Erkenntnis

[285] Erkenntnis (logisch) ist die Bestimmung der Merkmale (Eigenschaften, Kräfte, Beziehungen) eines Seienden, ein Denken (Urteil), dessen Inhalt objectiv, allgemeingültig ist. Durch den und im Erkenntnisact (Erkennen) wird das Erkannte (der Erkenntnisgegenstand) subjectiv-logisch so bestimmt, wie es gemäß den Erfahrungen, Folgerungen und Postulaten des Denkens geschehen muß. Einerseits setzt alle Erkenntnis ein erkennendes Subject voraus, dessen Tätigkeit und Gesetzmäßigkeit Bedingung der Erkenntnis ist, anderseits muß sich das Subject nach den ihm aufgenötigten, immer wiederkehrenden, constanten Inhalten des Bewußtseins richten. Erkenntnis ist das Resultat des Zusammenspiels von Erfahrung (s. d.) und Denken, das Product denkender Verarbeitung eines Gegebenen, Vorgefundenen. Erkenntnis im einzelnen ist ein wahres Urteil, d.h. ein solches, von dem geglaubt werden muß, daß es die Beschaffenheit des Seienden, wenn auch in subjectiver Form, symbolisch, ausdrückt, darstellt. Die Subjectivität (s. d.) und Relativität (s. d.) der Erkenntnis bedeutet nicht ein absolutes Nichtwissen um das Sein, sondern nur die Abhängigkeit der Form der Erkenntnis vom Ich. – Ursprung und Gültigkeit der Erkenntnis werden vom Rationalismus (s. d.), Empirismus (s. d.), Sensualismus (s. d.), Apriorismus (s. d.), Kriticismus (s. d.) verschieden beurteilt. Betreffs des Erkenntnisgegenstandes gehen Realismus (s. d.) und Idealismus (s. d.) auseinander.

Die Erkenntnis des »Gleichen durch das Gleiche« (im Subjecte) behaupten schon die Upanishads. So auch PYTHAGORAS (hypo tou homoiou to homoion katalambanesthai pephyken, Sext. Empir. adv. Math. VII, 92). Auch EMPEDOKLES: hê gnôsis tou homoiou tô homoiô (Sext. Empir. adv. Math. VII, 121; ARISTOTELES, Met. III 4, 1000 b 6); gaiê men gar gaian opôpamen, hydati d'hydôr, aithera d'aithera dian, atar pyri tyri pyr aidêlon, storgê de storgên, neikos de te neikei lygrô (ARISTOTELES, De anim. I 2, 404 b 13 squ.). HERAKLIT meint, das Bewegte werde durch das Bewegte, die Seele, erkannt (to de kinoumenon kinoumenô ginôskesthai, ARISTOTELES, De an. I 2, 405 a 27). Die aus alle Elementen bestehende Seele erkennt alles (phasi gar ginôskesthai to homoion tô homoiô. epeidê gar hê psychê panta gignôskei, synistasin autên ek pasôn tôn archôn, l.c. I 2, 405 b 15). Nach ANAXAGORAS erkennt die Seele durch Affection von dem (ihr) Ungleichen (tois enantiois to gar homoion apathes hypo tou homoion, Theophr., De sens. 27, Dox. 507). PARMENIDES betont (wie HERAKLIT u. a.), daß nur das begriffliche Denken wahre Erkenntnis gewähre. Von der auf das [285] Sein gerichteten Erkenntnis ist die auf das Nichtsein, auf den Schein gerichtete (empirische) Erkenntnis zu unterscheiden (dissên t'ephê tên philosophian tên men kat' alêtheian, tên de kata doxan,, Theophr., Phys. opin. fr. 6a Dox. 483). DEMOKRIT unterscheidet zwei Erkenntnisweisen, die »dunkle« Sinneserkenntnis der Erscheinungen, die »echte« Wirklichkeitserkenntnis durch das Denken: gnômês de dyo eisin ideai. hê men gnêsiê, hê de skotiê. kai skotiês men tade xympanta, opsis, akoê, odmê, geusis, psausis. hê de gnêsiê apokekrimenê de tautês... hotan hê skotiê mêketi dynêtai mête hor ên ep' elatton mête akouein mête odmasthai mête geuesthai mête en tê psausei aisthanesthai, all' epi leptoteron (Fr. 1, Mull. p. 206; Sext. Empir. adv. Math. VII, 135, 138 squ.). Von den phainomena muß man auf die adêla schließen (Sext. Empir. adv. Math. VII, 140). Die Wahrheit ist »in der Tiefe« (en bythô, Diog. L. IX, 72), in der Regel wissen wir nichts von der wahren Beschaffenheit der Dinge: hoti eteê ouden idmen peri oudenos, all' epirrhysmin hekastoisin hê doxis. ginôskein en aporô esti (Sext. Empir. adv. Math. VII, 137); hêmees de tô men eonti ouden atrekes xyniemen, metapipton de kata te sômatos diathigên kai tôn epeisiontôn kai tôn antisterizontôn (l.c. VII, 135 squ.); eteê men nyn, hoti hoion hekaston esti ê ouk estin, ou xyniomen, pollachê dedêlôtai (Fr. 1); dio Dêmokritos ge phêsin êtoi ouden einai alêthes ê hêmin g' adêlon ARISTOTELES, Met. IV 5, 1009 a 38).

Die Sophisten betonen die Subjectivität und Relativität aller Erkenntnis. So PROTAGORAS, dem der Mensch das Maß alles »Seienden« und »Nichtseienden« ist; die Dinge sind für jeden so, wie er sie auffaßt (pantôn chrêmatôn metron anthrôpos, Diog. L. IX, 51; panta einai hosa pasi phainetai, Sext. Empir. Pyrrh. hypot. I, 217). Das Wissen löst sich in Einzelwahrnehmungen auf (PLATO, Theaet. 160 D), alles ist Meinung (doxa, l.c. 179 C). GORGIAS bestreitet die Möglichkeit objectiver Erkenntnis; gäbe es selbst ein Sein, so wäre es agnôston kai anepinoêton; gäbe es Erkenntnis, so wäre sie (wegen der Subjectivität der Sprache) nicht mitteilbar (Sext. Empir. adv. Math. VII, 65, 77 squ.). Dagegen erklärt SOKRATES, es gibt objective, allgemeingültige Erkenntnis, und zwar durch das begriffliche Denken, welches das »Was« jedes Dinges bestimmt (vgl. Begriff, Definition, Induction).

