[690] Wahrnehmung (aisthêsis. perceptio, sensatio. sensation, perception) ist allgemein ein Gewahrwerden, Bemerken, Vorfinden eines Etwas, also identisch mit Bewußtsein (s. d.) überhaupt. Im engeren Sinn e ist (äußere, sinnliche) Wahrnehmung (als Act) eine Art des Vorstellens (e r. d.), ein Vorstellen durch die Sinne (s. d.), ein »Gerichtetsein« der Aufmerksamkeit auf ein Object (s. d.) der Außenwelt. Während die Empfindung (s. d.) ein Erleben eines Inhalts schlechthin ist, ist die Wahrnehmung die Auffassung, Deutung eines Empfindungscomplexes (die Wahrnehmungsvorstellung) als Repräsentant eines (bestimmten) Gegenstandes, die (concrete) Beziehung von Empfindungsinhalten auf einen Gegenstand, d.h. auf einen einheitlichen, festen, gesetzmäßigen Zusammenhang von Erfahrungsinhalten. Wahrnehmen (äußeres) ist das Abstractum von Sehen, hören u.s.w., es bedeutet: Empfinden + Beziehen, Objectivieren (s. d.) des Empfundenen. Der Wahrnehmungsinhalt ist der Inbegriff des actuell Erlebten, der Wahrnehmungsgegenstand das, was durch die Empfindungen repräsentiert wird. Der Gegenstand der Wahrnehmung ist stets »außer« dem Wahrnehmungsacte. als Wahrgenommenes, Wahrnehmbares aber ist er an ein wahrnehmendes Subject gebunden, ist nicht jenseits alles Bewußtseins (vgl. Transcendent). Jede Wahrnehmung als solche ist ein »innerer«, psychischer Vorgang, »äußre« Wahrnehmung bedeutet nur Wahrnehmung eines Äußeren als Äußeren (als nicht zum Ich Gehörigen). Die Wahrnehmung (als Vorstellung) enthält außer Empfindungen immer auch Reproductions-Elemente, geht aus einer Assimilation jener mit diesen hervor, ist ferner eine Complication (s. d.) von Empfindungen. Die Beziehung des Empfundenen auf ein Object ist schon eine (primäre) Denkfunction, wenn auch noch kein logischer Denkproceß (s. d.). Die äußere Wahrnehmung liefert das Material für das Erkennen (s. d.), welches durch das Denken erst (begrifflich) zu objectiven Erkenntnissen geformt, verarbeitet wird.[690]
Die (äußere) Wahrnehmung gilt bald als unmittelbarer, bald als psychologisch vermittelter Act, teils als gesteigertes Empfinden teils als primäres Denken. von der Empfindung (s. d) wird sie meist als Gegenstandsbewußtsein unterschieden, wobei die Objectivation (s. d.) verschieden gedeutet wird.
In der älteren Philosophie werden Wahrnehmung und Empfindung kaum unterschieden. Die Wahrnehmung wird durch ein Einwirken der Dinge auf die Seele erklärt. Nach PARMENIDES empfindet die Seele um so besser, je mehr Wärme der Organismus enthält (Theophr., De sens. 3, Dox. 499). Nach EMPEDOKLES entstehen die Wahrnehmungen durch »Ausflüsse« (aporrhoai), welche von den Dingen ausgehen, in die poroi der Sinneswerkzeuge eindringen und sich mit den aus diesen kommenden Ausflüssen begegnen (to gar aporrhoias tois porois enarmottein, Plut., Plac. IV, 9. aporrhoas ... kai porous, eis hous kai di hôn hai aporrhoai poreuontai, Plat., Men. 76 C. vgl. Aristot., De sens. 2, 438 a 4. 437 b 26 squ.). Durch Gleiches wird Gleiche wahrgenommen (hê gnôsis tou homoiou tô homoiô, Arist., De an. I, 2. Met. II, 4, 100.0 b 6. Sext. Empir. adv. Math. VII, 121). nach ANAXAGORAS hingegen ist es das Ungleichartige, durch welches etwas wahrgenommen wird (Theophr., De sens. 29). DEMOKRIT erklärt die Wahrnehmung durch »Bilderchen« (eidôla), welche von der Oberfläche der Körper, als Atomcomplexe, sich ablösen und, durch die Sinnesorgane eindringend, die Seele (s. d.) zur Empfindung nötigen: Dêmokritos ... tên aisthêsin kai tên noêsin ginesthai eidôlôn exôthen prosiontôn (Plut., Plac. IV, 8, DOX. 395. vgl. Cicer., De fin. I, 6, 24). horan d' hêmas kat' eidôlôn emptôseis (Diog. L. IX 7, 44). hê genesis tôn eidôlôn hama noêmati, ouk epidêlos aisthêsei dia tên antanaplêrôsin (Diog. L. IX, 7, 48). tas aisthêseis kai tas noêseis heteroiôseis einai tou sômatos (Stob., Floril. IV, 233). Nach PROTAGORAS entsteht bei der Hinwendung des Sinneswerkzeugs auf die ihm entsprechende Bewegung (prosbolê tôn ommatôn pros tên prosêkousan phoran) durch das Zusammentreffen der äußeren und innere (vom Sinnesorgan aus) zugleich das Wahrnehmbare (aisthêton) und die Wahrnehmung (aisthêsis) (Plat., Theaet. 156 squ.). Nach PLATO entsteht durch der Reiz eine Art Erschütterung (seismos) im Organismus, als Veranlassung der Empfindung in der Seele (Phileb. 34. vgl. Tim. 46 A). Die Wahrnehmung gibt kein Wissen, geht nicht aufs Seiende, nur auf die veränderlichen Dinge (Rep. V I. Theaet. 189 squ.. 184 C squ.. vgl. Sinn, Rationalismus). Auch ARISTOTELES erklärt, die (aufs einzelne gerichtete) Wahrnehmung sei noch kein Wissen (ou de di' aisthêseôs estin epistasthai, Anal. post. I 31, 87 b 28), wenn auch mit der Wahrnehmung die Erkenntnis beginnt (l. c. II 19. oude noei ho nous ta ektos mê met' aisthêseôs onta, De sens. 6). Die Empfindung ist ein Erleiden (paschein) der Seele, sofern sie mit dem Leibe verbunden ist (De an. II 11, 423 b 31. aisthêsis = kinêsis tis dia tou sômatos tês psychês, De somn. 454 a 7). Durch Ungleichartiges nehmen wir wahr (De an. II, 11, 423 b 31 squ.), welches nach der Wahrnehmung gleichartig wird (paschei ... to anomoion, peponthos d' homoion estin, De an. II 5, 417 a 20). Die Empfindung ist keine Größe (megethos), sondern ein logos, eine energeia, eine alloiôsis, eine qualitative Veränderung (l. c. II 12, 424 a 27). Die Wahrnehmung entsteht durch ein Zusammenwirken von Gegenstand und Seele' quasi durch einen typos des Gegenstandes im Wahrnehmenden (De mem. 450 a 30), der (ohne materielle Übertragung) diesen dem ersteren »verähnlicht« (De