Amerika (Geographie)

[178] Amerika (Geographie). Heißt auch die neue Welt, ist seiner Länge und seiner Oberfläche nach der größte Welttheil, dehnt sich fast von Pol zu Pol, durch eine Strecke von mehr als 2000 deutschen Meilen oder 4000 Stunden aus. Es liegt zwischen Europa[178] und Asien in einem ungeheuren Meer, in dem Grabe einer versunkenen Ländermasse, oder es ist selbst ein Ueberrest dieses versunkenen Welttheils, welcher vielleicht einst mit Europa zusammengehangen hat, woher denn auch die ehemalige kunstgeübte Bevölkerung stammen mag. Den neuesten Nachrichten zu Folge ist es eine von Grönland getrennte Insel, im Norden vom Eismeer, im Osten vom atlantischen, im Westen vom stillen Ocean begränzt, und im Süden, beim Cap Horn von dem Zusamenflusse beider Meere umspült. Zwei gewaltige Ländermassen – Nord- und Südamerika (s. d.) – bilden das Festland, und da, wo eine schmale Bergkette beide Theile verbindet, schauen aus der Meerestiefe die Trümmer einer Welt hervor, welche wir nur noch in den höchsten Bergspitzen, die über das Meer ragen, sehen können: die Inselwelt, welche man Westindien oder die Antillen nennt, vulkanischen und neptunischen Ursprungs. Der Flächeninhalt der ganzen neuen Welt wird auf 760 bis 780,000 Quadratmeilen geschätzt: eine ungefähre Zahl, da der Norden noch gar nicht erforscht ist. Da die ungeheuere Ausdehnung des Landes jede Gradation eines Klima's hervorbringt, welche man sich für die Erde nur denken kann, so ist eine Beschreibung von ganz Amerika, ohne es in Nord-, Mittel- und Südamerika zu theilen, beinahe nicht möglich. Im Allgemeinen läßt sich aber davon sagen, daß es an Fruchtbarkeit, an Schönheit und Majestät der Landes- und Gebirgsformen, an Pracht der Pflanzen und an mineralischem Reichthum Alles übertrifft, was die andern Welttheile bieten. Alles hat ein jüngeres, frischeres – hat ein riesiges Ansehen. – Es scheint in seinem Boden eine mächtige Lebenskraft zu wirken und Alles zu schnellerer Entwickelung zu treiben. – Es hat die gewaltigsten Ströme; die Donau, der Nil, der Ganges sind ganz unbedeutende Flüßchen im Vergleich mit dem Missisippi, dem Orinoko, dem Amazonen- und dem Silberstrome. (Rio de la Plata). Es hat die größten Süßwasserseen, wie jene Kette von mächtigen Wasserbecken, welche der Lorenzstrom durchfließt: der[179] Obere, der Mischigan-, Huron-, Erie- und Ontariosee. Es hat die mächtigsten Gebirge: die ganze, fast 2000 Meilen lange, dreifache Andeskette, welche durch die Landengen von Panama mit ihrer Fortsetzung, den Felsenbergen von Nordamerika zusammenhängt und ein System bildet, an Ausdehnung von keinem, an Höhe nur von einem einzigen Berge übertroffen. Seine ungeheuren Ebenen, die vom Missouri, Orinoko und Plata durchströmt werden, und wohl neben der Sahara auftreten dürfen, da sie vereint dieselbe an Flächenraum übertreffen, sind nicht brennende Sandmeere, sondern Graswälder, in denen zahllose Herden wilder Büffel, Bisons und Auerochsen, wilder Pferde und Maulthiere ihre Nahrung – aber auch in eben so zahlreichen Herden von verwilderten Hunden ihre Verfolger finden, welche letztere die Spanier mit sich herüber brachten, um die Eingebornen zu bekämpfen, und welche nun selbst als ihre Bundesgenossen ihre bittersten Feinde geworden sind. Es hat die wildesten Raubthiere; der große schwarze Jaguar, wie der nordamerikanische Puma, ist blutdürstiger als der Tiger, das Krokodil (Alligator, Kaiman) ist gewandter als das Nilkrokodil; die Boa anaconda gefährlicher und größer als der in Afrika wohnende Constrictor. Es hat die bunteste Insekten- und Vögelwelt. Seine Schmetterlinge sind so wie seine Colibri's und Papageien mit unnachahmlicher Pracht gemalt. Der riesigste Vogel, welcher mit ausgespannten Flügeln 14 Fuß mißt, der Condor schwebt über seinen Alpgebirgen, und diese selbst, so wie sie dem Lande die höchste Zierde geben, bringen noch einen eigenthümlichen Reiz hervor, indem sie die Vegetation auf das Wunderbarste vermehren; denn nicht nur vom eisumstarrten Nord- und Südende des Landes bis zu dessen Mitte, der heißen Zone, findet man fast alle Gewächse der alten und noch viele eigenthümliche der neuen Welt, sondern auch unter dem Aequator selbst ist, von dem Moos und den Flechten, welche auf dem, mit Eis überzogenen, nie vom Regen, nur vom Schnee befeuchteten Felsen kümmerliche Nahrung suchen, bis zu dem herrlichen,[180] gewürzigen Duft verbreitenden Vanillestrauch und zu dem Pfirsichpalmbaum und dem baumhohen Pisanggras – Alles, Alles! auf den Raum von wenig Meilen zusammengedrängt, weil die Höhe der Berge die verschiedenen Klimate auf kurzer Strecke darbietet. Woher die Urbevölkerung des Landes gekommen, läßt sich mit Gewißheit gar nicht angeben, doch wahrscheinlich sind mehrere Völkerzüge dahin gegangen: Einer über das stille Meer, ein Zweiter über die Inselkette, welche im Norden Asien und Amerika verbindet, ein Dritter über Island und Grönland her, ein Vierter vielleicht zur See, vielleicht über die untergegangene Atlantis. Die Meinungen sind getheilt, für alle vier gibt es Belege. Ein Grad von Kunstfleiß muß dort geherrscht haben, wie er jetzt durchaus in ganz Amerika nicht mehr zu finden ist. Reich bevölkert müssen einzelne Striche gewesen sein, das zeigen die zahllosen Ruinen großer Tempel, deren Form sehr an den Thurm des Belus erinnert; daher Viele glauben, das Land sei, wenn auch nicht bevölkert, so doch cultivirt und beherrscht worden durch Phönizier, welche vielleicht ein Sturm dahin verschlug, und deren geistige Ueberlegenheit von den Ureinwohnern so bald anerkannt wurde, daß sie sich gern denselben unterwarfen. – Von Amerika's Entdeckung an zog die neue Bevölkerung in großen Massen aus der alten Welt herüber. – In Hinsicht des Handels ist Amerika für Europa und die übrige Welt von der größten Bedeutung und Wichtigkeit. Die Hauptwaaren, welche wir aus Amerika beziehen, heißen Colonialwaare d.h. Kaffee, Zucker, Baumwolle, Tabak, Kakao, Sago, Vanille, Indigo, Cochenille, Farbehölzer, Arzneipflanzen etc. Auch liefert uns dieser reiche Welttheil aus dem Mineral- und Thierreich: Gold, Silber, Kupfer, Diamanten u. viele andere Edelsteine, Pelzwerk, Häute, Stockfische, Papageien etc.

V.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 1. Leipzig 1834, S. 178-181.
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