Auch PLATO findet nur im Begriffe das wahre Erkennen: ar' oun ouk en tô logizesthai, eiper pou allothi, katadêlon autê gignetai ti tôn ontôn; nai (Phaedo 65 C). Der Gegenstand wahrer Erkenntnis ist das Sein, das Reich der Ideen (s. d.). Nur wenn die Seele oregêtai tou ontos, hat sie Erkenntnis (l.c. 65 C, 66 A, D, 67 B). Es gibt außer dieser wahren noch eine »Erkenntnis« des Nichtseienden, Werdenden (der Sinnendinge) und die mathematische Erkenntnis, die eine mittlere Stellung einnimmt (metaxy ti doxês ti doxês kai nou tên dianoian, tôn geômetrikôn... hexin, Republ. VI, 511 D; Tim. 27 D). Die epistêmê, noêsis des Seienden ist zu unterscheiden von der bloßen doxa das Werdende (Theaet. 210 A; Rep. V, 476 E squ., 534 A; Tim. 29 c). Erkenntnisweisen sind nous (noêsis) oder epistêmê, dianoia; pistis und eikasia als Formen der doxa (Republ. 509 squ., 533 squ.). Die höchste Erkenntnis (megiston mathêma) ist die Idee des Guten (l.c. 505 A squ.), die dem Geiste die Erkenntniskraft, den Dingen die Erkennbarkeit gibt (Republ. VI, 509 B). Die Erkenntnis der Ideen beruht auf anamnêsis (s. d.). Nach ARISTOTELES haben die Menschen einen natürlichen Erkenntnistrieb (pantes anthrôpoi tou eidenai o regontai physei, Met. I 1, 980 a 21). Die epistêmê ist von der aisthêsis des Veränderlichen wohl zu unterscheiden (Met. III 4, 999 b 2; De anim. II 5,[286] 417b 23), wenn sie auch von ihr ausgeht. Wahre Erkenntnis bezieht sich auf das Allgemeine (katholou gar ai epistêmai pantôn Met. III 6, 1003 a 14), ist begrifflicher Art (logos, Met. IX 1, 1046 b 8), geht auf das Constante, Notwendige, nicht aufs Accidentielle, Zufällige (symbebêkos) (epistêmê men gar pasa tou aiei ontos ê hôs epi to poly, Met. XI 8, 1065 a D). Die vollendete Erkenntnis ist mit dem Erkannten eins (to d'auto estin hê kat' energeian epistêmê tô pragmati, De an. III 6, 431a 1; esti d' hê epistêmê men ta epistêta pôs,, l.c. 8, 431 b 22). Die letzten Principien (s. d.) des Seienden erkennt die Vernunft durch sich selbst. Drei Richtungen des Erkennens gibt es, praktikê, poiêtikê, theôrêtikê (Met. VI 1, 1025 b 25). Die Stoiker leiten alle Erkenntnis aus der Erfahrung und deren begrifflichen Verarbeitung ab. Die Seele ist eine tabula rasa, der Mensch hat bei der Geburt die Seele hôsper chartên euergon eis apographên; eis touto mian ekastên chartên tôn ennoiôn enapographetai (Plac. IV, 11, 1, Dox. 400). EPIKUR gründet die Erkenntnis auf die Evidenz (enargeia) der Sinneswahrnehmung. Die Skeptiker (s. d.) bezweifeln die Möglichkeit objectiver Erkenntnis. Ein übersinnliches Erkennen kommt nach PLOTIN der Seele durch sich selbst zu, indem sie das Übersinnliche selbst in gewisser Weise ist, das in ihr der Potenz nach Ruhende zur geistigen Wirklichkeit entfaltet, bewußt macht (Enn. IV, 2, 3). Die Erkenntnis kommt nicht durch »Abdrücke« der Dinge in der Seele zustande (Enn. IV, 6, 1). Im Zustande der Ekstase (s. d.) erkennt der Geist unmittelbar das Göttliche und sich in ihm. Nach GALEN erkennt der Verstand gewisse Wahrheiten (archai logikai, mathematische Axiome, Causalitätsprincip u. dgl.) aus sich selbst, ohne Beweis (De opt. disc. C. 4; De Hipp. et Plat. IX, 7; Therap. meth. I, 4; vgl. ZELLER, Phil. d. Griech. III, 13, 825).

Nach AUGUSTINUS beruht jede Erkenntnis auf einem Glauben, einer Willenszustimmung. Das Wissen ist das Begreifen der Objecte in ihrer Notwendigkeit (De lib. arbitr. I, 7; II, 31). BOËTHIUS unterscheidet vier Erkenntnisstufen: »Sensus... figuram in subiecta materia constitutam, imaginatio vero solam sine materia indicat figuram, ratio vero hanc quoque transcendit, speciemque ipsam, quae singularibus inest, universali consideratione perpendit. Intelligentia vero celsior oculus existit supergressa namque universitatis ambitum ipsam simplicem formam pura mentis acie contuetur« (Consol. phil. V; später gliedert R. V. ST. VICTOR die Erkenntnis in: imaginatio, ratio, intellectus, De contempl. I, 3, 7). – Nach AUGUSTINUS ist die Erkenntnis ein Product des Erkennenden und des Erkannten (»ab utroque... notitia paritur a cognoscente et cognito,« De trin. XIX, 12). Die Mystiker (s. d.) betrachten die innere »Erfahrung« die geistige Intuition als eine Erkenntnisquelle. Die Scholastiker sehen im begrifflichen, schließenden Denken die Hauptquelle der Erkenntnis. Nach AVICENNA wird der Intellect des Menschen durch den außer uns seienden activen Intellect erleuchtet (vgl. SIEBECK, Gesch. d. Psychol. I 2, 437). ABAELARD definiert Erkenntnis als »ipsarum rerum experientia per ipsam earum praesentiam« (Theol. Christ. II, 3). ALBERTUS MAGNUS behauptet: »Simile simili cognoscimus.« »Nullius rei cognitio fit, nisi per assimilationem ad illam« (Sum. th. 1, 13, 6). Die Eikenntnis besteht in einer »Verähnlichung« des Bewußtseins dem Objecte zu. Die Seinsprincipien in sich habend, vermag die Seele zu erkennen. »Anima humana nullius rei accipit scientiam nisi illius cuius principia prima habet apud seipsam« (l.c. qu. 13, 3). THOMAS erklärt, die Erkenntnis entstehe dadurch, daß vom Erkennenden und Erkannten im[287] Erkennenden ein »Bild« (species, (s. d.)) erzeugt wird. Das Erkennen beruht auf einer »Verähnlichung« des Erkennenden mit dem Erkannten: »Omnis cognitio fit per assimilationem cognoscentis et cogniti« (Contr. gent. II, 77). Das Erkannte ist im Erkennenden (als »esse intentionale«) nach der Weise des Erkennenden, diesem gemäß. »Omnis cognitio est secundum aliquam formam, quae est in cognoscente principium cognitionis« (De verit. 10, 4). »Cognitum est in cognoscente secundum modum cognoscentis« (De verit. 2, 1; Sum. th. I, 83, 1; 1 sent. 38, 1, 2 C). »Omnis cognitio est per unionem rei cognitae ad cognoscentem« (1 sent. 3, 1, 2 ob. 3). »Omnis cognitio est per speciem aliquam cogniti in cognoscente« (1 sent. 36, 2, 3 a). Die Erkenntnis ist um so vollkommener, je weniger das erkennende Princip sich dem Materiellen nähert: »Ratio cognitionis ex opposito se habet ad rationem materialitatis« (Sum. th. I, 84, 2). Von den Sinneswahrnehmungen geht die Erkenntnis zum Wesen (s. d.) der Dinge. »Omnis nostra cognitio a sensu incipit, qui singulariun est« (Contr. gent. II, 37). »Cognitio sensitiva occupatur circa qualitates sensibiles exteriores; cognitio intellectiva penetrat usque ad essentiam rei« (Sum. th. II, 8, 1). Wir erkennen alles durch Gottes Erleuchtung (»omnia discimur in Deo videre,« Sum. th. II, 12, 11), in den ewigen Ideen (»anima humana in rationibus aeternis omnia cognoscit,« Sum. th. II, 84, 5). Sich selbst erkennt der Geist in seinem Wirken unmittelbar, »per praesentiam« (De verit. 10, 8), nicht durch »species«. »Intellectus humanus... non cognoscit seipsum per suam essentiam; sed per actum, quo intellectus agens abstrahit a sensibilibus species intelligibiles«

