Wiedertäufer

[596] Wiedertäufer (Anabaptisten), christliche Sekte, welche die Einwilligung des gläubigen Täuflings zur Vorbedingung der Taufe macht, daher die Kindertaufe verwirft und bei den ihr Beitretenden die Taufhandlung wiederholt. Schon vor der Reformation bestritten einzelne reformerische Sekten die Kindertaufe; im Zeitalter der Reformation fand sich in der gemeinsamen Opposition gegen die Kindertaufe alles zusammen, was radikaler als die Reformatoren zu Werke zu gehen und das subjektive Prinzip, von dem diese selbst ausgegangen waren, bis aus Ende zu verfolgen unternahm. Als Ideal schwebte die von der Welt, vor allem der Verbindung mit dem Staate losgelöste [596] Gemeinschaft der Heiligen vor. So verbanden sich bei den besonders in der Schweiz, Deutschland und Holland auftauchenden Wiedertäufern mit der Forderung der Wiedertaufe die der Ausrichtung eines Reiches Christi auf Erden, Einführung der Gütergemeinschaft, Glauben an neue Offenbarungen u. dgl. Mit derartiger »Geisttreiberei« versuchten es in Deutschland 1521 die sogen. Zwickauer Propheten (»himmlische Propheten«) in Sachsen, an deren Spitze Nikolaus Storch aus Zwickau, Markus Stübner und Thomas Münzer (s. d.) standen. Letzterer entzündete in Sachsen, Franken und Thüringen den Bauernkrieg (s. d.), so daß die Sache der W. durch die Schlacht bei Frankenhausen (15. Mai 1525) hier ihr vorläufiges Ende fand. Dagegen traten in Bayern um 1527 als W. auf Joh. Denk (s. d.), Ludwig Hetzer (s. d.), Hans Hut, Siegmund Salminger in Augsburg und fanden ungeachtet der Verfolgungen viele Anhänger. In der Schweiz wurde ein harter Kampf geführt, in dem die W. dem von Zwingli in Bewegung gesetzten weltlichen Arm unterlagen. In den Niederlanden wirkte David Joriszoon (s. d.), in Westfalen, Holstein und Ostfriesland Melchior Hoffmann (s. d. 9) und Melchior Rinck, in Mähren und Tirol Balthasar Hubmaier und Hans Hut. Auf Grund kaiserlicher Edikte (seit 1528) wurden unzählige W. enthauptet, ertränkt oder verbrannt. Dadurch steigerte sich aber nur ihr Fanatismus; man nannte sie wohl auch Stäbler (Baculares, Stablarii), weil sie meinten, ein Christ dürfe keine Waffen, sondern nur einen Stab tragen. Holländische W. gründeten seit 1533 in Münster, wo der protestantische Geistliche Rothmann und die Bürger Knipperdolling (s. d.) und Krechting sich mit Johann von Leiden (s. d.) und Johann Matthys von Haarlem verbanden, ein Staatswesen mit einem Zionskönig an der Spitze, Gütergemeinschaft, Vielweiberei u. dgl. Erst durch mehrere protestantische Fürsten im Verein mit dem Bischof wurde die Stadt eingenommen und durch die Hinrichtung der Anführer dem neuen Reich 1535/36 ein blutiges Ende gemacht. Wenn auch in Grundgedanken übereinstimmend, sind die einzelnen Gruppen der W. durchaus individuell verschieden; ihre Lieder sind von hoher poetischer Schönheit. Vgl. Hase, Neue Propheten (3. Aufl., Leipz. 1893); Cornelius, Geschichte des Münsterschen Aufruhrs (das. 1855–60, 2 Bde.) und Die niederländischen W. während der Belagerung Münsters 1534–1535 (Münch. 1869); Bouterwek, Zur Literatur und Geschichte der W. (Bonn 1864); L. Keller, Geschichte der W. und ihres Reichs zu Münster (Münst. 1880); Tumbült, Die W. (Bielef. 1899); Rembert, Die W. im Herzogtum Jülich (Berl. 1899); Bax, Rise and fall of the Anabaptists (Lond. 1903); Egli, Die Züricher Täufer (Zür. 1878) und Die St. Galler Täufer (das. 1887); E. Müller, Geschichte der bernischen Däuser (Frauenfeld 1895); Loserth, Der Anabaptismus in Tirol (Wien 1892), Balthasar Hubmaier und die Anfänge der Wiedertaufe in Mähren (das. 1893) und Der Kommunismus der mährischen W. (das. 1894); Bahlmann, Die W. zu Münster, bibliographische Zusammenstellung (Münst. 1894); H. v. Kerssenbroch (s. d.), Anabaptistici furoris historica narratio (hrsg. von Detmer, das. 1900); R. Wolkan, Die Lieder der W. (Berl. 1903); Detmer, Bilder aus den religiösen und sozialen Unruhen in Münster (Münst. 1903–04,3 Hefte); A. Hulshof, Geschiedenis van de Doopsgezinden te Straatsburg van 1527 tot 1557 (Amsterd. 1905). – Eine neue, dem stürmischen Charakter der ersten direkt entgegengesetzte Periode in der Geschichte der W. beginnt mit Ubbo Philipps, der, früher katholischer Priester in Leeuwarden, 1534 ein Haupt der W. geworden war und seinen Bruder Dirk, David Joriszoon und Menno Simons (s. d., Bd. 13, S. 602) zu Geistlichen geweiht hatte. Mit dem Letztgenannten mündet die Geschichte der W. ein in die der Mennoniten (s. d.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 596-597.
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