an. II, 418 a 5). Die Wahrnehmung ist psychologisch das Verwirklichen, Actuellwerden des Wahrnehmungsinhaltes, dessen [691] Potentialität sowohl im Gegenstande als im Wahrnehmungsorgane vorher bestand, so daß nun die Wirksamkeiten (Energien) beider in ihm eins sind. durch einen und denselben Verwirklichungsact wird das Außending tönend, das Sinnesorgan hörend: hê de tou aisthêtou energeia kai tês aisthêseôs hê autê men esti kai mia, to d' einai ou to auto autais. legô d' hoion ho psophos ho kat' energeian kai hê akoê hê kat' energeian. esti gar akoên echonta mê akouein, kai to echon psophon ouk aei psophei. hotan d' energê to dynamenon akouein kai psophê to dynamenon psophein, tote hê kat' energeian akoê hama ginetai kai ho kat' energeian psophos, hôn eipein an tis to men einai akousin to de psophêsin (De an. III 1, 425 b 26 squ.). Die Wahrnehmung ist ein Act des Wahrnehmenden, der Seele, ist aber auf ein Object gerichtet: hekastê men oun aisthêsis tou hypokeimenou aisthêtou estin, hyparchousa en tô aisthêtêriô hê aisthêtêrion, kai krinei tas tou hypokeimenou aisthêtou diaphoras ... hê kai dêlon hoti hê sarx ouk esti to eschaton aisthêtêrion (De an. III 2, 426 b 10 squ.). Die Wahrnehmung ist die Annahme der Form des Wahrnehmbaren ohne dessen Stoff: dei labein hoti hê men aisthêsis esti to dektikon tôn aisthêtôn eidôn aneu tês hylês, hoion ho kêros tou daktyliou aneu tou sidêrou kai tou chrysou dechetai to sêmeion, lambanei de to chrysoun ê to chalkoun sêmeion, all' ouch' hê chrysos ê chalkos (De an. II 12, 424 a 17 squ.). Durch die Existenz des Gegenstandes wird der in uns potentielle Wahrnehmungsinhalt actuell: to aisthêtikon ouk estin energeia alla dynamei monon (De an. II 5, 417 a 6). ta gar aisthêta kath' hekaston aisthêtêrion hêmin empoiousin aisthêsin (De insomn. 2, 459a 24). Das Object (s. d.) ist außer der Wahrnehmung (Met. IV 5, 1010 b 33. vgl. Brentano, Psychol. d. Aristot.. Uphues, Psychol. d. Erk. I. H. Schwarz, Umwälz. d. Wahrn. I, 4). Nach den Stoikern ist die aisthêsis ein »Abdruck« der Objecte in der Seele (typôsin en psychê, Diog. L. VII 1, 45), als alloiôsis (l. c. VII, 1, 50). Die Sinnesorgane werden von den Dingen erregt, worauf vom hêgemonikon (s. d.) ein pneuma in das Organ strömt und die Erregung erfaßt (vgl. L. Stein, Psychol. d. Stoa II, 135): Hoi Stôikoi phasin einai tês psychês meros anôtaton to hêgemonikon, apo de tou hêgemonikou esti tina teinonta epi ta alla merê tês psychês, ha poiei tên aisthêsin energein (Galeni histor. philos. 102, Dox. 638). alloioutai men gar ta aisthêtêria, diakrinei de tên alloiôtin hê aisthêsis ... esti de aisthêsis antilêpsis tôn aisthêtôn. dokei de houtos ho horos ouk autês einai tês aisthêseôs, alla tôn ergôn autês. dio kai houtôs horizontai tên aisthêsin, pneuma noeron apo tou hêgemonikou epi ta organa tettamenon (Nemes., De nat. hom. 7. vgl. Sext. Empir. adv. Math. VII, 424. Cicer., Acad. II, 7). Die eidôla -Theorie vertritt EPIKUR (Diog. L. X, 31, 51. vgl. Evidenz). So auch LUCREZ: »Principio hoc dico, rerum simulacra vagari multa modis multis in cunctas undique partis tenvia, quae facile inter se iunguntur in auris, obvia cum veniunt, ut aranea bratteaque auri, quippe etenim multo magis haec sunt tenvia textu quam quae percipiunt oculos visumque lacessunt, corporis haec quoniam penetrant per rara, cientque tenvem animi naturam intus sensumque lacessunt« (De rer. nat. IV, 720 squ.. vgl. Species). Nach PHILO ist die Empfindung ein Innerlichmachen des Äußeren: aisthêsis men oun, hôs auto pou dêloi to onoma, aisthêsis tis ousa, ta phanenta epeispherei tô nô (Quod deus immut. I, 9. vgl. De mund. 4). Nach PLUTARCH ist in der Wahrnehmung schon ein intellectueller Act (Sympos. V, 1. De soll. an. 3, 5). Nach PLOTIN ist die aisthêsis eine Tätigkeit der Seele (Enn. III, 61. IV, 4, 13. 6, 2). In der Wahrnehmung befindet sich die Seele in Gemeinschaft mit dem Wahrnehmbaren[692] (l. c. IV, 5, 1), aber die Wahrnehmung ist nicht Abformung oder Aufnahme von Eindrücken, sondern wir nehmen die Dinge direct wahr (l. c. IV, 6, 1). Wahrnehmen ist ein innerlicher Seelenact (l. c. IV, 6, 2). Ähnlich lehrt PORPHYR: Porphyrios en tô peri aisthêseôs oute kônon oute eidôlon oute allo ti phêsin aition einai tou horan. alla tên psychên autên entynchanousan tois horatois epiginôskein heautên ousa ta horata, tô tên psychên synechein panta ta onta kai einai ta panta psychên synechousan sômata (Nemes., De nat. hom. 80). Ähnlich auch NEMESIUS (De nat. hom.). Die Bilderchen-Theorie vertritt BASILIDES (vgl. Siebeck, Gesch. d. Psychol. S. 364). Als Act der Seele bestimmt das Wahrnehmen AUGUSTINUS: »Videtur mihi anima, cum sentit in corpore, non ab illo aliquid pati, sed in eins passionibus attentius agere et has actiones sive faciles propter convenientiam, sive difficiles propter inconvenientiam non eam latere, et hoc totum est, quod sentire dicitur« (De mus. VI, 9). Beim Sehen eines Objectes is dreierlei zu unterscheiden: »Primo ipsa res, quam videmus,... deinde visio, quae non erat, priusquam rem illam obiectam sensui sentiremus, tertio, quod in ea re, quae videtur, quamdiu videtur, sensum detinet oculorum, id est animi intentio« (De trin. XI, 2). Die den Körper afficierenden Gegenstände werden der Seele bewußt (De gen. ad lit. XII, 25. De quant. anim. 41). – Die Scholastiker schreiben die Wahrnehmung der Objecte den »sensus exteriores« (s. Sinn) zu, lassen sie meist durch »species« (s. d.) vermittelt sein. (Vgl. AVICENNA bei Winter, Üb. Avic. op. egreg. de an. S. 22, 26 ff.)
