Satire

[941] Satire (v. lat., nach unrichtiger Ableitung aus dem griechischen Satyre), eine zur didaktischen Gattung gehörende Dichtungsart, welche Thorheiten, Eitelkeiten, Gebrechen, Laster in der socialen Gesellschaft in launigem Tone von ihrer lächerlichen u. verderblichen Seite darstellt (heitere, lachende S.) od. mit Bitterkeit des Spottes verfolgt (ernste, strafende S.). Die S. ist eine Erfindung der Römer u. zwar die einzige nationale, nicht von den Griechen entlehnte Dichtungsart bei denselben; sie ging hervor aus den komischen Parodien der ernsten Festtänze in Rom, welche in mimischen Bewegungen bestanden, begleitet von Musik u. extemporirter Scherzrede u. als Mischgattung Satŭrae (nach Satura lanx einer Schüssel, worauf der Ceres die Erstlinge der verschiedenen Früchte dargebracht wurden), nachmals Satĭrae genannt wurden. Ennius führte diese S-n als dramatische Spiele in die Literatur ein, indem er deren, u. zwar in wechselnden Versarten, schrieb; Lucilius bildete aus ihr eine Kunstgattung in der Form geistreicher Discussion über politische u. sociale Gegenstände, wobei er sich für jede einzelne S. nur Eines Versmaßes bediente; Varro geißelte vom wissenschaftlichen Standpunkte die Gebrechen seiner Zeit, bes. das überhandnehmende Fremdenthum gegenüber dem alten Römerthum, u. weil er dabei die sarkastische Manier des Cynikers Menippos nachahmte, nannte er seine S-n Satĭrae Menippēae; in ihnen wechselten Prosa u. Verse ab; Horatius u. seine Nachfolger (s. Römische Literatur S. 313) beschränkten die S. auf das Gebiet des socialen Lebens u. gaben ihr durch das Übergewicht des Allgemeinmenschlichen über das blos Nationale ein allgemeines u. nachhaltiges Interesse. Name u. Wesen der S. kam aus der Römischen in die Occidentalischen Literaturen (s. Französische Literatur, Italienische Literatur, Englische Literatur etc.), auch in die Deutsche Literatur (s.d.), wo sie bes. im 16. Jahrh. beim Übergang aus dem alten in das neue Cultur-, kirchliche u. sociale Leben erscheint u. das alte mit beseitigen half. Die S. verfolgt nicht die Thorheiten, Gebrechen u. Laster einzelner Personen, sondern ist gegen die in Ständen, Corporationen, Staaten, Zeiträumen herrschenden gerichtet, daher sind die einzelnen Personen, welche als Gegenstand des Spottes erscheinen, nur fingirte, welche die Gebrechen einer ganzen Klasse repräsentiren. Dabei hat der Spott nicht die Bestimmung den Leser zu unterhalten, sondern denselben von den Thorheiten u. Fehlern abzuschrecken u. die Thoren u. Lasterhaften zu bessern. Form u. Einkleidung der S. kann sehr verschieden sein, indem sich der Brief, die Erzählung, der Dialog, das Schauspiel, das Lied, die Fabel, selbst das Epos dazu eignen; die gewöhnlichste Form ist die der selbständigen didaktischen S., obwohl darin die Belehrung als unmittelbarer Zweck in den Hintergrund treten muß. Die Versart der S. war bei[941] den Römern seit Horatius der Hexameter, bei Neueren gewöhnlich das iambische Metrum. Vgl. Sansovino, Della satira, Ven. 1563; Vauquelin de la Fresnaye, Sur la satire, Caen 1605; Grosch, Regeln der R., Jena 1750; Paldamus, Über Ursprung u. Begriff der S., Greifsw. 1834.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 14. Altenburg 1862, S. 941-942.
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