[272] Harze und Harzgewinnung. Während in Deutschland früher die Kiefer kaum geharzt wurde, ist durch den Krieg das Interesse an der Harzgewinnung schnell erweckt worden und hat zu umfangreichen Versuchen gerade mit diesem Baume geführt. Die Kiefer empfahl sich dazu durch ihre hohen Erträge. 1 cbm Splintholz der Kiefer enthält 21,1 kg Balsam, 5,5 kg Terpentinöl, 16,6 kg Kolophonium; die Fichte 9,4 kg Balsam, 2,3 kg Terpentinöl, 7,1 kg Kolophonium; die Tanne 3,2 kg Balsam (»Straßburger Terpentin«), 1,2 kg Terpentinöl, 2,0 kg Kolophonium; die Lärche 18,3 kg Balsam, 5,2 kg Terpentinöl, 13,1 kg Kolophonium. Nach einer Berechnung von Wislicenus wären in Deutschland aus 5,6 Millionen Hektar Kiefernwaldung, 560000 Doppelzentner Terpentin und etwa 1 Million Doppelzentner Harz (Kolophonium) zu gewinnen, also bedeutend mehr als der gesamte Friedensverbrauch.
Im allgemeinen handelt es sich bei der Harzgewinnung um Kiefernbalsam mit seinen zwei Bestandteilen, dem Terpentin und Kolophonium. Die Hauptmasse wird durch das künstliche Verwunden der Kiefern aus den Harzkanälen gewonnen. Das Rohharz wird in den Fabriken in seine Bestandteile getrennt. Das Harz wird bei der Kiefer hauptsächlich im Splintholz gebildet und in den Harzkanälen als dünnflüssiger »Balsam« aufgespeichert. Wird dem Splint eine Verletzung beigebracht, so wird der Balsam unter Druck ausgepreßt. Der Harzfluß dauert in der Regel etwa 24 Stunden an, bis sich die Oeffnungen der Harzkanäle durch erstarrendes Harz verstopft haben. Um wiederholten Harzfluß zu erzielen, wird die Verwundung in mehrtägigen Pausen aufgefrischt, indem am oberen und unteren Wundrand ein schmaler Holz- und Rindenstreifen beseitigt wird. Auf diese Weise entsteht eine sich allmählich vergrößernde Harznutzungsfläche, die Lachte oder Lache. An Stelle des »Lachtenverfahrens« kann man kurz sagen das »Lachten« innerhalb des übergeordneten Begriffes »Harzen«. Um den rinnenden Balsam aufzufangen, wird am Grunde der Lachte eine grubenartige Höhlung, die »Grandel«, angebracht und am unteren Rande mit einem Vorsatzblech versehen, oder man befestigt nachrückbare Gefäße, die den abfließenden Balsam aufnehmen. 1918 wurden 2228661 kg Kiefernlachtenharz gewonnen. 1917 ergab der nur 80 ha große Potsdamer Forst bei 24000 Bäumen trotz ungünstiger Witterung eine Ernte von 20000 kg Harz.
Ueber die Art der Harzgewinnung sei hier noch folgendes angeführt. Der betreffende Baum wird anfangs Februar streifenweise vom Boden aus bis auf 1 m »gerötet«, d.h. von der Borke befreit. In diese Streifen werden möglichst dicht am Erdboden 25 cm hohe und 10 cm breite »Lachten« gehauen, die durch das Kambium bis aufs Holz gehen. Hierauf werden am unteren Ende der Lachte die »Grandeln« in einer Tiefe von 7 bis 8 cm geschlagen; vor ihnen wird zur Vergrößerung noch ein 15 cm langer und 4 cm breiter Zinkstreifen eingeschlagen. Etwa Mitte April erscheint auf den Lachten Balsamharz, das allmählich in die Grandeln abfließt. Von da ab werden die Lachten an ihrem oberen Ende 34 mm tief durchhauen (»geplatzt«), um die Harzkanäle offen zu halten. Mit der Zeit überzieht sich die Lachte mit einer Harzkruste, die mit dem Scharreifen abgekratzt werden muß, um das Abfließen weiter austretenden Harzes zu ermöglichen. Das dabei gewonnene Scharrharz ist nicht so wertvoll wie das in den Grandeln gesammelte Balsamharz, das mit einem eisernen Löffel ausgeschöpft wird. Am Ende des ersten Harzungssommers hat die Lachte eine Höhe von 35 bis 40 cm erreicht und schreitet in den folgenden Jahren immer weiter nach oben fort. Das austretende Harz muß also einen immer längeren Weg zurücklegen, verkrustet dabei und vergrößert so die Menge des Scharrharzes. Ueber Werkzeuge zur Harzgewinnung sei folgendes mitgeteilt. Das Grandeleisen dient zur Herstellung des Grandels und wird mit einem kräftigen Hammer eingeschlagen. Das Einfügen des Schutzbleches am unteren Grandelrand erfolgt mittels des Vorschlägers. Das Lachten geschieht mit einer besonders geformten Axt, dem Dechsel. Zum Abfüllen des Terpentins aus dem Grandel und eventuell zum Abkratzen des Harzes bedient man sich eines seitlich geschärften Eisenlöffels. Nicht absolut notwendig ist der Harzscharrer zum Abkratzen