Nach CAMPANELLA ist die Wahrnehmung nicht eine bloße »passio«, »per quam scimus, quid est, quod agit in nos« (Univ. philos. I, 4), sondern auch ein »actus vitalis iudicationis« (l. c. I, 5, 1. vgl. TELESIUS, De nat. rer. VII, 275 ff.).
Nach DESCARTES ist die Wahrnehmung die Beziehung von Empfindungen (s. d.) auf ein Object als Ursache derselben, vermittelt durch Nervenbewegungen: »Cum videmus lumen tedae et audimus sonum campanae, hic sonus et hoc lumen sunt duae diversae actiones, quae per id solum quod excitan duos diversos motus in quibusdam ex nostris nervis et eorum opere in cerebro, dant animae duas distinctas sensationes, quas sic referimus ad obiecta quae supponimus esse earum causas, ut putemus, nos videre ipsam tedam et audire campanam, nen vero solum sentire motus qui ab ipsis proveniunt« (Pass. anim. I, 23). GEULINCX erklärt. »Perceptionem sensus soleamus referre ad res externas, tanquam inde provenientes et plerumque cum existimatione, quod eae res similiter affectae sint similemque habeant modum aliquem, qualem nobis ingerant« (Eth. IV p. 104). Die Logik von PORT-ROYAL bemerkt: »Tria... in nobis fiunt, cum aliquid sentimus...: 1) Quidam motus axcitantur in organis corporeis, ut cerebro, vel oculo. 2) Hi motus animae occasionem praebent aliquid percipiendi. 3) De rebus a nobis visis iudicium ferimus« (l. c. I, 10). – Daß die Wahrnehmung schon Gedächtnis erfordert, lehrt HOBBES (De corp. 25, 4). Nach LOCKE erregen die Körper (durch Stoß) unsere Empfindungen (Ess. II, ch. 8, § 11). Von den Körpern gehen Bewegungen aus, pflanzen sich auf unsere Nerven und Lebensgeister (s. d.) die zum Gehirn fort und veranlassen dort die Seele zum Wahrnehmen (l. c. §12). Daß wir das Resultat der Wechselwirkung von Seelentätigkeit und Objectaction empfinden, lehrt HERBERT VONr CHERBURY: »Quod igitur sentis, neque est facultas sive vis interna sese explicans, neque obiectum, sed actionum resultantia quaedam ex collisione et concursu mutuo oriunda«[693] (De verit. p. 93). Nach BONNET hat die »sensation« ihren Ursprung »dans l'ébranlement des fibres sensibles« (Ess. analyt. XIV, 196). Die »perception« unterscheidet sich von ihr nur »dans le degré de l'ebranlement«. Sie ist »la simple apprehension (s. d) de l'objet: elle annonce simplement sa présence« (l. c. XIV, 196 ff.). Die Perception ist »l'âme elle même modifiée« (l. c. XIV, 200. vgl. Ess. de psychol. ch. 21 ff., 33). – Nach CROUSAZ enthält die Wahrnehmung schon ein Urteil (Log. I, p 59) So auch nach REID (Inquir., VI, 20 On the int. pow. II, 16), wie überhaupt die schottische Schule (s. d.) scharf zwischen »sensation« und »perception« (Wahrnehmung) unterscheidet (vgl. BROWN, Lect. II, p. 30 ff.. S. unten). Nach ER. DARWIN ist die Aufmerksamkeit erst das, was die »idea« zur »perception« erhebt (Zoonom. sct. I, 2, 8. Templ. of nat. p. 96). – TETENs bemerkt: »Erst wenn die Seele einen Gegenstand als einen besondern faßt, ihn unter andern herauserkennt und unterscheidet, dann nimmt sie wahr oder ist sich dessen bewußt« (Philos. Vers. I, 258). PLATNER versteht unter »Gewahrnehmungen« »die bewußten Ideen der Sinnen, insofern sie verbunden sind mit der Anerkennung der Merkmale der Sache« (Philos. Aphor. II, § 32).
