Thucydides

[422] Thucydĭdes, der ausgezeichnetste griech. Geschichtschreiber, wurde 470 v. Chr. zu Athen geboren. Durch seinen Vater Oloros war er dem Sieger bei Marathon, Miltiades, durch seine Mutter Hegesipyle einem alten thrazischen Königsgeschlechte verwandt. Der Philosoph Anaxagoras und der Redner Antiphon waren seine Lehrer und des Herodot's leuchtendes Beispiel mag ihm früh den Sinn für Geschichtsforschung eingeflößt haben. Sein Leben fällt in die Zeit der höchsten Blüte seines Vaterlandes und in die Zeit des peloponnesischen Kriegs, in welchem Griechenland seine edelsten Kräfte entfaltete. Die Athenienser ernannten ihn zum Heerführer und da er sich damals in der Gegend von Thrazien aufhielt, so wurde er von dem athen. Befehlshaber zu Amphipolis, welcher der Macht des spartan. Feldherrn Brasidas nicht zu widerstehen vermochte, aufgefodert, der Stadt zu Hülfe zu kommen. T. eilte herbei, kam aber erst an, als die Stadt am vorhergehenden Tage den Spartanern übergeben worden war. Die Athener verbannten ihn im Unmuthe über diesen Unfall und er lebte nun in ungestörter Muße, nur mit der Abfassung seines Geschichtswerks [422] beschäftigt, auf seinen und seiner Frau Besitzungen in Thrazien. Zwar wurde er nachmals nach Athen zurückberufen, starb aber in Thrazien im 70. oder 86. Jahre. Nach einer andern Nachricht soll er zu Athen ermordet worden sein. Sein Geschichtswerk in acht Büchern beschreibt die ersten 21 Jahre des peloponnesischen Kriegs; das achte Buch hat er nicht ganz mehr zur Vollendung bringen können. Dieses Werk ist als Muster der Geschichtschreibung anerkannt. Es wird von einem ernsten Geiste beseelt, die Thatsachen werden ohne Parteilichkeit, nach strenger Prüfung der entgegenstehenden Berichte dargelegt, die eigentliche Seele der Begebenheiten, das Staatsleben, kommt durch diese Darstellung zur Anschauung. Seine Schreibart ist gedrängt, kurz, ja zuweilen dunkel, dabei aber erhaben und schön. Die einzelnen Staaten stellen sich nach ihrem politischen Leben und ihrem individuellen Charakter in großartigen Umrissen dar, ebenso die einzelnen Personen, welche von Einfluß auf die historische Entwickelung gewesen sind. Hier sind es besonders die den Personen in den Mund gelegten Reden, in denen sich ihr Charakter darstellt. Einen besondern Werth erhält dieses Werk noch dadurch, daß T. ein Zeitgenosse der von ihm geschilderten Ereignisse war und mit großem Aufwande von Fleiß und Geld es sich angelegen sein ließ, die Zeugnisse von Augenzeugen zu erlangen, welche er dann einer sorgfältigen Prüfung unterwarf. Zu den neuesten und besten Ausgaben gehören die von Poppo (10 Bde., Lpz. 1821–38); Imm. Bekker (3 Bde., Berl. 1821). Die neuesten Übersetzungen sind die von Osiander (Stuttg. 1827–29), und H. Müller (Prenzl. 1828).

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 422-423.
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