[43] Alchĕmie nennt man jene angebliche Wissenschaft und Kunst, deren Streben darauf gerichtet ist, den sogenannten Stein der Weisen zu finden, den man als das Mittel betrachtet, durch welches unedle Metalle in Gold oder Silber verwandelt, das Leben verlängert und viele Krankheiten geheilt [43] werben können. Sie hat besonders im Mittelalter zu unaufhörlichen Streitigkeiten, zu zahllosen Thorheiten und Betrügereien Veranlassung gegeben, aber andererseits durch ihre unermüdlichen Versuche auch zu Entdeckungen geführt, die für die Wissenschaften, Künste und Gewerbe höchst vortheilhaft waren. Die Hauptlehrsätze, zu denen sich ihre Jünger bekennen, sind folgende: Es ist möglich, aus Körpern, die kein Gold enthalten, durch Kunst wahres, vollkommenes und beständiges Gold darzustellen. Das Mittel dazu ist ein Erzeugniß der Kunst, nämlich der Stein der Weisen, auch das große Elixir, das große Magisterium oder die rothe Tinctur genannt. Silber, Quecksilber, Blei, Zinn, Kupfer, Eisen und andere Metalle werden, wenn sie durch Hitze bis zum Fließen gebracht worden sind, von dieser Tinctur durchdrungen, zu Gold und die flüchtigen zugleich feuerbeständig. Es ist ferner möglich, aus Körpern, die kein Silber enthalten, durch Kunst vollkommenes und feuerbeständiges Silber darzustellen. Das Mittel dazu ist ebenfalls ein Erzeugniß der Kunst, der Stein zweiter Ordnung, das kleine Elixir oder die weiße Tinctur, die ebenfalls auf das im Flusse stehende Metall geworfen wird. Der Stein der Weisen ist vor seiner völligen Anfertigung zugleich eine der wohlthätigsten Arzeneien, besonders bei Gicht, Aussatz, Flechten, darf aber nur verdünnt und aufgelöst als Trinkgold angewendet werden, weil sie sonst zerstörend wirkt. Auch verjüngt diese Arzenei das Alter und verlängert das menschliche Leben über das gewöhnliche Ziel. – Alle Versuche der Alchemisten sind indessen bis auf den heutigen Tag an der Unzerlegbarkeit der Metalle gescheitert. Gelingt es jedoch den Fortschritten der Wissenschaft, zu entdecken, aus welchen Bestandtheilen die Metalle zusammengesetzt sind, dann dürfte zwar unter gewissen Bedingungen die Verwandlung des einen in das andere möglich, schwerlich aber dazu der Stein der Weisen nöthig sein, der nirgend anders als in der lebhaften und irregeleiteten Einbildungskraft der Alchemisten zu finden ist. Der Glaube an den Stein der Weisen aber als Lebenselixir ist thöricht, da selbst eine geringe Kenntniß der Natur von der Unmöglichkeit der ihm zugeschriebenen Kraft überzeugt. Wie alt die Alchemie und welches ihr eigentliches Vaterland sei, ist zweifelhaft, aber wahrscheinlich, daß sie aus Ägypten stammt, weshalb sie auch die ägypt. Kunst heißt. Da man in späterer Zeit dem ägypt. Hermes Trismegistus viele alchemistische Schriften unterlegte, erhielt die Alchemie öfters den Namen hermetische Kunst. Nächst Ägypten verbreitete sich diese Kunst besonders in Rom. Namentlich ward der Kaiser Caligula, 37–41 n. Chr., durch seine Verschwendung zu alchemistischen Versuchen veranlaßt. Auch Kaiser Diocletian, 284–313, glaubte an die Alchemie, ließ aber, weil er sich vor den Reichthümern Derer, die sich mit ihr beschäftigten, fürchtete, alle alchemistischen Schriften verbrennen. Neue Verfolgungen der Alchemisten im 4. Jahrh. hatten keine andere Folge, als daß sie ihr Wesen nur desto geheimer trieben. Bei der Üppigkeit des Hofes und Versunkenheit des Volkes fand sie vornehmlich im morgenländ. Kaiserthum Beifall. Durch die Alexandriner wurden die Araber im 8. Jahrh. mit der Alchemie bekannt, thaten indessen wenig in dieser Kunst, weil deren Ausübung durch den Islam streng verboten ist. Eine desto größere Aufnahme fand sie aber bei den Mauren in Spanien. Den Ruf als einer der größten Alchemisten erwarb sich im 13. Jahrh. Raimund Lull; von ihm geht die Sage, daß er 50,000 Pf. Quecksilber in Gold verwandelt und daß Eduard I., König von England, die ersten Guineen oder Rosenobles daraus habe schlagen lassen. Im 14. und 15. Jahrh. vermehrte sich die Zahl der Alchemisten dergestalt, daß die Obrigkeiten sich genöthigt sahen, Verbote gegen sie ergehen zu lassen. Im 16. Jahrh. widmeten sich viele Fürsten dieser vielversprechenden Kunst, da sie Abhülfe für ihre häufigen Geldverlegenheiten verhieß. Als der ausgezeichnetste Alchemist dieses Jahrh. gilt Theophrastes Paracelsus. Heinrich VI. von England gab sogar Mehren das Privilegium, Gold zu machen und das Lebenselixir zu bereiten. Kaiser Rudolph II. arbeitete selbst viel mit dem Schmelztiegel, und es ging die Sage, daß man nach seinem Tode 17 Tonnen Goldes in seinem chemischen Cabinet gefunden habe. Die meiste Unterstützung fand die Alchemie durch die Gesellschaft der Rosenkreuzer seit dem Anfange des 17. Jahrh., wie denn überhaupt in diesem Jahrh. Viele mit ihr sich beschäftigten. Die außerordentlichen Fortschritte in den Naturwissenschaften haben seit dem 18. Jahrh. den Credit der Alchemie so geschmälert, daß gegenwärtig nur noch Wenige im Geheimen alchemistischen Träumereien nachhängen.