Als bewußte Anschauung (s. d.) definiert die Wahrnehmung KANT. »Das erste, was uns gegeben ist, ist Erscheinung, welche, wenn sie mit Bewußtsein verbunden ist, Wahrnehmung heißt« (Krit. d. rein. Vern. S. 130). »Das Bewußtsein einer empirischen Anschauung heißt Wahrnehmung« (Üb. eine Entdeck. 1. Abschn. S. 37. vgl. Anschauung, Perception). Nach BECK besteht die Wahrnehmung in der ursprünglichen Synthesis (Erl. Ausz. III, 155). Nach KRUG ist die Wahrnehmung ein »Wahr-nehmen, weil wir uns dadurch von der Wirklichkeit eines Objects unmittelbar überzeugen« (Fundamentalphilos. S. 130). Nach SAL. MAIMON ist das Wahrnehmen die Erkenntnis der allgemeinen Formen in besonderen Objecten (Vers. üb. d. Transcend. S. 14 ff.). Nach JACOBI offenbart alle Wahrnehmung ein Dasein. Ein Denken ist in aller Wahrnehmung (WW. I, 285). FRIES bestimmt: »Wahrnehmung nennen wir die einzelnen historischen Erkenntnisse, so wie wir uns ihrer in der isolierten Sinnesanschauung bewußt werden« (Syst. d. Log. S. 321). Die Perception ist eine »klare Vorstellung« (Neue Krit. I, 130). Nach LICHTENFELS ist das Empfinden »das Innewerden eines unmittelbar gegenwärtigen sinnlichen Zustandes« (Gr. d. Psychol. S. 42). CALKER definiert: »Die Tätigkeit der Seele, in welcher dieselbe ohne Absicht und Willen das augenblicklich durch die Anregung sich gegenwärtig zeigende leibliche und geistige Dasein erkennt, ist... die sinnliche Vernehmung oder Sinnesvernehmung« (Denklehre, S. 212 f.). Nach G. E. SCHULZE ist die Anschauung (6. d.), insofern das Erkannte etwas ausmacht, dem ein Sein außer uns zukommt, Wahrnehmung. »Zum Anschauen und Wahrnehmen ist schon viel Mitwirksamkeit des Verstandes erforderlich« (Psych. Anthropol. S. 110). Die äußere Wahrnehmung besteht aus dem Bewußtsein der objectiven Wirklichkeit des Gegenstandes (üb. d. menschl. Erk. S. 159. vgl. damit LIPPS, Grundt. d. Seelenleb. S. 398. Wahrnehmung ist »die Empfindung, an die sich das Wirklichkeitsbewußtsein heftet«).
Ein Denken enthält alle Wahrnehmung auch nach J. G. FICHTE. Dieses Denken gibt ihr die »Form des objectiven Daseins« (WW. I 2, 547). »Das Anschauende kann nicht anschauen sein unendliches Vermögen, ohne daß es zugleich seinen äußeren Sinn auf eine gewisse Weise bestimmt fühle: unmittelbar aber zu diesem Bewußtsein des eigenen Zustandes tritt das Denken, mit jenem[694] zu eigen Lebensmomente innig verschmolzen, und so wird das, was für die Anschauung in uns war, zu einem außer uns im Raume befindlichen und mit einer gewissen empfindbaren Qualität ausgestatteten Körper«` (l. c. S. 549). ESCHENMAYER bemerkt: »Die Empfindung ist mehr leidend, Anschauung mehr tätig. Empfindung unterrichtet uns mehr von qualitativen Verhältnissen der Natur, Anschauung mehr von Größenverhältnissen« (Psychol. S. 39). SUABEDISSEN definiert: »Das Wahrnehmen überhaupt ist eine Art des Vernehmens, nämlich ein Vernehmen, welches Beziehung auf Wahrheit, also auf Erkenntnis hat. Das sinnliche Wahrnehmen ist das Wahrnehmen des Äußern vermittelst des Empfindens, also das Vernehmen empfangener Bestimmungen mit Beziehung derselben auf äußere Gegenstände« (Grdz. d. Lehre von d. Mensch. S. 83). – Nach K. ROSENKRANZ erfaßt das wahrnehmende Bewußtsein »den Gegenstand, der für sich ein einzelner ist, in seinem An-sich, d.h. in seiner Allgemeinheit« (Psychol.3, S. 278 ff.. vgl. DAUB, Anthropol. S. 64. MICHELET, Anthropol. S. 273 ff.. G. BIEDERMANN, Philos. als Begriffswiss. I, 5 ff.). – Nach MAMIANI ist die Wahrnehmung ein unmittelbares geistiges Erfassen (Confess. I, 150 ff.).
Nach BOLZANO enthält die Wahrnehmung ein Urteil (Wissenschaftslehre I, S. 161). Nach JESSEN ist die Wahrnehmung »ein Act eines unbewußten Denkens« (Phys. d. menschl. Denk. S. 217. über SCHOPENHAUER s.Anschauung). Nach II. RITTER ist die Wahrnehmung ein mit der Empfindung verknüpfter Gedanke, »daß etwas ist, von welchem die Empfindung ausgeht«. Es wird aber nicht das Nicht-Ich wahrgenommen, sondern nur, »daß durch eine Tätigkeit des Nicht-Ich eine Empfindung ist«. »In der Wahrnehmung wissen wir daher nur von der Erscheinung des zum Grunde Liegenden« (Abr. d. Log.2, S. 26 ff.. vgl. SCHLEIERMACHER, Psychol. S. 71). Nach E. REINHOLD ist die objective Wahrnehmungsweise dadurch charakterisiert, »daß die Affection des Sinnesorganes für die Wahrnehmung unmerklich bleibt und daß eine durch die Beschaffenheit des Organes modificierte Erscheinung des Körpers und eines Zustandes des Körperlichen als etwas objectiv Vorhandenes, außerhalb des angeregten Sinnes Befindliches dem wahrnehmenden Individuum sich darstellt« (Lehrb. d. philos. propäd. Psychol.2, S. 99). Nach CHR. KRAUSE nimmt unmittelbar der Geist »lediglich bestimmte Beschaffenheiten bestimmter Teile des Nervensystems« wahr (Vorles. S. 194 ff.). BENEKE betont: »Jede sinnliche Wahrnehmung, wie einfach sie auch erscheinen möge, ist... in der Tat schon unendlich zusammengesetzt« (Lehrb. d. Psychol. § 54. vgl. Psychol. Skizz. II, 41 ff., 64 ff.. Neue Psychol. S. 132 ff.. Pragmat. Psychol. I, 157 ff.). Die Wahrnehmung enthält die Spuren (6. d.), »welche von früheren gleichartigen Empfindungen hinzu und mit ihr zusammengeflossen sind« (Neue Psychol. S. 133). Im Unterschiede von den bloßen Empfindungen sind e eigentlichen Wahrnehmungen (der höheren Sinne) von höherer Klarheit (Lehrb. d. Psychol. § 75).
