I. Band

Ob heute ein quidam, der in den Gang der Geschichte in keiner Weise mit eingegriffen und ihm selbst ferngestanden hat, der weder durch künstlerische Produktion noch durch literarische Arbeiten sich einen Namen gemacht hat, und der zudem nicht durch eigenartige Auffassung oder Schilderungsweise seiner Darstellung einen besonderen Stempel aufzudrücken weiß, berechtigt ist, von seinen kleinen Erlebnissen zu erzählen oder einen Leserkreis sich dafür zu erbitten, wird mit Recht bezweifelt werden.

Ich wage es trotzdem; nicht nur, weil Freunde mich wiederholt darum gebeten haben, in der Erwartung, daß durch allerlei Berührungen mit hervorragenden Zeitgenossen für deren Charakteristik interessante kleine Züge verewigt werden könnten: vor allem hoffe ich daraus für die Geschichte der Sammlungen unserer Berliner Museen mannigfache Beiträge liefern zu können, die man in den Akten vergeblich suchen würde. In den Hunderten von Bänden, die seit der Begründung der Königlichen Museen im Jahre 1830 über die Erwerbungen für die Sammlungen, über die Pläne und Ausführung der Bauten, über Personen und Sachen zusammengeschrieben sind, wird man über die Vorgeschichte oft der wichtigsten Fragen, über das Für und Wider, über die Triebfedern und Motive und die schließliche Entscheidung oft wenig oder gar nichts erfahren. Noch weniger enthalten diese Bände über die negative Seite, über manches, was versäumt worden ist, was mißglückt oder hintertrieben ist. Und ebenso wenig gewinnt man daraus ein auch nur einigermaßen vollständiges oder richtiges Bild der Persönlichkeiten, die für die Gestaltung unserer Museen von Bedeutung gewesen sind.

Meine Stellung in diesem Kreise, in den ich jung hineingekommen bin, zu einer Zeit, da der allgemeine Aufschwung[3] Deutschlands auch die staatlichen Kunstsammlungen Preußens aus einem langen Winterschlaf zu neuer, umfassender Tätigkeit erweckte, und in dem ich durch fast ein halbes Jahrhundert tätig gewesen bin, hat mir reiche Gelegenheit gegeben, nach den verschiedensten Richtungen in dieses innere Getriebe hineinzublicken, darüber hinaus die Kunstentwicklung, vor allem die Entwicklung des gesamten Museumswesens innerhalb Deutschlands und zum Teil auch im Auslande zu beobachten und darin nicht selten auch tätig einzugreifen.

Von diesen meinen Beobachtungen und Erfahrungen sollen die folgenden Blätter vor allem erzählen. Ich habe ihnen die Form einer Selbstbiographie gegeben, um sie durch das persönliche Kolorit lebendiger und vielseitiger zu machen. In dieser Form werden sie, namentlich für die Jugendzeit, manches Alltägliche bringen, das jedem einzelnen als etwas Besonde res in seinem Leben erscheint, manches rein Persönliche, das bei einem Alltagsmenschen Dritte nicht interessiert. Man möge diese Seiten mit in Kauf nehmen oder überschlagen. Mir selbst sind diese Erinnerungen besonders teuer, sie sind zugleich für meine Angehörigen und Freunde von Interesse, deshalb wollte ich sie nicht ganz unterdrücken. Sie werden hoffentlich auch den einen oder anderen Fehler, der unter meiner Leitung gemacht worden ist, wenn nicht rechtfertigen, so doch entschuldigen. Für einen Sammlungsdirektor ist dies ja leider um so mehr nötig, als der Nachfolger an seinem Vorgänger selten ein gutes Haar zu lassen pflegt. Ich fürchte, auch meine Erinnerungen werden sich, trotz redlicher Bemühung unparteiisch zu sein, davon nicht ganz frei halten.[4]

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 3-5.
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