(Sum. th. I, 87, 1). DURAND VON ST. POURÇAIN bemerkt: »Cognitio non fit per realem assimilationem in natura... sed fit per proportionem inter potentiam cognitivam et rem cognitam...« (In sent. I, 3, 1). ROGER BACON unterscheidet demonstrative und Erfahrungserkenntnis. »Duo enim sunt modi cognoscendi, sc. per argumentum et per experientiam. Argumentum concludit et facit nos concludere quaestionem, sed non certificat neque removet dabitationem, ut quiescat animus in intuitu veritatis nisi eam inveniat via experientiae« (Op. maj. VI, 1). W. VON OCCAM bestimmt Wahrnehmung, Gedächtnis, Erfahrung, Begriff, als Stufen der Erkenntnis. »Omnis disciplina incipit ab individuis. Ex sensu, qui non est nisi singularium, fit memoria, ex memoria experimentum, et per experimentum accipitur universale, quod est principium artis et scientiae« (In lib. sent. I, 3). Die Erkenntnis ist anschaulich (intuitiv) oder begrifflich (abstract). »Notitia intuitiva rei est talis notitia, virtute cuius potest sciri, utrum res sit vel non sit. Abstractiva autem est ista, virtute cuins de re contingenti non potest sciri evidenter, utrum sit vel non sit.« »Omnis cognitio intellectiva praesupponit necessario imaginationem sensitivam tam sensus exterioris quam interioris« (l.c. I, 3, 1). Zur Erkenntnis der Objecte bedarf es keiner »species« (s. d.). Seine eigenen Tätigkeiten (intellectiones, actus voluntatis) erfaßt der Geist unmittelbar-anschaulich (»potest homo experiri inesse sibi«). ALBERT VON SACHSEN unterscheidet: »notitia intuitiva, qua aliquis apprehendit rem praesentem, notitia abstractiva, qua aliquis apprehendit rem absentem« (vgl. PRANTL, G. d. Log. IV, 61). Nach SUAREZ erfolgt das Erkennen »per quandam assimilationem« (De an. III, 1). – Im Sinne der Scholastik lehrt später GUTBERLET: »Das Geheimnis der ewigen Zeugung des Logos lehrt uns, daß das Erkennen eine Art Abbildung, eine Darstellung, eine geistige Wiedererzeugung des Erkannten im Erkennenden ist« (Kampf u. d. Seele S. 139).

MARSILIUS FICINUS betrachtet die Erkenntnis als »spiritualem unionem[288] ad formam aliquam spiritualem« (Theol. Plat. III, 2). NICOLAUS CUSANUS sieht im Erkennen ein »assimilare« und »mensurare« »Nisi enim intellectus se intelligendi assimilet, non intelligit: cum intelligere sit assimilare, et intelligentia se ipso, seu intellectualiter mensurare« (De poss. p. 253). Vermöge der in uns liegenden Begriffe erkennen wir, wenn auch nur durch »coniectura« (s. d.), die Dinge, deren Ideen in Gott sind (De coniect. II, 14). »Sensus«, »intellectus«, »ratio« sind die Stufen der Erkenntnis (De doct. ignor. III, 16). Das höchste ist das geistige, intellectuale Schauen der Einheit Gottes, in der alle Gegensätze verschwinden (s. »Coincidenz« und »Docta ignorantia«). Je mehr sich eine Erkenntnis der mathematischen nähert, desto gewisser ist sie (l.c. I, 11). Nach CAMPANELLA entspringt die Erkenntnis aus der Wahrnehmung, ist doch das »intelligere« nur ein »sentire languidum et a longe et confusum« (Univ. phil. 4, 4). Im Erkennen verähnlichen wir uns dem Erkannten (»cognoscimus illud, quid sit, quoniam similes illi efficimur« (l.c. I, 4, 1). G. BRUNO erklärt: »Omne simile simili cognoscitur« (De umbr. idear. p. 30). Nach GOCLEN ist die Erkenntnis der »actus cognoscendi«, vermöge dessen die Dinge »sunt in intellectu per repraesentationem, non secundum suum esse formale« (Lex. phil. p. 38l). »Absoluta« ist die Erkenntnis, »cum res consideratur sine respectu aut comparatione ad aliud« (l.c. p. 383). Deutlich ist die Erkenntnis, »qua cognoscitur etiam quid sit res« (l.c. p. 382). Nach NICOLAUS TAURELLUS ist das Erkennen eine Anamnesis (R. d.), »discere est reminiscere« (Phil. triumph. 1, p. 68). Es liegt ihm aber eine geistige Activität zugrunde. »Non enim, ut sensus, intelligere passio est, sed actio, qua mens rerum notitias apprehendit, nec ab eis afficitur, cum noêmata non ut sensiles qualitates in rebus sint intellectis, sed mentis effectus existant, a quibus affici non potest« (l.c. 1, p. 61 f.). L. VIVES unterscheidet dreierlei Erkenntnis: »unum, quod novit corpora tantummodo praesentia: alterum, quod entia absentia: tertium, quod res incorporeas« (De an. I, p. 14). Nach SANCHEZ ist jene Erkenntnis vollkommen, »qua res undique, intus et extra perspicitur, intelligitur« (Quod nih. scit. p. 105). Wir erkennen durch die Sinne, den Intellect und durch beider Vereinigung (l.c. p. 106 f.). Aber das Wesen der Dinge bleibt uns unbekannt: »Rerum naturas cognoscere non possumus« (l.c. p. 14). Skeptisch äußern sich auch CHARRON und MONTAIGNE. Auch GASSENDI meint: »Planum fecimus non cognosci ab hominibus intimas rerum naturas« (Exerc. II, 6). Von Gott haben wir eine »ab ipsa natura impressa quaedam notitia«, »anticipatio generalis« (Phys. IV, 2). GALILEI spricht von einer Art a priori (s. d.) des Erkennens.