Nach WAITZ ist die sinnliche Wahrnehmung »die Auffassung eines Mannigfaltigen unter der Form der Einheit« (Lehrb. d. Psychol. S. 50). Nach VOLKMANN ist die Wahrnehmung »die höchste Ausbildungsform, welche die Anschauung durch ihre Projection erfährt« (Lehrb. d. Psychol, II4, 142). LINDNER bestimmt: »Die Wahrnehmung ist... nichts anderes, als eine von allen übrigen isolierte, nach außen projicierte Empfindung.« Im Unterschiede von der subjecten Empfindung bezieht sich die Wahrnehmung auf ein äußeres Object (Lehrb. d. empir. Psychol. S. 58). – L. KNAPP erklärt: »Das Empfinden[695] drückt... ein In-sich-finden, das Vorstellen aber ein Sich-gegenüberstellen aus« (Syst. d. Rechtsphilos. S. 45). W. ROSENKRANTZ erklärt: »Soferne wir in der Anschauung bei dem Hinzukommen des bewußten und freien (idealen) Vorganges zum bewußtlosen und unfreien (realen) das Object von uns selbst und andern Objecten unterscheiden, wird unsere Empfindung schon einigermaßen zur Erkenntnis erhoben und heißt dann Wahrnehmung« (Wissensch. d. Wiss. Il, 75). Nach ULRICI wird die Empfindung erst zur Wahrnehmung, »indem das Objective von dem Subjectiven der Affection unterschieden wird« (Log. S. 67). Die Perception ist »die Kunde und Kundgebung des Gegenstandes in der Sinnesempfindung« (Leib u. Seele, S. 363). Die objectivierende Function der Wahrnehmung lehrt LOTZE (s. Object). Nach J. H. FICHTE wird in der Wahrnehmung der Empfindungsinhalt in objective Eigenschaften eines Realen umgesetzt (Psychol. I, 374). Die Wahrnehmung ist »Einheit von Empfinden, Anschauen und Anerkennen« (l. c. S. 382 ff). Sie ist ein Product des vorbewußten Denkens (l. c. I, 380), enthält ein Urteil (l. c. I, 383), ein Schließen auf die Existenz des Außendinges (l. c. I, 377 f.. II, 91 f.). Die Empfindung hingegen besteht in den »einfachen, vom Bewußtsein noch unverbundenen und unverarbeiteten Sinnenaffectionen« (l. c. I, 319). Nach HELMHOLTZ nehmen wir die Gegenstände der Außenwelt nicht unmittelbar wahr, sondern nur Wirkungen dieser auf unseren Nervenapparat und schließen unbewußt von der Empfindung auf die Gegenwart von Objecten als Ursachen unserer Nervenerregungen (Vortr. u. Red. I4, 115 f.. vgl. S. 100, 112). Die Wahrnehmung enthält also ein Denken (Tats. d. Wahrn. S. 36). O. SCHNEIDER sieht in der Empfindung den rein subjectiven »Zustand des durch Sinnesreize erregten Innewerdens«. »Tritt diese Empfindung nicht mehr als ein rein in sich beschlossener Zustand, sondern als das Innewerden eines äußern, von dem empfindenden Subjecte getrennten auf, so nenne ich sie Wahrnehmung, und die die Empfindung und die Wahrnehmung erregende äußere Ursache.. nenne ich den Wahrnehmungsgegenstand oder das Object« (Transcendentalpsychol. S. 39 f.). Nach M. BENEDICT ist Wahrnehmung »Bewußtwerden des Reizes in Beziehung zum Reize« (Seelenkunde d. Mensch. S. 26). Nach F. KRAUSE sind Wahrnehmungen hinausprojicierte, vergegenständlichte Empfindungen. Die Sinne nehmen eigentlich nicht den Gegenstand, sondern nur dessen Einfluß auf die Empfindungsnerven wahr (Leb. d. menschl. Seele I, 9 ff., 32 f.).
ÜBERWEG erklärt: »Von der bloßen Empfindug unterscheidet sich die Wahrnehmung dadurch, daß das Bewußtsein in jener nur an dem subjectiven Zustand haftet, in der Wahrnehmung aber auf das Element geht, welches wahrgenommen wird und daher... dem Acte des Wahrnehmens als ein anderes und objectives gegenübersteht.« Die Wahrnehmung ist »die unmittelbare Erkenntnis des neben- und nacheinander Existierenden«. »Die äußere oder sinnliche Wahrnehmung ist auf die Außenwelt, die innere oder psychologische Wahrnehmung auf das psychische Leben gerichtet« (Log.4, § 36). »Ich percipiere (sehe, höre etc) nicht die Sinnesempfindungen selbst, sondern mittelst ihrer vermöge eines mit ihnen sich verbindenden Denkens das Außending« (Welt- u. Lebensansch. S. 91). »Infolge der Affection des Nerven, z.B. der Netzhaut, entsteht in uns eine sinnliche Empfindung. Unmittelbar ist nur diese in unserem Bewußtsein. alles übrige ist eine Deutung derselben. Wir deuten sie unwillkürlich... auf ein äußeres Object, und dies ist es, was die Sprache nennt: das Object sinnlich wahrnehmen« (l. c. S. 26 f.). Die Übereinstimmung von Wahrnehmung und Object[696] bedeutet nur: »Jedem einzelnen Element der einen Reihe entspricht ein bestimmten Element der andern, und jede Combination von Elementen der einen Reihe wird durch die gleiche Combination der entsprechenden Elemente der andern Reihe wiedergegeben. aber das einzelne Element der einen Reihe steht zu dem entsprechenden Elemente der andern nicht im Verhältniss der Ähnlichkeit, sondern nur im Verhältnisse der gesetzmäßigen Verknüpfung« (l. c. S. 28). Nach E. V. HARTMANN kann sehr wohl »die sinnliche Wahrnehmung ein Doppeltes einschliefen, die bewußtseinsimmanenten Sensationen und die transcendentcausalen Beziehungen derselben auf eine vom Bewußtsein unabhängige Substantielle Ursache« (Gesch. d. Met. I, 555). Das gemeine Bewußtsein »glaubt die von ihm unabhängigen Dinge selbst wahrzunehmen, erkennt aber dz e Wahrnehmungstätigkeit als etwas zum Dinge selbst Hinzukommendes an. Es unterscheidet nicht das Ding von dem Wahrnehmungsbild, wohl aber das Ding als nicht wahrgenommenes von dem Dinge als wahrgenommenes« (l. c. S. 557 f.). Nach HAGEMANN ist die Dingwahrnehmung oder Anschauung die »unmittelbare Auffassung räumlicher Gegenstände und weiterhin eines Dinges mit seinen Merkmalen mittelst unserer Sinne« (Psychol.3, S. 55. vgl. GUTBERLET, Psychol.2, 1890). – v. KIRCHMANN erklärt: »Alle Wahrnehmungsvorstellungen haben miteinander gemein, daß sie 1) ihren Inhalt als einen seienden setzen, 2) daß sie das Seiende außerhalb der Wahrnehmung setzen, 3) daß sie den Inhalt der Wahrnehmung als gegeben und nicht von der wahrnehmenden Seele erzeugt annehmen und 4) daß sie diesen Inhalt als einen einzigen setzen, in dem die Unterschiede erst als das Spätere hervortreten« (Kat. d. Philos.3, S. 21. vgl. Lehre vom Wissen4, S. 10, 68).
