Nordpolexpeditionen

Nordpolexpeditionen

[300] Nordpolexpeditionen. Es war zuvörderst der Wunsch, anstatt des langen, gefahrvollen und kostspieligen Weges von Europa um das Cap Horn oder die Südspitze von Amerika in den großen Ocean, eine kürzere und vielleicht weniger gefährliche Wasserstraße zu entdecken, welcher seit Jahrh. die größten Seefahrer und mehre seefahrende Nationen veranlaßte, mit außerordentlichen Aufopferungen besonders eine nordwestl. Durchfahrt zwischen Nordamerika und dem Nordpol, jedoch auch einen nordöstl. Weg um die Nordküste von Asien wiederholt zu versuchen.

Nach dabei erlangter näherer Kenntniß der nördl. Meere trat indeß der von der Entdeckung einer solchen Wasserstraße gehoffte Vortheil für die Handelsschiffahrt in den Hintergrund und die spätern Reisen in das nördl. Polarmeer wurden hauptsächlich wegen Erforschung der Beschaffenheit der Erde, zur genauern Bestimmung der nördl. Grenzen von Amerika und Asien, so, wie Behufs wissenschaftlicher Beobachtungen der verschiedensten Art veranstaltet. Die nachstehende Karte der Umgebung des Nordpols gewährt einen Überblick der bisher gemachten geographischen Entdeckungen in dieser Erdgegend und erlaubt die Richtung der Reisen dahin zu verfolgen, deren erste in nordwestl. Richtung schon 1495 der in engl. Diensten stehende Venetianer Seb. Caboto unternahm, um einen Weg nach dem goldreichen Indien zu suchen. Im J. 1577 beschiffte der Engländer Forbisher zuerst einen der vielen Zugänge der Hudsonsbai, welche 1610 von seinem Landsmanne Hudson aufgefunden wurde, nachdem Davis schon 1587 die nach ihm benannte Davisstraße oder die Einfahrt in das Bassinsmeer entdeckt hatte. Das letztere [300] ward 1616 zuerst von dem Engländer Wilh. Bassin befahren, welcher auch die auf der Karte mit m bezeichnete Einfahrt an der Westseite entdeckte und Lancastersund nannte. Nachdem 1728 der russ. Capitain Bering die Beringsstraße zwischen Asien und Nordamerika gefunden hatte und mehre engl. Entdeckungsreisen zum Behuf der nordwestl. Durchfahrt theils ganz misglückt, theils ohne besondern Erfolg geblieben waren, gelangten 1771 Hearne und 1780 Mackenzie zu Lande an die amerik. Nordküste und das Polarmeer, wo sich der Kupferminen- und der Mackenziefluß hinein ergießen, und Cook entdeckte 1778, als er durch die Beringsstraße nördöstl. vorzudringen suchte, das Eiscap, das nördlichste Vorgebirge der amerik. Nordwestküste, wo er jedoch des Eises wegen umkehren mußte. Dessenungeachtet gewann aber die Ansicht immer mehr Freunde, daß ein Weg aus dem Bassinsmeere westlich zum Eiscap vorhanden und nicht beständig vom Eise versperrt sei und der Zusammenhang des atlantischen und des stillen Meeres mittels der Berings- und der Davisstraße ward sowol durch die südl. Strömungen in beiden, welche eine kreisförmige Bewegung und Abwechselung der Gewässer beider Meere auf der nördl. Erdhälfte anzudeuten scheint, als auch von dem aus N. her an die Küsten von Island und Grönland gelangenden vielen Treibholze und die Walfische höchst wahrscheinlich, welche mit darin steckenden Harpunen, womit sie der Bezeichnung nach bei Spitzbergen verwundet wurden, südl. von der Beringsstraße, sowie umgekehrt bei Grönland erlegt worden sind. Da nun besonders seit 1815 eine Verminderung der im hohen N. angehäuften Eismassen beobachtet wurde, veranlaßte vorzüglich die engl. Regierung wiederholte Reisen zur Erforschung der nördl. Polargegenden, für welchen Zweck später auch von Rußland Einiges geschah. Das engl. Parlament setzte Belohnungen von 20,000 Pf. St. für das erste Schiff, welches die nordwestl. Durchfahrt ins stille Meer zurücklegen und 5000 Pf. St. für die Erreichung und Überschreitung des Nordpoles aus, der Prinz-Regent aber bestimmte noch besondere Prämien für das Vordringen bis zu gewissen Punkten in den Polargegenden. Die Regierung sandte ferner 1818 den Capitain Roß mit zwei Schiffen ab, um die nordwestl. Durchfahrt zu versuchen und die