Der Rationalismus (s. d.) nimmt überempirische Principien, des Erkennens an. Die Notwendigkeit der Erkenntnis stammt aus der Vernunft. Nach DESCARTES ist »Klarheit und Deutlichkeit« das Kriterium wahrer (s. d.) Erkenntnis. Gott ist der Realgrund aller Erkenntnismöglichkeit, das »Cogito, ergo sum« (s. d.) die subjective Basis der Erkenntnis. »Ewige Wahrheiten« (s. d.) liegen allem Erkennen zugrunde. MALEBRANCHE kennt vier Erkenntnisarten: 1) die Erkenntnis der Dinge durch sich selbst, die Gott hat, 2) die Erkenntnis der Dinge durch ihre Ideen (s. d.), 3) die Erkenntnis durch innere Wahrnehmung, 4) die conjecturale Erkenntnis fremder Seelen. Gott wird uns als das Unendliche (R. d.) bewußt, alles, was wir erkennen, erkennen wir in Gott. »Spiritus creati quaecunque vident et cognoscunt, in Deo cognoscunt, in quo continentur et cuins substantia totum mundum seu universum ipsis exhibet,[289] unde etiam liquet, quomodo possideamus quandum notitiam generalem (anticipatam) de omnibus entibus, antequam adhuc eorundem experientiam fecerimus.« So auch FÉNÉLON: »C'est en Dieu que je vois toutes choses, car je ne connais rien que par mes idées« (De l'exist. de Dieu p. 152). SPINOZA unterscheidet (außer der »cognitio ab experientia vaga«, s. Erfahrung) drei Erkenntnisarten: Imagination (sinnliches Vorstellen, concretes Denken) oder »opinio« (Meinung), ratio (begriffliches Denken), Intuition (speculative Erkenntnis). »Notiones« werden gebildet »ex signis, ex. gr. ex eo, quod auditis aut lectis quibusdam verbis rerum recordemur, et earum quasdam ideas formemus similes iis, per quas res imaginamur. Utrumque hune res contemplandi modum cognitionem primi generis, opinionem vel imaginationem in posterum vocabo. Denique. ex eo, quod notiones communes rerumque proprietatum ideas adaequatas habemus. Atque hunc rationem et secundi generis cognitionem vocabo. Praeter haec duo cognitionis genera datur... aliud tertium, quod scientiam intuitivam vocabimus. Atque hoc cognoscendi genus procedit ab adaequata idea essentiae formalis quorundam Dei attributorum ad adaequatam cognitionem essentiae rerum« (Eth. II, prop. XL, schol. II). Nur die zwei letzten Erkenntnisarten führen zur Wahrheit (l.c. prop. XLI f.). Die Vernunft erkennt die Dinge in Gott, in ihrer ewigen Notwendigkeit und Wesenheit. »De natura rationis non est res ut contingentes, sed ut necessarias contemplari« (l.c. prop. XLIV). »De natura rationis est res sub quadam aeternitatis specie« (l.c. coroll. II). »Mens humana adaequatam habet cognitionem aeternae et infinitae essentiae Dei« (l.c. prop. XLVII). LEIBNIZ leitet die Erkenntnis aus der bei Anlaß der Erfahrung sich betätigenden Denkkraft, die die Anlage (s. d.) zu den Principien hat, ab. Ein a priori (s. d.) liegt dem Erkennen zugrunde, nämlich der Intellect mit seinen Anlagen. Es gibt eine Vorstellungserkenntnis und eine solche, die in der Übereinstimmung der Vorstellungen mit den Sachen besteht (Nouv. Ess. IV, ch. 1, § 1). Erfahrungs- und Vernunft-Erkenntnisse sind zu unterscheiden. Es gibt klare (s. d.) und dunkle Erkenntnis nebst Unterarten. Nach CHR. WOLF ist Erkenntnis »actio animae, qua notionem vel ideam rei sibi acquirit« (Psychol. empir. §.02). Es gibt historische (empirische), philosophische (rationale), mathematische Erkenntnis. »Cognitio eorum, quae sunt atque fiunt, sive in mundo materiali, sive in substantiis immaterialibus accidant, historia nobis appellatur« (Phil. rat. § 3). »Cognitio rationis eorum, quae sunt, vel fiunt, philosophica dicitur« (l.c. § 6). »Cognitio quantitatis rerum est ea, quam mathematicam appellamus« (l.c. § 14). »Cognitio intuitiva« und »symbolica« ist zu unterscheiden (Psychol. empir. § 286, 289; wie LEIBNIZ, s. Klarheit). BAUMGARTEN bestimmt: »Cognitio latius sumta est repraesentatio in cogitante seu perceptio. Strictius est complexus repraesentationum in cogitante, seu complexus perceptionum« (Acroas. log. § 4). Nach WALCH ist Erkenntnis »diejenige Wirkung des Verstandes überhaupt, da uns die vorher unbekannten Ideen, auch deren Verwandtschaft untereinander bekannt werden« (Phil. Lex. S. 806). PLATNER definiert Erkennen als »Vorstellungen haben von der Beschaffenheit der Sache« (Phil. Aphor. I, § 67).

Der Empirismus (s. d.) gründet alle Erkenntnis auf (äußere und innere) Erfahrung (s. d.). So F. BACON, der eine Theorie der Induction (s. d.) gibt. Nach HOBBES geht alle Erkenntnis auf die Ursachen, auf das dioti der Dinge (Elem. phil. I, C. 6, 1). LOCKE betont, Erkenntnis sei nur möglich, wenn die Vorstellungen ihren Archetypen, den Gegenständen, entsprechen (Ess. IV, ch. 4, § 8). Erkenntnis (knowledge) ist die Auffassung (perception) der Verbindung[290] (connexion) und Übereinstimmung (agreement) oder des Widerstreites (repugnancy) unter den Vorstellungen (l.c. IV, ch. 1, § 2; ch. 7, § 2). Alle Erkenntnis entspringt aus der »sensation« oder »reflection«. Sie ist beschränkt, abhängig von der Natur der Seele, deren Organe den Lebensbedingungen angepaßt sind (l.c. II, ch. 23, § 12). Es gibt intuitive, demonstrative und sinnliche Erkenntnis. »Of real existence we have an intuitive knowledge of our own, demonstrative of God's, sensitive of some for other things« (l.c. IV, ch. 3, § 21). Die intuitive Erkenntnis ist »irresistible«, ein »clear light«, weil hier die Übereinstimmung in den Vorstellungen »immediately by themselves, without the intervention of any other« gefunden wird (l.c. ch. 2, § 1). Die einfachen Vorstellungen (»simple ideas«) sind das Product der Einwirkung der Dinge auf uns (l.c. IV, ch. 4, § 4). Die mathematische Erkenntnis ist eine sichere (l.c. § 6). BERKELEY erklärt Erkenntnis als ausgedehntere Auffassung, durch die »Ähnlichkeiten, Harmonien, Übereinstimmungen in den Naturwerken entdeckt und die einzelnen Erscheinungen erklärt, d.h. auf allgemeine Regeln zurückgeführt werden« (Principl. CV). Die Erkenntnis bezieht sich nicht auf Dinge außer dem Bewußtsein – solche gibt es nicht, weil esse = percipi, sondern auf die Gesetzmäßigkeit des Vorstellungszusammenhanges (l.c. CVII). Außer der Erkenntnis objectiver Vorstellungen (Ideen, (s. d.)) gibt es eine (indirecte) Erkenntnis der Geister (s. d.) (l.c. LXXXVI). Die mathematische Erkenntnis ist nicht frei von Irrtümern in den Voraussetzungen (l.c. CXVIII). CONDILLAC leitet alle Erkenntnis der Dinge aus den Empfindungen (s. d.) ab. »Le principal objet de cet ouvrage est de faire voir comment toutes nos connaissances et toutes nos facultés viennent des sens, ou, pour parler plus exactement, des sensations« (Trait. d. sens., Extr. rais. p. 31). HUME: reduciert die Erkenntnis auf erfahrungsmäßige Verknüpfung von Vorstellungen (s. Idealismus). Die sog. »ersten (letzten) Ursachen« sind uns unbekannt. Apriorisches Wissen gibt es nur in der Mathematik. Es gibt mathematische Gewißheit, Erfahrungserkenntnis und Wahrscheinlichkeit (s.d.) (Treat. III, sct. 11, S. 172). Die Erkenntnis von Tatsachen beruht auf Gewohnheit (s. d.) und Association (s. d.), auf einem natürlichen Triebe oder Instincte, auf einem biologisch – psychologischen Princip. Ohne »Impressionen« (s. d.) keine wahre Erkenntnis. – Die schottische Schule nimmt als Grundlage der Erkenntnis »self-evident truths«, apriorisch (s. d.) gültige Principien, an.

