftern Angriffen der verderblichen Laster geneigt; Juvenalis ist strenger, zieht schärfer auf die verderbliche Unsittlichkeit seiner Zeit los, und weiß sowol Unwillen, als Spott und Lachen zu erweken. Persius fällt schon etwas ins Weinerliche, straft und lehret mit stoischem Ernst.
Ich habe nicht Lust diesen Artikel mit Anführung und Beurtheilung aller satirischer Dichter der neuern Zeiten zu verlängern. Wer sie nicht kennet, mag den sechsten Theil der Briese zur Bildung des Geschmaks an einen jungen Herrn von Stande, darüber nachlesen. Wir sind in diesem Stük etwas hinter den andern gelehrten europäischen Nationen zurüke. Von unsern Dichtern sind Caniz und Haller die einzigen, die sich in der römischen Satire hervorgethan haben. Liscov, Rost und Rabner, vornehmlich der erste, haben wahre satirische Talente gezeiget. Aber sie haben sich meistentheils an Thorheiten von niedriger Gattung gehalten. Wäre Liscov dreyßig Jahre späther aufgetreten, so würd er, allem Ansehen nach, dem guten Geschmak durch seine Satire weit wichtigere Dienste geleistet haben. Vielleicht erweket ein guter Genius auch unter uns bald einige satirische Köpfe, die der Nation ihre [1000] wichtigere Thorheiten, Vorurtheile und unsittliche Arten zu handeln auf eine kräftig beschämende Weise vorhalten werden. An einzelen Spuhren, daß in Deutschland Köpfe die der Sache gewachsen wären, bereits vorhanden sind, fehlet es nicht.
1 | Horaz sagt vom Lucilius, – suerit limatior quam rudis et Græcis intacti carminis auctor, und bezeichnet vermuthlich den Ennius dadurch. Quintilian sagt: Satira quidem tota nostra est. Inst. L. X. c. 1. und Diomedes schreibet davon: Satira est carmen apud Romanos, non quidem apud Græcos, maledicum et ad carpenda hominum vitia, archææ Comœdiæ caractere compositum; quale scripserunt Lucilius et Horatius et Persius. Sed olim carmen quod ex variis poematibus constabat Satira dicebatur, quale scripserunt Pacuvius et Ennius. Diem. L. III. |
2 | Sie ist in der Sammlung vermischter Schriften zur Beförderung der schönen Wissenschaften und freyen Künste die in Berlin bey Nicolai herausgekommen ist, in dem V Theile, deutsch zu finden. |
3 | S. ⇒ Aristophanes; ⇒ Comödie. |
4 | Herod. L. V. |
5 | Sollte nicht die Anmerkung auch hieher gehören, daß das deutsche Wort Schimpf, durch dergleichen Lustbarkeit auch die Bedeutung des Wortes Spaß angenommen hat? Man sagt: im Schimpf und Ernst. |
6 | S. Den folgenden Artikel. |
7 | S. ⇒ Archilochus. |
8 | Cantamus vacui. Od. l. 6. Vacui sub umbra lusimus. Od. I. 32. |
9 | Sat. L. I. 9. |
10 | S. ⇒ Lächerlich, am Ende des Artikels. |
11 | S. Lächerlich S. 647. f. f. |
12 | Es kommt bey der Personalsatire sehr viel auf den Charakter der Nation an, und hier verdienet angemerkt zu werden, daß bey den Griechen und Römern persönliche Anzüglichkeiten ungerochen dahingiengen, die gegenwärtig in den meisten Europäischen Ländern tödtliche Feindschaft verursachen würden. Es möchte der Mühe wol werth seyn, den Gründen eines so merklichen Unterschieds zwischen jenen alten und den heutigen Sitten nachzuspühren. Verräth die gar zu große Empfindlichkeit für jeden Tadel nicht etwas Kleines in der Gemüthsart? Mir kommt es so vor, denn es scheinet, daß ein gesezter Mann um so viel weniger den Tadel empfinde, je mehr er sich selbst fühlet, und je mehr Freyheit er sich selbst nihmt, nach seiner eigenen Art zu handeln, ohne sich daran zu kehren, wie andre verfahren. Die allzugroße Empfindlichkeit scheinet etwas kleinstädtisches zu haben; und die Erfahrung lehret, daß in kleinen Orten, wo die Gemüths, und Lebensart der Menschen eng eingeschränkt ist, heftige Feindschaften über Kleinigkeiten entstehen, die unter Personen, die einen größern Kreis übersehen, kaum scheele Minen würden veranlasset haben. |
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