WOLFF bestimmt die Wahrnehmung als »ein unmittelbares, d.h. ohne Schluß und sonstige Denktätigkeit vermitteltes Innewerden oder Wissen unser selbst und der Dinge um uns« (Üb. d. Zusammenh. uns. Vorstell. mit Dingen S. IV). Dabei functioniert die Seele wie ein Spiegel, durch den die Dinge nicht modificiert werden (l. c. S. V). Wahrnehmen ist »Wissen eines Gegenständlichen, wobei das Wissen seine eigene Natur gleichsam verhüllt« (l. c. S. X). Es ist »Übergang eines realen Seins in ein Wissen« (l. c. S. XV). Auf der Wahrnehmung beruht alles Wissen (l. c. S. 110). Nach UPHUES ist die Empfindung die Auffassung der Sinneseindrücke als Bewußtseinsinhalte, die Wahrnehmung hingegen »unmittelbare (nicht durch Schluß vermittelte) Auflassung eines gegenwärtigen... Objects«. Die sinnlichen Qualitäten bilden den Gegenstand der äußeren Wahrnehmung. »In jedem Wahrnehmungsact tritt das Object als verschieden und unabhängig vom Wahrnehmungsact auf« (Wahrn. u. Empfind. S. V, 3, 9, 14, 25 ff.). Später bestimmt Uphues die Wahrnehmung als »die Vergegenwärtigung eines Transcendenten, d.h. dessen, was nicht Bewußtseinsvorgang ist, in ursprünglichen Empfindungen«. Sie ist »Gegenstandsbewußtsein«, ist auf ein Transcendentes gerichtet, das nicht in der Wahrnehmung selbst enthalten ist (Psychol. d. Erk. I, 157, 162. vgl. Object. Gegenstandsbewußtsein ist in das Urteil verlegt). Ähnlich lehrt H. SCHWARZ (Vgl Wahrnehmungsprobl. 13. 370 ff.. s. Object). – Nach BRENTANO ist die Wahrnehmung intentional (s. d.) auf ein Object (s. d.) gerichtet. sie enthält schon ein Anerkennen, ein Urteil. Nach HÖFFDING enthält die Wahrnehmung schon eine das Gegebene gesetzmäßig verarbeitende Bewußtseinstätigkeit (Psychol. S. 179). ZIEHEN bestimmt: »Die Empfindung ist gewissermaßen das brach liegende Rohmaterial, die Wahrnehmung dasselbe, aber in Verarbeitung begriffene Material« (Leitfad. d. physiol. Psychol.2, 63. 17). »Empfindungen, denen die Aufmerksamkeit zugewandt[697] wird, bezeichnen wir als Wahrnehmungen« (l. c. S. 170). Nach LIPPS ist Wahrnehmen nicht eine Tätigkeit, die Objecte zu etwas macht, was sie nicht waren. »Wir verwandeln doch nicht reale Objecte in ideelle, außerhalb der Wahrnehmung existierende Gegenstände in Wahrnehmungsbilder, sondern erzeugen letztere, welche wir wahrnehmen, vorstellen, empfinden« (Grundtats. d. Seelenleb. S. 21). Nach J. BERGMANN hat die äußere Wahrnehmung die innere zur Voraussetzung, denn sie ist »Bewußtsein des Empfundenen als Empfundenen«. »Umgekehrt werden wir uns keiner Empfindung bewußt, ohne ihren Inhalt, das Empfundene, auszuscheiden und zu objectivieren« (Grundl. ein. Theor. d. Bewußts. S. 7). Das Wahrnehmen ist mehr als Empfinden und Anschauen, Wir setzen wahrnehmend substantielle, wirkungsfähige Dinge. Das äußere Wahrnehmen ist ein Denken, ein Meinen, weil es etwas als seiend setzt, unter den Wahrheitsbegriff fällt (Vorles. üb. Met. S. 109 ff., 121). HUSSERL erklärt: »Die Wahrnehmungsvorstellung kommt einfach dadurch zustande, daß die erlebte Empfindungscomplexion von einem gewissen Artcharakter, einem gewissen Auffassen, Meinen beseelt ist« (Log. Unters. II, 75. vgl. S. 616 ff.. 705). Nach REHMKE ist die Wahrnehmung Empfindung und Raumbewußtsein zugleich (Allgem. Psychol. S. 166 ff.). Nach PREYER wird die Empfindung zur Wahrnehmung dadurch, »daß die unmittelbar eindringende Empfindung vom beginnenden Intellect in Raum und Zeit eingeordnet wird« (Seele d. Kind. S. 227). Nach RIEHL ist die Wahrnehmung »eine räumlich und zeitlich begrenzte Mehrheit von Empfindungen« (Philos. Krit. II 1, 187). Im Wahrnehmen ist das Subject abhängig vom Objecte (l. c. S. 188). Das Object ist in der Wahrnehmung enthalten (l. c. S. 196). Die Wahrnehmung schließt schon ein primitives Urteil ein (l. c. S. 199). – Nach SCHUBERT-SOLDERN ist die Wahrnehmung die »Aufnahme eines gegenwärtigen neuen Inhaltes in einen alten schon verflossenen« (Gr. ein. Erk. S. 338). Keine Wahrnehmung ohne Reproduction und umgekehrt (l. c. S. 337). – Nach M. KEIBEL sind es die »Beziehungen zum eigenen Leibe, zum Ablauf der Vorstellungen, zum Gefühl und Begehren«, die einen Inhalt als Wahrnehmung charakterisieren (Wert und Urspr. d. philos. Transcend. S. 5. vgl. J. BAUMANN, Philos. als Orient. S. 233 f.). R. AVENARIUS bestimmt: »Alle Elemente oder Charaktere, welche als Sachen gesetzt sind, sind zugleich des weiteren als Wahrgenommenes characterisiert« (Krit. d. rein. Erfahr. II, 78 f.. vgl. Object).