KANT findet in aller Erkenntnis zwei Factoren: Form (s. d.) und Stoff des Erkennens. Die Formen des Erkennens sind das Apriori (s. d.), die subjectiv-notwendige Bedingung desselben, durch die Objectivität (s. d.) in die Erkenntnis kommt. Erfahrung und Denken constituieren alle Erkenntnis; diese hat zum Inhalte subjective (Ich) und objective Erscheinungen (s. d.), die Dinge an sich (s. d.) sind unerkennbar. Erkennen heißt allgemein »mit Bewußtsein etwas kennen« (Log. S. 97). Das Erkennen ist mehr als bloßes Denken (s. d.). »Einen Gegenstand erkennen, dazu wird erfordert, daß ich seine Möglichkeit (es sei nach dem Zeugnis der Erfahrung aus seiner Wirklichkeit, oder a priori durch Vernunft) beweisen könne. Aber denken kann ich, was ich will, wenn ich mir nur nicht selbst widerspreche« (Krit. d. r. Vern., Vorr. zur 2. Ausg., S. 23). »Erkenntnis ist ein Urteil, aus welchem ein Begriff hervorgeht, der objective Realität hat, d. i. dem ein correspondierender Gegenstand in der Erfahrung gegeben werden kann« (Üb. d. Fortschr. d. Met. S. 105). Alle Erkenntnis erfordert einen Begriff (Krit. d. rein. Vern. S. 120), zuletzt allgemeine oder Grundbegriffe (Kategorien, (s. d.)) als »transcendentale« Bedingungen. Erkenntnis ist[291] ein Product der Spontaneität (s. d.) des Geistes, nicht passive Aufnahme gegebener Inhalte. Die »Synthesis der Apperception« (s. d.) ist die subjective Quelle aller Erkenntnismöglichkeit. Aber alle menschliche Erkenntnis ist auf mögliche Erfahrung beschränkt, ist »sinnlich«. Innerhalb der Erfahrung gibt es ein Apriori, absolute Gewißheit (Üb. d. Fortschr. d. Met. S. 114). Aber nur das erkennen wir von den Dingen a priori, »was wir selbst in sie legen« (Kr. d. r. Vern. S. 18; vgl. Gesetz). Nur Erscheinungen, nicht die »Sache an sich« wird von uns erkannt. »Das Raum und Zeit nur Formen der sinnlichen Anschauung, also nur Bedingungen der Existenz der Dinge als Erscheinungen sind, daß wir ferner keine Verstandesbegriffe, mithin auch gar keine Elemente zur Erkenntnis der Dinge haben, als sofern diesen Begriffen correspondierende Anschauung gegeben werden kann, folglich wir von keinen Gegenstand als Dinge an sich selbst, sondern nur sofern es Object der sinnlichen Anschauung ist, d. i. als Erscheinung, Erkenntnis haben können, wird im analytischen Teile der Kritik bewiesen, woraus denn freilich die Einschränkung aller nur möglichen speculativen Erkenntnis der Vernunft auf bloße Gegenstände der Erfahrung folgt« (l.c. S. 23). Erkennbare Dinge sind Sachen der Meinung, Tatsachen oder Glaubenssachen. Gegenstände von Vernunftideen (s. d.) sind nicht positiv erkennbar (Krit. d. r. Urt. § 91). – Nach KRUG heißt etwas erkennen, »einen gegebenen Gegenstand als einen bestimmten Gegenstand vorstellen«. Erkenntnis besteht in der »bestimmten Beziehung unserer Vorstellungen auf gegebene Gegenstände« (Fundamentalphilos. S. 179). Nach KIESEWETTER heißt etwas erkennen, »seine Vorstellungen auf ein Object beziehen« (Gr. d. Log. S. 73). Nach REINHOLD kommt Erkenntnis durch Verbindung von Form und Stoff des Vorstellens zustande. Der »Satz des Bewußtseins« (s. d.) ist die Urtatsache aller Erkenntnis. FRIES bestimmt die Erkenntnis als »Vorstellung vom Dasein eines Gegenstandes, oder von dem Gesetze, unter dem das Dasein der Dinge steht« (N. Krit. I, 65). Jede Erkenntnis enthält eine Assertion (Behauptung). Erkenntnisse sind die »behauptenden, assertorischen Vorstellungen« (Syst. d. Log. S. 32 f.). Drei Erkenntnisarten gibt es: »Die historische oder empirische Erkenntnis ist... die aus den Sinneswahrnehmungen entspringende Erkenntnis von den Tatsachen über das Dasein der einzelnen Dinge; die mathematische Erkenntnis ist die aus den Gesetzen der reinen Anschauung entspringende Erkenntnis von den Gesetzen der Größe; die philosophische Erkenntnis ist die, deren wir uns nur mit Hülfe der Reflexion bewußt werden« (l.c. S. 319). TENNEMANN erklärt: »Erkennen ist die Vorstellung eines bestimmten Gegenstandes, oder Bewußtsein einer Vorstellung und ihrer Beziehung auf etwas Bestimmtes, von der Vorstellung Verschiedenes« (Gr. d. Gesch. d. Philos.3, S. 26). S. MAIMON leitet die Erkenntnis aus dem Denken ab, dessen oberstes Princip der Satz des Widerspruches ist (Vers. üb. d. Transcend. S. 173 ff.). TIEDEMANN: »Vorstellungen, Begriffe. Ideen und Urteile, auf Empfindungen und Gegenstände der Empfindungen bezogen, das ist angenommen, daß jedes unter ihnen gewisse Dinge in der Empfindung bezeichnet und allemal sicher uns auf sie hinweist, heißen Erkenntnisse« (Theaet. S. 9). BARDILI sieht im Erkennen ein Verarbeiten des Gegebenen durch das Denken, es führt zu einem »wahren, notwendigen, ewigen und unwandelbaren Sein, dessen innerste Natur eine rein geistige ist und von deren wirklichen Verhältnissen die Vorstellungswelt eine Spiegelung ist« (Gr. d. erst. Log. S. 92). Nach JACOBI ist die Erkenntnis der Innen- und Außenwelt eine unmittelbare (WW. II, 161). Der Erkenntnisproceß ist das Resultat »lebendiger[292] und tätiger« Vermögen der Seele (l.c. S. 272). Der Glaube (s. d.) der Vernunft erfaßt die Wahrheit der Dinge. G. E. SCHULZE erklärt: »Jede Erkenntnis... enthält, als solche, eine doppelte Beziehung, nämlich auf das erkennende Ich (das Subject im Bewußtsein) und auf das dadurch Erkannte (das Object). In der ersten Beziehung genommen, ist sie eine besondere Bestimmung der Äußerung der Erkenntniskraft... Nach der zweiten Beziehung genommen oder betrachtet, weiset sie das erkennende Ich auf etwas hin, das von der Geistestätigkeit, woraus sie besteht, verschieden ist« (Gr. d. allg. Log.3, S. 157). »Erkenntnismasse« ist »jede Vielheit ungeordneter und unverbundener Einsichten« (l.c. S. 149).

Die systematischen Philosophen nach Kant wenden den Kriticismus (s. d.) ins Rationalistische; die Erkenntnis gilt ihnen als Product der aus sich schöpfenden Denkkraft und zugleich als Erfassung des wahren Seins, mag dieses idealistisch oder realistisch bestimmt werden. Andere Philosophen betonen wieder mehr den Anteil der Erfahrung an der Erkenntnis. Dazu kommen verschiedene (realistische und idealistische) Formen des Empirismus. Von einigen Denkern wird die biologische Bedeutung der Erkenntnis betont.