Westküste des Bassinsmeeres aufzunehmen, dessen nördlichsten Punkt er unter 77°44′ d. Breite erreichte. Nach seiner Meinung war von dort kein nordwestl. Ausweg vorhanden, obgleich er grade einen Theil der Nordwestküste nicht genau hatte untersuchen können, daher sein gewesener Begleiter, Parry, 1819 mit zwei Schiffen in dieselben Gewässer geschickt wurde, der durch den sogenannten Lancastersund (m) in die von ihm zuerst befahrene Barrowstraße vordrang. Hier untersuchte er den südl. Busen Prinz-Regentseinfahrt und entdeckte dann nordwestl. steuernd, eine ausgedehnte Inselgruppe, überwinterte auf der von ihm Melville benannten Insel, gab einer nach S. sichtbaren hohen Küste (d) den Namen Banksland, mußte aber von seiner 1820 fortgesetzten Fahrt, unter 113° 46′ 33'' westl. Länge von Greenwich, des Eises wegen umkehren, hatte jedoch die auf Überschreitung des 110° westl. Länge gesetzte Prämie von 6000 Pf. St. erworben. Abermals mit zwei Schiffen trat er 1821 seine dritte (als Oberbefehlshaber zweite) Polarreise an und entdeckte unter andern die aus dem Hudsonsmeer zwischen der amerik. Halbinsel Melville (b) und der nördl. davon gelegenen Insel Cockburn westwärts führende Fury- und Heklastraße, ward aber vom Eise am Vordringen in das Polarmeer durch dieselbe gehindert. Dasselbe Hinderniß und der Verlust eines seiner Schiffe vereitelte während der 1824 von Parry und Lyon abermals angetretenen Entdeckungsreise ein weiteres Vordringen gegen W. Inzwischen hatte die engl. Regierung den Capitain Franklin zur Erforschung der amerik. Nordküste zu Lande abgesandt, der 1819–22 und auf einer zweiten Reise von 1825–27 mit seinen Gefährten Richardson und Kendall die Küsten westl. und östl. vom Kupferminen-und vom Mackenzieflusse untersuchte. Während der letzten mit der von Parry und Lyon zusammentreffenden Entdeckungsreise. Franklin's, war auch ein engl. Schiff unter Capitain Beechey um die Südspitze von Amerika herum nach der Beringsstraße abgeschickt worden, um durch dieselbe in östl. Richtung vorzudringen und mit den andern zu Lande und zu Wasser ausgesandten Reisenden, für die es mit Vorräthen beladen war, wo möglich zusammenzutreffen. Beechey erwartete dieselben aber etwa 30 M. östl. vom Eiscap vergebens, denn Parry war vom Eise, Franklin aber, der dem Schiffe bis auf 36 M. nahe gekommen war, durch die Sorge für die Erhaltung seiner Leute zur Rückkehr genöthigt worden. Auf eigne und seiner Freunde Kosten ging hierauf 1829 Capitain Roß mit dem Dampfschiffe Victory auf Entdeckungen an der amerik. Nordküste ab, brachte vier Winter dort zu, verlor sein Schiff und kehrte erst 1833 nach überstandenen großen Mühseligkeiten zurück, ohne wesentlich Neues über jene Gegenden berichten zu können. Die große amerik. Halbinsel (c) im W. der Prinz-Regenten-Einfahrt, wo er, 70° nördl. Br. und 79° westl. L., den magnetischen Nordpol aufgefunden zu haben glaubt, erhielt durch ihn den Namen Boothia Felix. Über seine unerwartet lange Abwesenheit besorgt, hatte noch vor seiner Rückkehr die geographische Gesellschaft zu London, um ihn aufzusuchen und ihm Beistand zu bringen, im Febr. 1833 den Capitain Back abgeschickt' der von Canada aus zu Lande gegen N. vordrang und 1835 nach England zurückkam, im J. 1836 aber mit dem Schiffe Terror eine neue Entdeckungsreise dahin unternahm, von der er 1837 zurückgekehrt ist. Inzwischen hatte 1836 die Hudsonsbaigesellschaft zwei Reisende, Peter Warren Dease und Thomas Simpson abgesandt, welche im Sommer 1837 auf dem Mackenzieflusse das Meer erreichten und westl. theils zu Lande, theils in ihren Booten die amerik. Nordküste vollständig bis Point Barrow, also in den bisher unbekannten Theilen, bereist haben. Die Begrenzung Amerikas im N. durch das Meer ist damit dargethan, doch scheint selbst in Booten eine nordwestl. Durchfahrt nicht ausführbar. Dieselben Reisenden wollten 1838 vom Mackenzieflusse östl. die bisherigen Entdeckungen zu vervollständigen suchen.