des Harzes von der Harzlachtenfläche. Bei der Harznutzung der Fichte ist das Lachtenreißen sehr leicht mit einer sogenannten Hippe auszuführen. An Stelle der einfachen Hippe läßt sich vorteilhaft ein Fichtenlachtenschneider verwenden, der durch den längeren Stiel die Hand vor dem Anstreifen an die harte Fichtenborke schützt und durch den Griff mit beweglicher Querscheibe das Andrücken des Messers durch die linke Hand gestattet. Zur Fichtenharzung dienen Harzscharrer in verschiedener Form. Eine Verbesserung des Grandelverfahrens ist das Schwalbennestverfahren, indem es die Verlängerung des Weges des Harzflusses bei andauernder Nutzung vermeidet und daher einen größeren Terpentingehalt des Harzes sichert; auch erfordert es durch Wegfallen der Grandeln weniger Arbeit. Es wird nämlich mittels einer besonderen »Vorschlagzange« ein dreieckiges Blech in einen Spalt getrieben, das so das »Schwalbennest« bildet, welches das fließende Harz aufnimmt. Während der Harzung wird das Schwalbennest von Zeit zu Zeit höher gerückt, um den Weg des Harzes abzukürzen. Zur Behandlung der Lachten kommen die beiden folgenden Verfahren in Betracht. Das Fischgrätenverfahren nach Splettstößer besteht darin, daß möglichst nahe, etwa fingerbreit unterhalb oder oberhalb des ersten Schnittes in regelmäßiger Wiederholung mit Pausen von einigen Tagen ein neuer Riß angebracht wird, aus dem das Harz in gleicher Weise wie beim ersten Schnitt abläuft und aufgefangen wird. Die Lachte bildet dabei keine zusammenhängende, sondern eine durch unverletzte Rindenstreifen unterbrochene Fläche. Das amerikanische Verfahren erzielt die Erneuerung der Verwundung in der Weise, daß die Ränder des Risses mit dem Reißhaken (Risser) lediglich aufgefrischt werden, indem man in mehrtägigen Pausen die Risse lückenlos aneinander reiht und so das Holz schließlich auf breiter [272] Fläche bloßlegt. Durch die Ergebnisse mit dem von Splettstößer (in »Silva«, Juni 1917, S. 93) veröffentlichten Verfahren sind die Versuche zur Kiefernterpentingewinnung mit geschlossenen Bohrungen und Harzbeuteln, soweit die Mengenausbeute in Frage kommt, überholt. Splettstößer, der den Harzertrag der Kiefer in erster Linie von der Ernährung abhängig erachtet und den Boden als die wichtigste Quelle der Ernährung betrachtet, hält auch Klima und Standort für wichtig, da die Kiefer z.B. auf schlechten Sandböden, die sich frühzeitig erwärmen, auch früher Harz gibt, wie Kiefern mit Unterwuchs auf guten, aber kalten oder noch gefrorenen Böden. Es ist ein hohes Verdienst Splettstößers den in Amerika längst gebräuchlichen Risser oder Reißhaken eingeführt zu haben; der Risser hat den Vorzug quer zur Faserrichtung zu schneiden, um möglichst viele Harzkanäle zu treffen. Ob das Splettstößersche oder das amerikanische Verfahren den Vorzug verdient, ist noch nicht vollständig sicher. Die Lösung der durch das[273] Gebiet der Harznutzung angeschnittenen Fragen kann nur durch das Zusammenarbeiten des Technikers mit dem Pflanzenphysiologen erfolgen. S.a. Kunstharze.
Literatur: L. Diels, Harze in L. Diels, Ersatzstoffe aus dem Pflanzenreich, Stuttgart 1918, S. 305310; C. v. Tubeuf, Harznutzung der Kiefer oder Föhre, Naturw. Zeitschr. f. Forst- und Landwirtsch. XIV, 1916, S. 151161; Ders., Nachtrag zur Technik der Kiefernharzung, ebend., S. 267272; Ders., Zweiter Nachtrag zur Harznutzungstechnik, ebend., S. 385389; Schepß, Zur Kiefernharznutzung 1918, ebend. XVI, 1918, S. 105118; E.R. Besemfelder, Heimisches Terpentinöl und Harz, Zeitschr. f. Abfallverwertung und Ersatzstoffwesen 1919, S. 7677; G. Austerweil und J. Roth, Gewinnung und Verarbeitung von Harz und Harzprodukten, München und Berlin 1917; vgl. ferner namentlich die Abhandlungen von G. Auerochs, Gundel, M. Kienitz, Koehl, Münch, C. v. Tubeuf und H. Wislicenus in Naturw. Zeitschr. f. Forst- und Landwirtsch. XVI, 1918, S. 1100, sowie das Merkblatt des Kriegsausschusses für pflanzliche u. tierische Oele u. Fette, Rohharzabteilung (abgedruckt z.B. in Naturw. Zeitschr. f. Forst- und Landwirtsch. XVI, 1918, S. 7078); endlich Bericht von Schimmel & Co., Miltitz-Leipzig 1918, S. 4860.
Ernst Gilg und Julius Schuster.
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