J. G. FICHTE leitet alle Erkenntnis aus der Tätigkeit des Ich (s. d.) ab. Dieses produciert Form und Stoff der Erkenntnis und macht sich sein Producieren stufenweise bewußt, zum objectiven Inhalt. So auch SCHELLING in seiner ersten Periode, später betont er immer mehr das überindividuelle, transsubjective Sein des Absoluten, das durch intellectuale Anschauung (s. d.) erfaßt wird. »Das meiste Erkennen ist eigentlich ein Wiedererkennen« (WW. II 3, 5S). »Unter der Erkenntnis a priori wird ein Begriff verstanden, der ohne andere als ideale Beziehung auf das Object als wahr befunden wird« (WW. I 6, 512). »Absolute« Erkenntnis ist »Vernunfterkenntnis« »Erkenntnis der Dinge als ewiger« (l.c. S. 531). Das Wissen beruht auf der »Übereinstimmung eines Objectiven mit einem Subjectiven« (Syst. d. tr. Ideal. S. 1). Vom »bedingten« Wissen (Vom Ich S. 5) ist das »absolute« als jenes Wissen zu unterscheiden, »worin das Subjective und Objective nicht als Entgegengesetzte vereinigt, sondern worin was ganze Subjective das ganze Objective und umgekehrt ist« (Naturphilos. I, 71). »Nicht ich weiß, sondern nur das All weiß in mir, wenn das Wissen, das ich das meinige nenne, ein wirkliches, ein wahres Wissen ist« (WW. I 6, 140). Erkennendes und Erkanntes müssen gleichartig sein. »Eine und dieselbe Ursache bringt an dem bloß erkennbaren Teil der Welt das Erkennbarsein, an dem erkennenden Teil das Erkennen hervor. Alles, was ein Erkennbares ist, muß selbst schon das Gepräge des Erkennenden, d.h. des Verstandes, der Intelligenz an sich tragen, wenn es auch nicht das Erkennende selbst ist« (Darstell. d. philos. Empir. WW. I 10, 237). HEGEL leitet die Erkenntnis aus der dialektischen (s. d.) Selbstbewegung des (reinen) Denkens ab. Erkennen ist ihm ein Zusichselbstkommen des Absoluten. Das notwendig Gedachte ist Erkenntnis, trifft mit dem Wesen der Dinge zusammen. »Die Intelligenz findet sich bestimmt; dies ist ihr Schein, von dem sie in ihrer Unmittelbarkeit ausgeht, als Wissen aber ist sie dies, das Gefundene als ihr Eigenes zu setzen. Ihre Tätigkeit hat es mit der leeren Form zu tun, die Vernunft zu finden, und ihr Zweck ist, daß ihr Begriff für sie sei, d. i. für sich Vernunft zu sein, womit in einen der Inhalt für sie vernünftig wird. Diese Tätigkeit ist Erkennen« (Encykl. § 445). SCHLEIERMACHER setzt die Erkenntnis in die Bearbeitung des Erfahrungsmaterials durch das Denken, wodurch eine Übereinstimmung (ein Parallelismus) mit dem Sein erzielt wird. Ideales und Reales »laufen parallel nebeneinander[293] fort als Modi des Seins« (ohne »identisch« zu sein; Dialekt. S. 75). Wissen ist »das Denken, welches a. vorgestellt wird mit der Notwendigkeit, daß es von allen Denkfähigen auf dieselbe Weise produciert werde, und welches b. vorgestellt wird als einem Sein, dem. darin gedachten, entsprechend« (l.c. S. 43). Wissen ist das Denken, welches »in der Identität der denkenden Subjecte gegründet ist« (l.c. S. 48), »was alle Denkenden auf dieselbe Weise construieren können, und was dem Gedachten entspricht« (l.c. S. 315). TRENDELENBURG sieht die Möglichkeit der Erkenntnis darin, daß sie in der »Bewegung« (s. d.) ein mit dem Sein gemeinsames Element besitze (Log. Unt. I2, 136). Das Erkennen schafft ein ideales »Gegenbild« des (parallel gehenden) Realen (l.c. S. 358). Nach BOLZANO ist Erkenntnis »jedes Urteil, das einen wahren Satz enthält, oder... der Wahrheit gemäß oder richtig ist« (Wiss. I, 163). CHR. KRAUSE bestimmt: »Erkennen, oder besser Schauen, ist... Vereinwesenheit des Selbwesenlichen als des Zuerkennenden mit dem erkennenden Wesen, als Selbwesenlichem, in letzterem« (Log. S. 71). Nach HEINROTH ist das Erkennen ein Sehen, ein Wahrnehmen, Empfangen der Wahrheit oder Einheit, ein Einswerden des Gegenstandes mit uns selbst (Psychol. S. 61, 95). Nach F. BAADER ist das Erkennen ein »Durch- und Eindringen«, ein »Umgreifen«, »Bilden und Gestalten, folglich ein gestaltempfangendes Erhobenwerden des so Durchdrungenen in das Ein- und Durchdringende und von ihm«. Der Erkenntnistrieb ist organischer Bildungstrieb, er geht auf geistige Zeugung, auf »ideale Formation« (WW. I 1, 39 ff., 42 f., 314). Kein wahres Erkennen ist »affectlos«. Das Erkennen ist »ein Ergründen und Begründen und zugleich ein Be- und Umgreifen, d. i. ein Gestalten des Erkannten« (WW. I, 51 f.). Es gibt ein mechanisches, äußeres, figürliches, dynamisches, lebendiges, inneres, wesentliches Erkennen. Jeder Geist »forschet nur seine eigene Tiefe« (l.c. S. 52). »Das Gestaltende gestaltet sich nur sich selbst im Gestalteten und spiegelt sich in ihm, bildet sich in ihm für uns ab« (l.c. S. 53). Alles Erkennen geht vom Glauben aus (l.c. S. 238). GÜNTHER: »Die Begriffe können im Verhältnis, das sie schon untereinander im Geiste haben, betrachtet werden, und dies ist das formale oder logische Denken; sie können aber auch im Verhältnis zur äußeren Natur neben dem Geiste betrachtet werden, und dies ist formales oder logisches Erkennen« (Vorsch. I). Nach GIOBERTI ist alles Erkennen eine Offenbarung Gottes in uns. GALUPPI betrachtet als Urtatsache des Erkennens das ein außer ihm Seiendes erfassende Ich. Nach SCHOPENHAUER erkennen wir verstandesmäßig nur Erscheinungen (s. d.); das Ding an sich aber unmittelbar im eigenen Willen (s. d.). Nach HERBART ist die Erkenntnis insofern bloß formal, als sie nur die Beziehungen der Dinge, nicht die Beschaffenheit der wirklichen Wesen (Realen (s. d.)) erfaßt (Met. II, 412 ff.). BENEKE erklärt die Erkenntnis der Außenwelt für relativ und subjectiv, die innere Erfahrung dagegen gewährt adäquate Erkenntnis (Syst. d. Log. II, 288).