Um eine nordöstliche Durchfahrt oder einen Seeweg um die Nordküste von Asien und durch die Beringsstraße nach Ostindien zu entdecken, sandten schon 1594 und 1595 die Holländer zweimal mehre Fahrzeuge unter Anführung von W. Berens aus, die aber unverrichteter Sache zurück kamen. Von der engl. Regierung bekam 1773 Capitain Phipps, nachheriger Lord Mulgrave den Auftrag, von Spitzbergen aus mit zwei Fahrzeugen gegen den Nordpol vorzudringen, ward aber unter 80° 48′ der Br. vom Eise aufgehalten. [301] Fast eben soweit kam 1818 der Capitain Buchan, welcher mit zwei Schiffen zwischen Spitzbergen und Nowaja-Semlja hindurch, über den Pol die Beringsstraße zu erreichen suchen sollte. Capitain Sabine gelangte dort 1823 bis 81° nördl. Br. und 75° 20′ östl. Länge, der Grönlandfahrer Scoresby aber erforschte die Ostküste von Grönland 1823 bis zum 83° Br. und noch weiter drang an dieser der dän. Capitain Graah in den Jahren 1829–31 vor. Auch Capitain Parry ward 1827 von der engl. Regierung beauftragt, von dieser Seite an den Nordpol zu kommen zu suchen, mußte aber unter 82° 45′ 15'' Br., des Eises wegen von seinem Vorhaben abstehen. Von den von der russ. Regierung, auch zum Theil auf Kosten des Grafen Rumjanzow unternommenen Entdeckungsreisen in der Nordpolargegend, wurden die wichtigsten vom Capitain Otto v. Kotzebue 1817 und 1825, vom Baron Wrangel 1820–24, Capitain Wassiljeff und Andern befehligt und die Gewißheit, daß Asien im N. nicht mit Amerika zusammenhängt, sowie die Aufnahme und Erforschung der Küsten von Kamtschatka, von Sibirien, Novaja Semlja und vom nordwestl. Amerika waren die hauptsächlichsten Erfolge derselben. Im J. 1817 soll ein russ. Schiff bis 83° 20′ nördl. Br. über Spitzbergen hinaus gekommen sein, 1648 aber wäre nach angeblich 1736 zu Irkutzk gefundenen Berichten, der Kosak Simon Deschneff aus dem Eismeere in die Beringsstraße gelangt, was aber nach den vorerwähnten und mehren andern vergeblichen Versuchen der beharrlichsten und erfahrensten Seeleute großen Zweifeln unterliegt. Scheint sonach die Unmöglichkeit dargethan, durch die Eismassen des Polarmeeres einen schiffbaren Weg zu finden, so sind die gewonnenen Kenntnisse von jenem Gebiete der Erde, die angestellten Beobachtungen über Tiefe, Temperatur, Salzgehalt und viele andere Verhältnisse des Polarmeeres, über Elektricität, Magnetismus u.s.w., gewiß höchst belohnende Ergebnisse von Unternehmungen, welche durch die außerordentlichste Zweckmäßigkeit der Vorbereitung ebenso sehr Denkmale der menschlichen Voraussicht, wie der Kühnheit und des ausdauerndsten Muthes durch die Ausführung geworden sind.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 300-302.
Lizenz:
Faksimiles:
300 | 301 | 302
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon