Wärme [1]

[808] Wärme, eine Form der Energie und als solche dem Prinzip von der Erhaltung der Energie unterworfen (s. Energie, Bd. 3, S. 449), so daß die Wärme durch andre Energieformen erzeugt und wieder in diese verwandelt werden kann (vgl. Wärmetheorie, Wärmemotoren u.s.w.). Als Wärmeeinheit wird in der Regel die Kalorie, d.h. diejenige Wärmemenge gewählt, welche nötig ist, um 1 kg reinen Wassers unter 1 Atmosphäre Druck von 0° auf 1° C. zu erwärmen (andre Definitionen s. Kalorie, Bd. 5, S. 301). Die mechanische Arbeit (Bd. 1, S. 267), durch welche eine Wärmeeinheit erzeugt werden kann, heißt das mechanische Wärmeäquivalent (s. S. 809). Die Wärme kann von einem Körper auf einen andern übergehen, was sich am Uebergang der Wärmewirkungen, zeigt. Je nachdem der Wärmeübergang durch Vermittlung andrer Teilchen der gewöhnlichen Materie (durch Berührung) oder ohne diese erfolgt (vgl. Aether, Bd. 1, S. 92), spricht man von Wärmeleitung oder von Wärmestrahlung (s.d.). Ein Körper A heißt wärmer oder von höherer Temperatur als ein Körper B, wenn bei gegenseitiger Berührung ein Wärmeübergang von A nach B stattfindet (Näheres s. Temperatur). Ueber Flüssigkeitswärme, Verdampfungswärme, Gesamtwärme, Dampfwärme, Erzeugungswärme, Schmelzwärme, Latente Wärme, Spezifische Wärme, Kompressionswärme u.s.w. s. unter diesen Stichworten.

Ueber das Wesen der Wärme wurden im Laufe der Zeit sehr verschiedene Ansichten ausgesprochen. Vor Erkenntnis der Aequivalenz von Wärme und Arbeit hielt man sie meist für einen Stoff [1], [6], während sie jetzt fast allgemein für eine Bewegungsenergie gilt[808] [2], [3], [5], [8] u.s.w. (lebendige Kraft, kinetische Energie, s. Bd. 3, S. 449), deren Träger natürlich so klein sein müssen, daß sie für uns unsichtbar bleiben. Das Wärmegefühl ist nach dieser Annahme die Empfindung der Bewegung von Teilchen, welche auf unsre Nerven wirken. Warm und kalt unterscheiden sich nur durch die größere oder geringere lebendige Kraft dieser Bewegung. Absolut kalt würde ein Körper dann sein, wenn seine Wärmebewegung vollständig aufhörte. Dieser absolute Nullpunkt der Temperatur liegt nach bisherigen Ermittlungen bei –273° C. (vgl. Temperatur). Im Gegensatze zu diesen Anschauungen betrachtete z.B. Robert Mayer, der Entdecker des mechanischen Wärmeäquivalents und des Prinzips von der Erhaltung der Energie, die Frage nach dem Wesen der Wärme als eine offene [9], S. 28, 266, 389 (abgesehen von der strahlenden Wärme), wie sie auch für die meisten und wichtigsten Untersuchungen auf den Gebieten der heutigen Wärmetheorie unwesentlich ist. In der Technik gewann die Ansicht von der Bewegungsnatur der Wärme nur insofern Einfluß, als manche gebräuchliche Beziehungen für gasförmige Körper (Bd. 4, S. 277, 279, Bd. 5, S. 712) und der physikalischen Chemie unter Mitverwendung der kinetischen Theorie erhalten wurden.


Literatur: [1] Gehler, Physikalisches Wörterbuch, X, Leipzig 1341 (Art. Wärme, S. 52 bis 1179). – [2] Redtenbacher, Das Dynamidensystem, Mannheim 1857. – [3] Clausius, Ueber die Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen, Poggendorffs Annalen 1857, C, S. 353 (auch Abhandlungen II, Braunschweig 1867, S. 227, und Die mechanische Wärmetheorie III, Braunschweig 1889–91, S. 1). – [4] Verdet, Exposé de la théorie mécanique de la chaleur, Paris 1863. – [5] Tyndal, Heat considerad as a mode of motion, London 1863 (deutsch von Helmholtz und Wiedemann, Braunschweig 1894). – [6] Reis, Das Wesen der Wärme, Leipzig 1865. – [7] Maxwell, Theory of heat, London 1871 (deutsch von Auerbach, Breslau 1877). – [8] Berthold, Rumford und die mechanische Wärmetheorie, Heidelberg 1875. – [9] Mayer, R., Die Mechanik der Wärme in gesammelten Schriften, Stuttgart 1893. – [10] Kirchhoff, Vorlesungen über die Theorie der Wärme, Leipzig 1894. – [11] Duhem, Les théories de la chaleur, Revues des deux mondes 1895, CXXIX, S. 869, und CXXX, S. 380, 851. – [12] Wüllner, Lehrbuch der Experimentalphysik, II, Die Lehre von der Wärme, Leipzig 1896. – [13] Mach, Die Prinzipien der Wärmelehre, Leipzig 1896. – [14] Pfaundler, Müller-Pouillets Lehrbuch der Physik und Meteorologie, Bd. 2, 2. Abt., Von der Wärme, Braunschweig 1898. – [15] Weinstein, Thermodynamik und Kinetik der Körper, I und II, Braunschweig 1901 und 1903. – [16] Helmholtz, Vorlesungen über die Theorie der Wärme, Leipzig 1903. – [17] Chwolson, Lehrbuch der Physik, III, Die Lehre von der Wärme, Braunschweig 1905. – [18] Winkelmann, Handbuch der Physik, III, Wärme, Leipzig 1906. – S.a. Kalorie, Wärmeäquivalent, Temperatur, Wärmetheorie, mechanische, und die andern obenerwähnten Stichworte.

Weyrauch.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 808-809.
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