Nach LOTZE stimmt unsere Erkenntnis, nach Abschluß der Denkarbeit, mit dem Verhalten der Dinge überein (Log. S. 552). Wir erkennen die Dinge in subjectiven Symbolen ihrer Verhältnisse. Ähnlich HELMHOLTZ: »Was wir erreichen können, ist die Kenntnis der gesetzlichen Ordnung im Reiche der Wirklichkeit, diese freilich nur dargestellt in dem Zeichensystem unserer Sinneseindrücke« (Tatsach. d. Wahrn. S. 39). A. LANGE behauptet die völlige Abhängigkeit des Erkennens von unserer psychophysischen Oganisation (Gesch. d. Material. II3, 36 ff.). Nach O. LIEBMANN ist die Wirklichkeit nur deswegen erkennbar,[294] weil sie »nur ein Phänomen innerhalb unserer wahrnehmenden Intelligenz und daher den Gesetzen derselben unterworfen ist« (Anal. d. Wirkl.2, S. 328). Erkennen ist »jene Art des Vorstellens und Denkens, welche von der subjectiven Überzeugung begleitet ist, es correspondiere ihr ein objectiver Sachverhalt, d.h. sie enthalte Wahrheit« (l.c. S. 251). Nach BERGMANN ist Erkennen ein »Denken, dessen Gedachtes mit dem Sachverhalte übereinstimmt, d. i., welches wahr ist« (Reine Log. S. 2). VOLKMANN definiert Erkennen als »jenes Urteilen, bei dem Subject und Prädicat objectiv notwendig zusammengehören, d.h. bei denen die Zusammengehörigkeit beider lediglich durch die qualitativen Verhältnisse bestimmt ist« (Lehrb. d. Psychol. II4, 289). STEINTHAL: »Jeder Act der Erkenntnis setzt ein Besonderes in einem. Allgemeinen, aber nicht etwa so, als wäre das Allgemeine ein gegebenes, bereit liegendes Fachwerk, in welches ein Einzelnes gelegt würde, sondern so, daß eben erst durch die Erkenntnis das Allgemeine selbst geschaffen und damit zugleich das Besondere erfaßt wird« (Einl. in d. Psychol. S. 17). Nach LAZARUS besteht alle Erkenntnis in einem Apperceptionsproceß (Leb. d. Seele II2, 253). Nach H. SPENCER ist das Erkennen eine Identification und »Classification eines gegenwärtigen Eindruckes mit früheren Eindrücken« (Psychol. I, § 59, 312 f.). Es gibt präsentative, repräsentative, präsentativ-repräsentative, re-repräsentative Erkenntnis, d.h. Wahrnehmungs- und begriffliche Erkenntnis nebst den Zwischenstufen (l.c. § 423, 480). Wir erkennen nur die Erscheinungen des Absoluten, dieses selbst ist »unknowable«. SIGWART erklärt: »Wer Wahres und Falsches scheidet, mißt das menschliche Denken an einem Zwecke und erkennt an, daß es dazu da sei, die Wahrheit zu finden. Würde aber die Natur der Dinge ihm das Vermögen ihrer Notwendigkeit versagen, so wäre sein Beginnen wahnwitzig, er muß voraussetzen, daß seine eigene geistige Organisation auf Erkenntnis der Wahrheit angelegt ist, und daß darum auch die Natur der Dinge darauf angelegt ist, erkannt zu werden« (Kl. Schr. II2, 67). Nach REINKE besteht Erkennen »darin, daß wir die Gegenstände der Erfahrung auf einen in unserer Vorstellung vorhandenen Maßstab zurückführen, oder daß wir in einem Unbekannten Analogien nachweisen zu etwas Bekanntem« (Welt als Tat, S. 43 f.). Nach RIEHL ist Erkenntnis das »mittelbare, durch bewußte Denkacte hervorgebrachte, von Reflexion begleitete Wissen« (Phil. Krit. II 1, S. 1). Erkennen heißt »das Geschehen auf das, Sein, auf beharrliche Elemente und unveränderliche Begriffe des Geschehens, die wir Gesetze der Natur nennen, zurückfahren« (l.c. II, 1, 16). Sinnliche Erkenntnis ist »die Erkenntnis der Verhältnisse der Dinge durch die Verhältnisse der Empfindungen der Dinge« (l.c. II 2, 40). Alle Erkenntnis ist bedingt durch die apriorische Gesetzmäßigkeit des Bewußtseins (l.c. II, 1, 5). Zwischen den Erkenntnisformen und den Grundverhältnissen der Wirklichkeit besteht eine Congruenz (l.c. II 1, 24). Nur die Grenzen der Dinge, nicht deren An-sich, werden von uns erkannt. Das Erkennen ist ein sociales Product (so auch JODL, Lehrb. d. Psychol. S. 161). Nach WUNDT ist Erkennen ein Denken »mit dem sich die Überzeugung der Wirklichkeit der Gedankeninhalte verbindet« (Syst. d. Philos.2, S. 85). Ursprünglich gilt alles Denken als Erkennen, ist das Erkennen eins mit seinem Gegenstande. »Allmählich erst scheidet sich, teils infolge der Reflexion über die Gedächtnis- und Phantasie-Tätigkeit, teils aus Anlaß der Conflicte, die sich zwischen verschiedenen Erkenntnisacten erheben der Vorgang des Erkennens von dem Object, auf das es bezogen wird, und nun erst wird dem Denken die Rolle einer subjectiven Tätigkeit zugeteilt, die mit, den Objecten, die in sie eingehen, nicht identisch, sondern dazu bestimmt sei,[295] diese in allmählicher Annäherung nachzubilden« (l.c. S. 85 ff.). Das »Postulat von der Begreiflichkeit der Erfahrung« liegt allem Erkennen zugrunde. »Indern die Erkenntnisobjecte beständig die Probe bestehen, daß sie sich durch unser Denken in einen begreiflichen Zusammenhang bringen lassen, zeigt es sich, daß unser Denken auf die Erkenntnis des Wirklichen angelegt ist« (Log. I2, S. 89 f., 59, 435). Erkennen ist »begründendes Denken« (l.c., Syst. d. Philos.2, S. 80 ff., 167 f.). Die Erkenntnis ist »ein Resultat der Bearbeitung unmittelbar gegebener Tatsachen des Bewußtseins durch das Denken« (Log. I2, 423), ein Product der Bearbeitung der Erfahrung durch das Denken (Phil. Stud. VII, 47). Drei Stufen solcher logischen Bearbeitung gibt es: Wahrnehmungs-, Verstandes-, Vernunfterkenntnis, d.h. Erkenntnis des praktischen Lebens, einzelwissenschaftliche, philosophische Erkenntnisart (Log. I2, 89 f.; Syst. d. Philos.2, S. 89, 104; Phil. Stud. XII u. XIII). Von den Außendingen haben wir in der Naturwissenschaft eine mittelbare, symbolisch-begriffliche, von uns selbst eine unmittelbare, anschauliche Erkenntnis (s. Erfahrung). Nach UPHUES besteht der Erkenntnisvorgang in einem »Bewußtseinsausdruck des Gegenstandes« (Psychol. d. Erk. I, 101). Nach HUSSERL ist »Erkenntnis« die »Erfüllung der Bedeutungsintention« (Log. Unt. II, 505), ein »Identitätserlebnis«, ein identificierender Act (l.c. S. 507). »Alles, was ist, ist an sich erkennbar...«, aber nicht alles wirklich ausdrückbar (l.c. S. 90 ff.). Nach TH. ZIEGLER ist das Erkennen ein Product der Abstumpfung des Gefühles (Das Gefühl S. 147). Nach HAGEMANN ist Erkennen »diejenige Tätigkeit, wodurch wir einen bestimmten Gegenstand auffassen oder die Vorstellung desselben in uns ausdrucken«. Es ist »ein Denken, welches ein Seiendes zum Inhalte hat« (Log. u. Noet.5, S. 124). Nach B. STEINER besteht das Erkennen »in der Verbindung des Begriffes mit der Wahrnehmung durch das Denken« (Phil. d. Freih. S. 228, 90).

Die Kantianer (H. COHEN, P. NATORP u. a.) sehen im Erkennen eine synthetische, gesetzschaffende, Objectivität herstellende Synthesis (s. d.) von Erfahrungsinhalten actualer und potentieller Art, keine Nachbildung von Dingen an sich. Das Letztere behauptet auch die Immanenzphilosophie (s. d.), nach der alles Sein (s. d.) Bewußtsein ist (SCHUPPE, REHMKE, SCHUBERT-SOLDERN, v. LECLAIR, M. KAUFFMANN, ZIEHEN u. a.). – EUCKEN lehrt einen dem Fichteschen verwandten Idealismus (s. d.).

