Wiedertäufer

[712] Wiedertäufer, griech.-deutsch Anabaptisten, nannte man die Mitglieder von Secten, welche die Kindertaufe verwarfen, weil das Kind noch keine Glaubensüberzeugung habe, und solche, die als Kinder bereits getauft worden waren, nochmals getauft wissen wollten. Dergleichen W. gab es schon im Mittelalter, am meisten aber machten sie im 16. Jahrh. als die Ultras oder »Schwarmgeister« der reformatorischen Partei von sich sprechen. So zog 1522 ein Nikolaus Storch mit 12 Aposteln und 70 Jüngern nach Wittenberg, Melanchthon wußte diese sog. Zwickauerpropheten mit ihren Einwendungen wider die Kindertaufe nicht zu widerlegen u. zweifelte längere Zeit, ob dieselben nicht etwa richtig seien. Storch und die Seinigen predigten chiliastisch (s. Chiliasmus), verbanden sich mit Karlstadt, dem Mönch Didymus (s. d. betr. Art.) und mit Gesindel aller Art und trieben ihr Unwesen so arg, daß Luther selber aus seinem Wartburgasyl herbeikam und sie mit Predigten u. Hilfe des weltlichen Armes fortdonnerte, worauf sie sich mit Thomas Münzer (s. d.) verbrüderten und im Bauernkrieg umkamen od. zersprengt wurden. In der Schweiz bekam Zwingli 1525 mit W. u zu disputiren, welche die Kindertaufe lediglich für eine unbiblische päpstliche Erfindung ausgaben; die weltliche Obrigkeit erklärte sie für widerlegt und verbot die Wiederholung der Kindertaufe bei Todesstrafe, doch die W. gaben keine Ruhe, bis man einen gewissen Felix Manz ertränkte, dessen Gefährten Blaurock öffentlich auspeitschte u. andere dergleichen Exempel statuirte. Auch Bayern hatte seine W. (um 1527 Hutter, Kürsner, Sallim u.a.m.), noch mehr die Niederlande (ein gewisser David Joris suchte hier die 4 damaligen Parteien der W. unter einen Hut zu bringen), in Norddeutschland predigte Melchior Hoffmann (gebürtig aus Schwaben, seines Handwerks ein Kürschner, gest. 1532 zu Straßburg im Kerker) und dessen Schüler Ubbo Philippis (gest. 1568), am tollsten aber wirthschafteten die W. zu Münster in Westfalen. Hier, wo der Kaplan Bernh. Rottmann, ein entschiedener Fanatiker, die Grundsätze der Reformation seit 1532 auf offener Straße predigte u. im Einverständnisse mit dem Magistrate sowie mit Beihilfe des Landgrafen Philipp von Hessen 1533 für die Anhänger der neuen Lehre 6 Kirchen errang, sammelten sich 1534 viele W. und Leute, die alles zu gewinnen und nichts zu verlieren hatten. Es kamen Johann von Leyden u. Mathiesen, ein Bäcker aus Harlem, sie steckten mit ihren chiliastischen Planen den Rottmann an u. bald wurde durch Gewalt der Fäuste Münster zur Burg Zion, der Schneider Johann zum König, Mathiesen sein Prophet, Krechting sein Kanzler, Knipperdolling sein Scharfrichter, alles communistisch eingerichtet: Gemeinschaft der Weiber und Güter, gemeinsame Küchen, Kleidermagazine u.s.w., durch schonungslosen blutigen Terrorismus aber das neue Reich aufrecht gehalten u. ins Wahnsinnige gesteigert. Als der Bischof von Münster mit Heeresmacht herbeizog, vertheidigten sich die Belagerten mit fanatischer Tapferkeit und Ausdauer u. erst am 25. Juni 1535 wurde die Stadt wieder eingenommen; vgl. Johann von Leyden, Knipperdolling, Münster, dazu K. A. Kornelius Sammlung von Berichten von Augenzeugen über das Münster'sche W. reich im 2. Band der bei K. [712] Theissing herauskommenden »Geschichtsquellen des Bisthums Münster«. Nach dem Falle Münsters zersplitterten sich die W. in mehre Parteien, unter denen die der Taufgesinnten od. Mennoniten (s. Menno) am meisten Bedeutung gewannen u. die Tonangeber aller andern wurden. Die Regierungen vermochten dem W. thum nirgends ein völliges Ende zu machen; noch 1585 bedrohte die Berner Regierung die W. mit Landesverweisung, 1614 köpften die Züricher einen W., der nicht aus ihrem Gebiete fort wollte, 1601 hatte Kaiser Rudolf II. den W.n Räumung des Landes bei Verlust von Leib und Leben befohlen, aber 1618 sollen allein in Mähren gegen 70000 W. gelebt haben (vgl. böhm. u. mähr. Brüder). In den Niederlanden empfahlen sich die W. durch Geldspenden den Statthaltern und errangen 1572 Duldung, 1626 staatliche Anerkennung, in England traten sie als Baptisten auf, gewannen unter Wilhelm III. völlige Religionsfreiheit und taufen noch heute in Flüssen. Von Holland, der Pfalz und England aus wanderten W. nach Nordamerika, wo es jetzt bei 6 Mill. geben soll. Derzeit sind die W. in den meisten Ländern Europas nicht nur geduldet, sondern genießen auch Privilegien in Bezug auf Eidesleistungen, Conscriptionspflicht u.s.w., leben still und arbeitsam für sich und sind meist zu großer Wohlhabenheit gelangt. Hin sichtlich Deutschlands leben die W. am zahlreichsten in Westpreußen.

Quelle:
Herders Conversations-Lexikon. Freiburg im Breisgau 1857, Band 5, S. 712-713.
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