Reparaturwerkstätten

[410] Reparaturwerkstätten der Eisenbahnen, mit Gleisanlagen verbundene und teils von Gleisen durchzogene Gebäude oder Gruppen von solchen, in denen die Eisenbahnfahrzeuge meistens im Selbstbetrieb der Verwaltungen untersucht, ausgebessert und auch oft völlig umgebaut werden. Die Neuherstellung wird in Deutschland, Oesterreich und benachbarten Ländern fall durchweg der Privatindustrie überlassen, in England und Amerika jedoch auch oft von den Eisenbahngesellschaften selbst betrieben.

Alle Betriebsmittel, Lokomotiven und Wagen jeder Art, sind nach einer gewissen durchlaufenen Summe von Weglängen vorschriftsgemäß einer genauen Prüfung ihres Zustandes zu unterziehen und wieder instand zu setzen. Außerdem müssen im Betrieb durch irgendwelche Umstände, z.B. Unfälle, schadhaft gewordene Fahrzeuge ausgebessert werden. Kleine, mit den üblichen Werkzeugen ausführbare Ausbesserungen können an Lokomotiven und an Personenwagen in den Lokomotiv- und Wagenschuppen, solche an Güterwagen auch im Freien vorgenommen werden. Auch werden in Verbindung mit den Lokomotivschuppen kleinere sogenannte Zweig- oder Betriebswerkstätten angelegt, um nicht zu umfangreiche Wiederherstellungsarbeiten möglichst rasch ausführen zu können und die Lokomotiven dem Betrieb nur möglichst kurze Zeit zu entziehen. Alle größeren Arbeiten, die eine längere Außerdienststellung der Fahrzeuge erfordern und die Anwendung von einer Reihe von Werkzeugmaschinen mit mechanischem Betrieb verlangen oder doch erwünscht machen, werden größeren Hauptwerkstätten oder einer Zentralwerkstätte zugewiesen, welche, mit allen derartigen Mitteln und geübtem Personal ausgestattet, eine raschere, bessere und billigere Ausführung solcher Arbeiten gewähren. Bei größeren Eisenbahnverwaltungen werden außer einer etwaigen Zentralwerkstätte wegen der großen Entfernungen noch einige Hauptwerkstätten und mehrere Neben- oder Betriebswerkstätten erforderlich sein.

Die wesentlichen Bestandteile einer größeren Werkstättenanlage sind folgende: 1. Lokomotivwerkstätte, bisweilen auch besondere Räume für Tenderwerkstätte; 2. Dreherei und Schlosserei; auch wohl besondere Räderwerkstätte sowie besondere Räume für die Herstellung und Ausbesserung von Weichen; 3. Schmiede für alle Eisen- und Stahlteile, auch Werkzeuge und Federn; auch wohl besondere Radreisenschmiede; 4. Gießerei mit Modellschuppen; 5. Kesselschmiede für die Lokomotiven; 6. Kupferschmiede und Gelbgießerei, auch Klempnerei, getrennt oder vereinigt; 7. Siederohrwerkstätte; 8. Wagenwerkstätte, auch getrennt für Personen- und Güterwagen; unter Umständen auch noch besondere Wagenrevisionshallen; 9. Stellmacherei und Tischlerei, auch besondere Modelltischlerei; 10. Sattler- und Tapezierwerkstätte; 11. Lackiererei und Malerei; 12. Kessel- und Maschinenhäuser zur Erzeugung der erforderlichen Betriebskräfte; 13. Speicher (Magazine) für Holz- und Metallvorräte, Kohlenschuppen, Lagerplätze für Altmaterialien, Lagerräume für Beleuchtungs- und Schmiermaterialien sowie für Bureau- und andern Bedarf; 14. Diensträume für die Verwaltung und Ueberwachung; 15. Räumlichkeiten für die Arbeiter und Werkführer, namentlich Speiseräume mit Wirtschaft, Baderäume u.s.w.; 16. Aborte, Spritzenhaus und andre Nebenanlagen; 17. Anlagen zur Versorgung mit Trink- und Nutzwasser, Gas, elektrischem Strom, Heizung; 18. Dienstwohnungen für die leitenden Beamten, während Arbeiterwohnungen besser ganz abgetrennt erstellt werden. – Bei Trennung von Lokomotiv- und Wagenwerkstätte, wie dies häufig vorkommt, sind manche der genannten Werkstätten, namentlich die Schmiede und die Dreherei, an jeder Stelle anzulegen.