Nach LAZARUS ist die Wahrnehmung nichts Einfaches, sondern enthält eine geistige Tätigkeit (Leb. d. Seele II2, 35 ff., 39 f.). Nach GLOGAU ist die Wahrnehmung »kein ruhendes Innewerden, sondern intuitiver, d. i. unmittelbarer Verstand« (Abr. I, 87. vgl. STEINTHAL, Einl. in d. Psychol. I). SIGWART erklärt: »In den Wahrnehmungen haben wir es zunächst mit subjectiven Ereignissen zu tun, nur die Gegenwart der Vorstellung ist das unmittelbar Gegebene, ihre Beziehung auf ein Ding außer uns ein zweiter Schritt« (Log. I2, 339). Nach B. ERDMANN ist die Sinneswahrnehmung der »Inbegriff der geistigen Vorgänge, durch welche aus den physikalischen oder physiologischen Reizen, die unsere Sinnesorgane erregen, und den physiologischen Vorgängen, welche diese Erregungen zum Gehirne leiten, Vorstellungen von Gegenständen außerhalb des wahrnehmenden Subjects entstehen« (Log. I, 38). Die »Perceptionsmasse« ist ein »Complex derjenigen Bedingungen..., die dem neuen Reiz entstammen« (Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. X, 338 f.). Wahrnehmen heißt nach A. RAU »gewisse Sensationen von einem Objecte empfangen und diese als ähnlich[698] mit denen erkennen, welche ähnlich beschaffene Objecte früher in uns erregten« (Empfind. u. Denk. S. 372). Nach STUMPF ist Wahrnehmen Bejahen, Anerkennen eines Inhalts (Tonpsychol. S. 96). Nach W. ENOCH wird die Empfindung durch ein Denken zur Wahrnehmung (Der Begr. id. Wahrnehm. 1890, S. 54 ff.). WUNDT definiert: »Vorstellungen, welche sich auf einen wirklichen Gegenstand beziehen, mag dieser nun außer uns existieren oder zu unserem eigenen Körper gehören, nennen wir Wahrnehmungen oder Anschauungen. Bei dem Ausdruck Wahrnehmung haben wir die Auffassung des Gegenstandes nach seiner wirklichen Beschaffenheit im Auge« (Grdz. d. physiol. Psychol. II4, 1). »Nicht jede Vorstellung gilt uns als Wahrnehmung, sondern nur dann geschieht dies, wenn wir aus zweifellos voraussetzen, daß der Vorstellung ein Object entspreche. Die Wahrnehmung ist... das als wahr Angenommene.« Äußere Wahrnehmungen sind »diejenigen Vorstellungen, denen wir unmittelbar eine gegenständliche Existenz in der Außenwelt geben. Es ist aber zu beachten, daß wir solche objectiven Wahrnehmungen gar nicht unmittelbar zugleich als subjective Zustände unseres Bewußtseins auffassen. Die Vorstellung des gesehenen Gegenstandes ist eins mit dem Gegenstand selber. erst eine nachträgliche Reflexion unterscheidet diesen von seinen subjectiven Bilde« ( Log. I2, 424). In der Wahrnehmung sind schon reproductive Elemente enthalten (Völkerpsychol. I 1, 533). Nach W. JERUSALEM ist die Wahrnehmung ein »Complex von Empfindungen..., den unser Bewußtsein zur Einheit zusammenfaßt« (Lehrb. d. Psychol.3, S. 45). Wir nehmen nicht unsere Zustände, sondern die Dinge der Umgebung wahr (l. c. S. 46). Die Wahrnehmung des Kindes enthält die Deutung des erlittenen Widerstandes als Wirkung eines fremden Willens (s. Introjection). »Der Complex von Tast- und Bewegungs-, speciell Widerstandsempfindungen wird als wollendes, dem Kinde entgegenwirkendes Wesen gefaßt und ist damit herausgestellt und objectiviert. Die Wahrnehmung ist demnach das einfachste, primitivste Urteil. Sie formt und objectiviert den ungeordneten, verwirrenden Empfindungsinhalt. Die Apperception vollzieht sich jedoch unbewußt« (Urteilsfunct. S. 219 f.). JODL bestimmt: »Alles, was Gegenstand unseres Bewußtseins ist und auf irgend eine Weise gegeben oder gegenwärtig ist, jede Bewußtseinserscheinung, Bewußtseinserregung, jeder Bewußtseinsinhalt kann im weitesten Sinne, Wahrnehmung' genannt werden.« Sie »enthält nichts als den allgemeinsten Charakter des Objectseins für ein Subject, des Angeschaut- oder Erlebtwerdens... Bewußtsein und Wahrgenommenes ist daher identisch« (Lehrb. d. Psychol. S. 94 f.). Streng genommen, ist alle Wahrnehmung eine »innere«, im Bewußtsein stattfindende. Unter der äußeren Wahrnehmung sind zu verstehen »alle diejenigen Erregungen unseres Bewußtseins, welche wir als Wirkungen auf Gegenstände beziehen, die nicht wir selbst sind und durch die wir Eindrücke von Bewegungen oder Zuständen derselben zu empfangen glauben« (Lehrb. d. Psychol. S. 107). – Nach KÜLPE gibt es keine Wahrnehmungstätigkeit neben dem Ich. »Der Tatbestand, welcher durch das Wort Wahrnehmen bezeichnet wird, ist in der Abhängigkeit gegeben in welcher sich die Sinneseindrücke von der Aufmerksamkeit, der den Willen unterworfenen Stellung der Sinnesorgane und anderen Zuständen des wahrnehmenden Subjects befinden« (Philos. Stud. VII, 405. vgl. Gr. d. Psychol. S. 386 f.). Nach H. CORNELIUS ist das Wahrnehmen nichts als das Vorfinden, Bemerken eines Phänomens (Vers. ein. Theor. d. Existentialurt. S. 10), Bemerken eines Inhalts (Psych. S. 174 f.). Die Wahrnehmungen sind subjectiv, insofern die Bewußtseinsinhalte[699] sind, objectiv, »insofern sie einem objectiv existierenden Zusammenhange angehören, als Eigenschaften von Dingen beurteilt werden« (l. c. S. 116 ff.). Der Wahrnehmungsact ist schon ein Existentialurteil (Vers. ein. Theor. d. Existentialurt. S. 18). – Nach P. NATORP gibt die Wahrnehmung nur Antwort »auf die Fragen, welche die Erkenntnis zuvor gestellt und in den ihr eigenen Begriffen gleichsam voraus formuliert hat« (Socialpädag. S. 26). Nach P. STERN enthält die Wahrnehmung eines Gegenstandes »bereits die Wahrnehmung einer unendlichen Reihe von Teilwahrnehmungen« (Probl. der Gegebenh. S. 35 ff.. vgl. Impression: PALÁGYI). – Nach PALÁGYI gibt es keinen Gegensatz von äußerer und innerer (s. d.) Wahrnehmung (Log. S. 240). Nach H. KROELL ist die Wahrnehmung »das Resultat der Reizumgestaltungen, die sich vom Eintritt in den centripetalen Ast bis zum Neuronengebiet der Sinnescentren und derjenigen Rindenganglien, in welche die biotischen Reize einstrahlen, vollziehen« (Die Seele im Lichte des Monism S. 36).
Wahrnehmung und Empfindung, »perception« und »sensation«, unterscheidet W. HAMILTON. Die Perception, Wahrnehmung ist objectiv, ist Gegenstandsbewußtsein, und dieses ist um so stärker, je schwächer die »sensation« ist (Lect. on Met.. vgl. Mc COSH, Cogn. Powers I, 1. vgl. SPENCER, Psychol. II, § 353. CARPENTER, Ment. Physiol. ch. 5). Nach BAILEY ist die »perception of external things through the organs of sense« »a direct mental fact or phenomenon of consciousness not susceptible of being resolving into anything else« (Lect. on the hum. mind p. 13 ff.). Nach FERRIER ist die Wahrnehmung gleichfalls einfach, ursprünglich, ist »the absolutely elementary in cognition, the ne plus ultra of thought« (Lect. and remains p. 411). Nach S. LAURIE hingegen ist die Wahrnehmung Resultat eines Schlußprocesses (Met.2, 1889). Nach HODGSON ist die Wahrnehmung eine Objectivierung von Bewußtseinsinhalten (vgl. Philos. of Reflect. I, 255 ff.). Nach A. BAIN ist die »percept on of matter« das »object consciousness«, es ist »connected with the putting forth of muscular energy, as opposed to passive feeling« (Ment. and. Mor. Sciene. I, ch. 7, p. 197 f.). Nach LEWES ist die »Aperception« eine »assimilation of the object by the subject« (Probl. I, 189). H. SPENCER erklärt: »Bei der Empfindung ist das Bewußtsein mit gewissen Affectionen des Organismus beschäftigt, bei der Wahrnehmung wird das Bewußtsein von den Beziehungen zwischen jenen Affectionen in Anspruch genommen« (Psychol. II, § 211. vgl. § 352 f). Die Perception geht auf ein äußeres Object (l. c. § 353). Sie schließt schon ein Urteil ein: »Every act of perception implies an expressed or unexpressed assertory judgment« (l. c. II, § 314 ff.). Ein Classificieren liegt hier schon vor (l. c. § 320). SULLY erklärt: »In sensation the mind is comparatively passive and recipient. in perception it not only attends to the sensation (or sensations), discriminating and identifying it, but passes from the impression to the object which it indicates or makes known« (Outlin. of Psychol. p. 148). Die Wahrnehmung ist bewußte Auffassung eines Gegenstandes, enthält schon ein Beziehen, Verknüpfen, Interpretieren (l. c. ch. 7. Handb. d. Psychol. S. 127 ff.. vgl. TITCHENER, Outlin. of Psychol. § 43 ff.. LADD, Phys. Psychol. p. 382 ff.). Nach W. JAMES ist die Wahrnehmung (perception) »the consciousness of particular material things present to sense« (Princ. of Psychol. II, 76). Sie unterscheidet sich von der »sensation« »by the consciousness of farther facts associated with the object of the sensation« (l. c. p. 77. vgl. II, 1 ff.). »A pure sensation is an abstraction« (l. c. p. 3). BALDWIN definiert: »Perception is the apperceptive or synthetic activity of mind whereby[700] the data of sensation take on the forms of representation in space and time: or it is the process of the construction of our representation of the external world« (Handb. of Psychol.2, ch. 8, p. 116 ff.. vgl. ch. 7, p. 82 ff.. vgl. J. WARD, Encycl Brit. XX, 51 ff.. STOUT, Analyt. Psychol. I, 52 ff.. DEWEY, Psychol., u. a.). – Über J. ST. MILLS. Object.
Als unmittelbare Erfassung des Objects (s. d.) bestimmt die Perception ROYER-COLLARD. VACHEROT erklärt: »Toute sensation est affective. Elle ne devient réellement représentative que par l'élimination de l'élément affectif. Alors elle se transforme en perception, et n'exprime plus qu'un rapport fixe entre des phénomènes variables. C'est le passage de l'image à l'idée. Mais cette transformation ne s'opère que par une analyse et une synthèse de l'esprit« (Met. III, 209 f.). H. TAINE erblickt in der Wahrnehmung eine wahre, normale »Hallucination« (s. d.). Nach DELBOEUF hat jemand Perceptionen, wenn er »rapportera sa sensation à une cause en général autre que lui, et qu'il attribuera à cette cause une qualité, qui sera celle de lui procurer une sensation determinée« (Théor. génér. de la sensibil. 1876, p. 5). Nach JANET sind die Perceptionen »les images fournies par les sens« (Princ. de mét. II, 200 ff.). Nach RENOUVIER ist die Perception »la conscience particulière d'un phénomène comme différiencié d'avec d'autres phénomènes« (Nouv. Monadol. p. 4). Nach FOUILLÉE ist die »sensation« eine Modification der »activité appétitive qui constitue la vie« (Psychol. d. id.-forc. I, 3 ff., 7 ff.). Nach H. BERGSON ist eine Perception die »sollicitation de mon activité« (Mat. et mém. p. 35 ff., 49 ff.). Mit ihr ist schon Gedächtnis verbunden (l. c. p. 67). Vgl. PAULHAN, Physiol. de l'esprit, p. 42 ff.. BINET, La perception extérieure. F. MARTIN, La percept. extér. et la science posit. 1894. – Vgl. E. DREHER, Üb. Wahrnehmen u. Denk. 1879. Zeitschr. f. Philos. Bd. 71 – 77. M. BRAUDE, Die Elemente der reinen Wahrnehmung, 1899. – Vgl. Empfindung, Object, Wahrnehmung (innere), Perception Vorstellung, Sensualismus, Erkenntnis, positionale Charaktere.
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