Satire

[623] Satire (lat.) ist eine Grundform der subjektiven ästhetischen Auffassung, die sich in allen Künsten, vor allem aber in der Poesie, und in dieser in allen Gattungen (Epos, Roman, Novelle, Lyrik, Drama) geltend machen kann; insbes. aber versteht man unter Satiren diejenigen (bald umfangreichern, bald knapper gefaßten) Gedichte, in denen die negierende, tadelnde Beschreibung von Eigenschaften und Zuständen der Einzelnen oder bestimmter engerer oder weiterer Gemeinschaftsgruppen vorwaltet. Hiernach gliedert sich alle S. in persönliche und allgemeine S. Die unberechtigte und entartete persönliche S. ist das Pasquill. Die ästhetische Bedeutsamkeit der S. hängt einerseits davon ab, ob der Satiriker vom Standpunkt eines Ideals aus oder vom Standpunkt persönlicher Befangenheit seine kritischen Urteile fällt; ferner davon, ob er den Gegenstand der S. in seinem innersten Wesen oder nur oberflächlich erfaßt hat. Die S. ist, je nachdem sie das Nichtige dem Lachen oder der Verachtung preisgibt, heitern oder ernstern Charakters. Der Name »S.« stammt von satura, was ursprünglich eine Schüssel mit allerlei Früchten, sodann jedes Allerlei bezeichnete und zuerst von dem römischen Dichter Lucilius auf dasjenige angewendet wurde, was heutzutage S. heißt. Das Pasquill wurde zuerst von den Griechen (Jamben des Archilochos), die eigentliche S. dagegen durch die Römer ausgebildet. In ihr glänzten, nachdem sie durch Ennius eine geordnete poetische Form erhalten hatte und durch Lucilius zur literarischen Kunstgattung erhoben worden war, vorzüglich Horatius, Persius und Juvenalis. Bei den Deutschen fehlt die S. schon im Mittelalter nicht; zur Vorherrschaft gelangt sie im Zeitalter der Renaissance und Reformation, wo sie in Brants »Narrenschiff«, Murners »Schelmenzunft«, in den »Epistolae obscurorum virorum«, den Schriften Ulrichs von Hutten, Fischarts u.a. oft mit durchschlagender Kraft gepflegt wird. Seit Opitz zeichneten sich vornehmlich Lauremberg (mit plattdeutschen Satiren), Rachel, A. Gryphius, Moscherosch, Canitz, Hunold u.a. in dieser Gattung aus. Im 18. Jahrh. waren scharfe satirische Köpfe, die auch vor der persönlichen S. nicht zurückschreckten, Liscow und Lichtenberg; feinsinnig, doch unpersönlich zeigte sich Rabener, meist zu zahm Gellert. Hagedorn lieferte Nachbildungen des Horaz, Rost kecke Satiren auf Gottsched und dessen Anhänger. In neuerer Zeit glänzte besonders H. HeineAtta Troll«, »Wintermärchen«) in rücksichtslos persönlicher, aber durchschlagender S. Die satirische Komödie ward mit Glück angebaut von Tieck, Platen, Grabbe, L. Robert, Prutz, Hamerling u.a.; die politische S. fand besonders seit dem Jahre 1848 höchst mannigfaltige Pflege. Unter den Satirikern der übrigen Völker sind zu nennen bei den Italienern: Ariosto, Alemanni, Salvator Rosa, Gozzi und Alfieri; bei den Spaniern: Cervantes de Saavedra, Quevedo; bei den Franzosen: Rabelais, Regnier, Boileau, Voltaire, J. Chénier, Courier und Béranger; bei den Engländern: John Hall, J. Marston, Pope, Swift, Churchill und Wolcott; bei den Polen: Krasicki. Auch der politischen Witzblätter, die sich zugleich der bildlichen S., der Karikatur, als Illustration bedienen, wie der englische »Punch«, der französische »Charivari«, der »Kladderadatsch«, die »Wespen«, der »Simplizissimus«, »Lustige Blätter« etc., ist hier zu gedenken. Vgl. H. Schneegans, Geschichte der grotesken S. (Straßb. 1894); Glaß, Klassische und romantische S. (Stuttg. 1905).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 623.
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