Die Gebäude für die unter 1. und 8. genannten Werkstätten haben in der Regel große Grundflächen. Sie brauchen nicht hoch zu sein und werden daher meist mit Sattel- oder Sägedächern auf eisernen Säulen überdeckt und mit Oberlicht versehen, da die Innenräume sehr hell sein müssen. Die Fahrzeuge werden in ihnen auf Parallelgleisen aufgestellt, die durch Schiebebühnen, die man jetzt vielfach in das Innere der Gebäude legt, zugänglich gemacht werden, so daß die Arbeitsgleise beiderseits an die Bühne anschließen, während das Zugangsgleis zur Bühne durch ein Tor in einem Vorsprung des Gebäudes an die Schiebebühne geführt wird. Diese Anordnung ist dieselbe wie bei großen Lokomotivschuppen (s.d., Fig. 7). In Wagenwerkstätten werden häufig unversenkte Schiebebühnen (s.d.) angewendet, da das geringere Gewicht der Wagen dies gestattet. Der Betrieb der Schiebebühnen erfolgt in größeren Werkstätten auf mechanischem Wege häufig durch ein umlaufendes endloses Drahtseil, dessen Bewegung durch Reibungsräder oder auf andre Weise auf die Bühne übertragen werden kann, neuerdings aber namentlich durch Elektrizität, ähnlich wie bei Straßenbahnen. In Nordamerika finden sich statt der rechteckigen Formen auch ringförmige Reparaturwerkstätten mit Drehscheibe, wie sie in Europa für Lokomotivschuppen (s.d.) beliebt sind, jedoch meist bis zum geschlossenen Ringe ausgedehnt,[410] so unter anderm bei der Pennsylvania-Bahn in Altoona für Wagen und für Lokomotiven. – Mit den unter 1. und 8. genannten Räumen werden zweckmäßigerweise die Räume für die Dreherei verbunden, während die Gebäulichkeiten für die unter 3.–7. aufgeführten Arbeitsräume besser als besondere Gebäude in der Nähe der Gebäude für die Lokomotiv- und die Wagenwerkstätte erstellt und. mit diesen durch Gleise verbunden werden. – Die Lackierwerkstätte erfordert staubfreie, gut abschließbare, leicht zu erwärmende Räume von beträchtlicher Größe, sie wird daher in der Regel in besonderen Gebäuden untergebracht. Die Werkstatt für Sattler- und Tapezierarbeiten, auch wohl die Modelltischlerei können in Obergeschossen Platz finden; die übrigen Arbeitsräume sind dagegen wegen der zu handhabenden großen und schweren Gegenstände in Erdgeschossen unterzubringen. Die Werkstättegebäude sind daher meist einstöckig.

Sämtliche Gebäude werden zweckmäßigerweise mit Zentralheizung und alle Räume mit Gas- oder elektrischer Beleuchtung und mit zahlreichen Wasserzuleitungsstellen versehen, die für den Fall der Feuersgefahr das Anschrauben von Schläuchen gestatten und reichlich Wasser unter starkem Druck (11/2–3 Atmosphären) liefern. Ist eine Wasserleitung mit reichlichem Druck und größerem Wasserbehälter, z.B. eine städtische, an die die Werkstätteleitungen angeschlossen werden können, nicht vorhanden, so ist eine besondere Wasserleitung oder ein Wasserturm mit Pumpwerk zu erbauen. – Die Innenräume müssen gut gelüstet, gegen die Sonne geschützt werden können und mit geeigneten Kraftleitungen versehen sein, um die vielen und sehr verschiedenartigen Arbeitsmaschinen zu treiben. Hierzu eignet sich am bellen die elektrische Kraftübertragung.

Die mit den Werkstätten verbundenen Gleisanlagen haben als Zugang zu den einzelnen Werkstättegebäuden und zur Aufstellung der zu untersuchenden und auszubessernden Fahrzeuge zu dienen. Sie bilden meistens besondere, durch Einfriedigungen abgeschlossene, durch Zufahrgleise zugängliche Bahnhöfe, »Werkstättebahnhöfe«. Ihr Umfang ist von der Bedeutung der Werkstätte bezw. von der Größe des Bahnnetzes, für welches diese genügen soll, abhängig.


Literatur: Roll, Encyklopädie des Eisenbahnwesens, Bd. 7, Art. »Werkstätten«, mit zahlreichen Literaturangaben über einzelne Ausführungen; Heusinger v. Waldegg, Spezielle Eisenbahntechnik, Bd. 4; Büte und v. Borries, Die nordamerikanischen Eisenbahnen in technischer Beziehung, Wiesbaden 1893; Eisenbahntechnik der Gegenwart, Das Eisenbahnmaschinenwesen der Gegenwart, 2. Abschnitt, Die Eisenbahnwerkstätten, Wiesbaden 1898; Organ für Fortschritte des Eisenbahnwesens.

H. Kübler.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 410-411.
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