Der Empirismus (und Positivismus) tritt sowohl in realistischer als auch in idealistischer Form auf. ÜBERWEG bestimmt das Erkennen als »die Tätigkeit des Geistes, vermöge deren er mit Bewußtsein die Wirklichkeit in sich reproduciert« (Log.4, § 1). Die Erkenntnis ist unmittelbar (äußere und innere Wahrnehmung) oder mittelbar (Denken). Sie ist bedingt: 1) subjectiv, durch das Wesen und die Naturgesetze der Seele, 2) objectiv, durch die Natur der Dinge selbst, die unabhängig von uns existieren (l.c. § 2). Nach E. DÜHRING besteht die Erkenntnis in der »Nachweisung des Ursprungs von Begriffen jeder Art« (Log. S. 2). Die Wirklichkeit wird so erkannt, wie sie ist. v. KIRCHMANN stellt zwei Fundamentalsätze des Erkennens auf: 1) »Das Wahrgenommene ist seinem Inhalte nach nicht bloß in der Wahrnehmung des Menschen, sondern auch außerhalb der Wahrnehmung als ein Seiendes... vorhanden.« 2) »Das sich Widersprechende kann weder als eines gedacht werden, noch als solches im Sein bestehen« (Kat. d. Phil. S. 55). M. BENEDICT erklärt: »Wir sehen... viele Tatsachen und Vorkommnisse aus vorausgegangenen Erfahrungen voraus, und sie treten wirklich ein. Das beweist, daß unsere Auffassungsweise[296] und die Verbindung der Eindrücke zu Schlüssen dem Wesen der Dinge und den Gesetzen der Natur entsprechen.« »Gehäufte Erfahrung und mathematisch überprüfte Schlußfolgerung sichern den Satz, daß unsere Erkenntnis eine richtige Projection (Bild-Darstellung) des Wirklichen ist« (Seelenk. d. Mensch. S. 29). – J. ST. MILL beschränkt die Erkenntnis auf Erfahrungsmöglichkeiten (s. Object, Induction). E. LAAS sieht das Wesen der Erkenntnis in der logischen Bearbeitung der Wahrnehmungsdata (Ideal. u. posit. Erk. S. 407). Die Erkenntnis ist durchaus relativ (l.c. S. 450). Sie besteht in der »Heraussonderung des objectiv Zusammengehörigen aus dem subjectiv Zusammengeratenen« (l.c. S. 534). Nach LIPPS ist Erkenntnis »objectiv notwendige Ordnung vor Objecten des Bewußtseins, Einordnung derselben in einen objectiv notwendigen Zusammenhang« (Gr. d. Log. S. 3).

Der »Empiriokriticismus« (s. d.) betrachtet die Erkenntnis vom »biomechanischen« Standpunkte als »Abhängige« von den »Schwankungen« des »System C« (s. d.). Wahre Erkenntnis besteht in der »reinen« Erfahrung (s. d.) von Aussageinhalten. Ein Sein außerhalb der Erfahrungen gibt es nicht, nur eine vorgefundene Wirklichkeit existiert, von der der Erkennende ein Teil ist. Alle philosophischen Erkenntnisinhalte sind nur Abänderungen des ursprünglichen Erkennens (Krit. d. r. Vern. I, S. VII). Das »Erkennen« ist eine Function des nervösen Centralorganes, ist durch dessen Zustandsänderungen (functionell) bestimmt (l.c. II, 222 f.). Zwischen »Problematisation« und »Deproblematisation« der »E-Werte« (s. d.) bewegt sich der Erkenntnisproceß (l.c. S. 225). Die biologische Grundlage des Erkennens betont auch E. MACH: »Die Vorstellungen und Begriffe des gemeinen Mannes von der Welt werden nicht durch die volle, reine Erkenntnis als Selbstzweck, sondern durch das Streben nach günstiger Anpassung an die Lebensbedingungen gebildet und beherrscht« (Anal. d. Empfind.4, S. 26). Die Wissenschaft ist ein Mittel im Dienste der Selbsterhaltung (Wärmelehre2, S. 364, 386). Erkenntnis besteht in der vollständigen »Beschreibung« der Erfahrungstatsachen, die gemäß dem Principe der Ökonomie (s. d.) des Denkens geordnet und vereinheitlicht werden, mit Elimination aller metaphysischen Begriffe. Letzteres lehrt auch NIETZSCHE. (WW. III, 1, S. XIV). Die Erkenntnis arbeitet im Dienste des Lebens, des »Willens zur Macht«, ist einer rein biologischen Nötigung unterworfen, ist Verarbeitung von Erlebnissen zum Zwecke der Orientierung, Beherrschung der Tatsachen (WW. X, 3, 1, S. 183, VII, 1, 6, V, S. 294 f., XV, 268, 270 ff., 289). Alle menschliche Erkenntnis ist metaphorisch, anthropomorphistisch, verfälscht die Wirklichkeit, gewährt nur Schein, beruht auf Introjection menschlicher Eigenheiten und Werte in die Natur. Alles Erkennen ist »ein Widerspiegeln in ganz bestimmten Formen, die von vornherein nicht existieren«, die nur für uns gelten. Nur durch Aufzeigung der subjectiven Zutaten, durch »Entmenschung« der Natur als Natur können wir uns vom grob Anthropomorphischen befreien (WW. XV, S. 168, XII, 1, 106, XI, 61, XI, 6, 40, XI, 6, 209, X, 2, 1, S. 166, X, 1, 11, S. 57, X, 21, S. 163, X, S. 176). Eine erfahrungstranscendente Welt gibt es nur in unserer Einbildung. die einen verfälschenden Factor des Erkennens bildet, wie das auch mit der Sprache (s. d.) der Fall ist (ähnlich F. MAUTHNER, Sprachkrit. I). Den biologischen Factor des Erkennens (Arch. f. system. Philos. I, 45) betont ferner G. SIMMEL (S. Wahrheit). So auch W. JERUSALEM. Nach ihm sind Erkenntnisse »Urteile, von deren Wahrheit wir überzeugt sind« (Lehrb. d. Psychol.3, S. 127). Die Erkenntnis ist (besonders[297] in den Anfängen) ein Mittel zur Erhaltung des Lebens (l.c. S. 128). So auch L. STEIN. »Die Entstehung der Anschauungen und Begriffe im menschlichen Gehirn, also die Bildung des Intellects, haben wir uns genau so zu erklären, wie die aller übrigen Functionen und Fertigkeiten, Neigungen und Talente des menschlichen Organismus: durch Selection und Vererbung.« »Im Kampf ums Dasein erzeugt das Gehirn vornehmlich solche Vorstellungen, welche ihm diesen Kampf erleichtern« (An der Wende d. Jahrh. S. 24). K. LANGE bemerkt: »Das oberste Gesetz alles menschlichen Tuns, Denkens, Fühlens und Wollens ist das Wohl der Gattung« (We(s. d.) Kunst I, 13). – Einen kritisch-empiristischen Standpunkt nimmt H. CORNELIUS ein (s. Erfahrung).

Der Agnosticismus (s. d.) hält das Wesen der Dinge (an sich) für unerkennbar. Vgl. Wissen, Nihilismus, Kategorien, Wahrheit, Erkenntnisvermögen, Object, Sein u.s.w.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 285-298.
Lizenz:
Faksimiles:
285 | 286 | 287 | 288 | 289 | 290 | 291 | 292 | 293 | 294 | 295 | 296 | 297 | 298
Kategorien:

Buchempfehlung

Reuter, Christian

L'Honnête Femme oder Die Ehrliche Frau zu Plißine

L'Honnête Femme oder Die Ehrliche Frau zu Plißine

Nachdem Christian Reuter 1694 von seiner Vermieterin auf die Straße gesetzt wird weil er die Miete nicht bezahlt hat, schreibt er eine Karikatur über den kleinbürgerlichen Lebensstil der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«, die einen Studenten vor die Tür setzt, der seine Miete nicht bezahlt.

40 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon