Herodot

Herodot

[378] Herŏdot, mit Recht der Vater der Geschichte genannt, weil er der älteste wahre Geschichtschreiber ist, dessen Werk wir besitzen, verdient zugleich den Ruhm eines der größten Gelehrten und gewandtesten Darstellers, zu welchen glänzenden Eigenschaften noch die der Wahrhaftigkeit kommt, ohne welche zwar ein großer Schriftsteller, aber kein großer Geschichtschreiber möglich ist. H., ein kleinasiat. Grieche, wurde zu Halikarnaß in Karien 484 v. Chr. geboren.

In Kleinasien, wo griech. Pflanzer sich niedergelassen und Städte gebaut hatten, erwachte zuerst jene geistige Regsamkeit, welche Griechenland für alle Zeiten groß gemacht hat. Die ersten und größten Dichter, zu denen auch Panyasis, ein Oheim des H., gehörte, dessen Gesänge verloren gegangen sind,[378] waren hier aufgetreten, und auch schon in der Geschichtschreibekunst hatten sich Mehre versucht, als sich H., mit Vorkenntnissen wohl ausgestattet, unterstützt von einem ansehnlichen Vermögen und von den ausgebreiteten Handelsverbindungen seines Vaterlandes, auf eine Reise begab, deren Resultate in seinem Geschichtswerke aufbewahrt sind. Er besuchte fast alle Gegenden der damals bekannten, mit den Griechen in nähere oder entferntere Beziehung gekommene Länder; namentlich aber reiste er in Ägypten und machte hier die interessantesten Beobachtungen, deren Mittheilung noch jetzt die wichtigste Quelle unserer Kenntnisse von jenem räthselvollen Lande ist. Wahrscheinlich kehrte er verschiedene Male nach Griechenland, welches er gleichfalls in den verschiedensten Richtungen bereiste, zurück und arbeitete hier sein Werk aus, las dasselbe wol auch in den einzelnen Städten theilweise vor. So wird erzählt, daß er einst zu Olympia eine Vorlesung gehalten, bei welcher der nachmals berühmte Thucydides (s.d.) zugegen war. Dieser, noch ein Knabe, soll bei der Vorlesung in Thränen ausgebrochen sein und H. ihn als den einstigen großen Geschichtschreiber vorherverkündet haben. Später (444. v. Chr.) las H. sein Werk zu Athen beim Feste der Panathenäen vor und wurde dafür von der Stadt mit einem Geschenke von zehn Talenten (etwa 13,500 Thlr.) belohnt. Übrigens ist von den Lebensumständen des H. wenig bekannt. Er soll noch vor Antritt seiner Reisen aus seiner Vaterstadt vor einem sie beherrschenden Tyrannen nach Samos geflohen, später aber mit andern Vertriebenen zurückgekehrt sein und den Tyrannen gestürzt haben. An die Stelle des Tyrannen trat nun aber eine noch lästigere Aristokratie und H. verließ daher Halikarnaß für immer. Später hielt er sich wahrscheinlich in Athen auf, folgte 441 v. Chr. aber einer von Athen ausgehenden Colonie, welche Thurium in Italien gründete. Auch von hier aus unternahm er noch Reisen, beschäftigte sich aber vorzüglich mit der letzten Ausarbeitung und Überarbeitung seines Werks. Obgleich seine Geschichtsbeschreibung nur bis zu der Zerstörung der pers. Macht in Griechenland und an den kleinasiat. Küsten reicht, so verrathen doch einzelne Angaben, daß er auch noch spätere Zeiten erlebt und wahrscheinlich über 77 Jahre alt geworden ist. H.'s Werk, aus neun Büchern bestehend, welche man nach den neun Musen benannt hat, umfaßt die Geschichte eines Zeitraums von 270 Jahren und schildert insonderheit den glorreichen Kampf der Griechen mit den Persern. In ihm ist aber nicht allein die Beschreibung der Gegenden, welche H. auf seinen Reisen besucht hat, eingeflochten, sondern auch alles Dasjenige, was er über Sitten, Religion und Sagen der sie bewohnenden Völker erkundet hat. Seine Schreibart ist einfach und durch Lebendigkeit und ungesuchte Beredtsamkeit anziehend, doch etwas über die Grenzen echter Prosa hinausgehend. Spätere Griechen haben die Wahrhaftigkeit des H. zu verdächtigen gesucht, aber schon der Inhalt und die Form seiner Bücher selbst zeugen für das Gegentheil, und in neuester Zeit ist die Hochachtung vor seinem Charakter wie vor seinem Verstande um so höher gestiegen, als die neuesten Forschungen in den von H. geschilderten Gegenden mit seinen Angaben übereinstimmende Resultate gegeben haben.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 378-379.
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